Bajuwaren bomben gegen Tschuschen

Der im Briefbombenprozeß als Einzeltäter angeklagte Franz Fuchs ist nicht wirklich arm dran

Gerichtskiebitze in der steierischen Landeshauptstadt Graz müssen dieser Tage recht früh aufstehen, um im Großen Schwurgerichtssaal des Landgerichtes einen Blick auf den meistgesuchten und -gehaßten Angeklagten werfen zu können: Schon um halb vier Uhr morgens stehen Hunderte Bürger vor dem Gerichtsgebäude Schlange, um Zählkarten für den Prozeß zu ergattern.

Ihre Chancen aber sind gering: Für Normalsterbliche sind nur 15 Plätze im Gerichtssaal reserviert, die restlichen hundert Sitzgelegenheiten werden von den Medienvertretern beansprucht. Schließlich steht mit Franz Fuchs ein Mann vor Gericht, der zwischen 1993 und 1996 in ganz Österreich für Aufmerksamkeit sorgte. Insgesamt - so vermutet jedenfalls die Staatsanwaltschaft - verschickte der Angeklagte 25 Briefbomben an österreichische Prominente, die sich für die Integration von Ausländern und die rechtliche Gleichstellung der in Österreich lebenden slawischen Minderheiten engagierten und bastelte daneben drei Rohrbomben - eine davon tötete im Februar 1995 in Oberwart vier Roma. Vierfacher Mord, sechsfacher Mordversuch, fünffache schwere Körperverletzung, 16facher Versuch der Körperverletzung, vierfache Nötigung und Nötigung der Bundesregierung werden Fuchs zur Last gelegt.

Die Fahndung nach dem Attentäter kostete etwa 700 Millionen Schilling (rund 50 Millionen Euro), vier Jahre lang war eine 150köpfige Sonderkommission damit beschäftigt, etwa 50 000 Personen wurden im Zuge der Ermittlungen überprüft, und zwei Innenminister stolperten über mangelnden Fahndungserfolg.

Fuchs' Festnahme im Oktober 1997 war dafür ziemlich unspektakulär - zumindest nach Angaben des Innenministeriums: Zwei Frauen fühlten sich von Fuchs verfolgt und alarmierten über ein Funktelefon die Dorfgendarmerie. Bei der anschließenden Personalienkontrolle drehte Fuchs durch, holte eine kleine Rohrbombe aus dem Handschuhfach seines Wagens und sprengte sich beide Unterarme weg. Den Gendarmen passierte nichts, sie schienen die Situation nicht einmal realisiert zu haben: "Erst als wir Herrn Fuchs die Handschellen anlegen wollten, merkten wir, daß er gar keine Hände mehr hatte."

Seitdem weigert sich Fuchs, für ihn angefertigte Prothesen zu tragen. Als er am Montag vergangener Woche gegen neun Uhr morgens den Gerichtssaal betrat, verstärkte das Fehlen der Hände und das Zittern, das Fuchs Körper durchdrang, seinen gespenstischen Auftritt: Der Angeklagte begann sofort zu schreien. 27 verschiedene Parolen skandierte er: "Reinrassige Tschuschenregierung - nein danke!", "Ausländerflut - nein danke!", "Es lebe die deutsche Volksgruppe!" usw. Jeden einzelnen Spruch wiederholte Fuchs, damit die anwesenden Journalisten auch ja alle Gelegenheit zum Mitschreiben hatten. Dieses Schauspiel wiederholt der 49jährige Mann aus dem kleinen steierischen Ort Gralla jeden Morgen. Natürlich ließ Fuchs auch jene Terrorbewegung hochleben, über deren Existenz sich Kriminalisten, Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Medien uneins sind: "Es lebe die Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA), brüllte der Angeklagte.

Die BBA wurde seit 1993 in Österreich zum Synonym für die Angst vor dem nächsten Brief. Die gesamtösterreichische Furcht vor den Briefbomben zeitigte skurrile Blüten: Drei Jahre lang mußten Sondertruppen des Innenministeriums täglich Dutzende Male zu Briefbomben-Fehlalarmen ausrücken. Und weil die BBA ihre Bomben mit Zündern ausstattete, die auf elektronische Wellen reagierten, ist bis heute die Benutzung von Handys in Postämtern verboten. Immer, wenn wieder einmal eine Briefbombe detonierte, tauchten auch die Bekennerschreiben der BBA auf: In ellenlangen Abhandlungen wurde über die "Deutschblütigkeit" der Österreicher schwadroniert, die in Österreich lebenden Kroaten, Slowenen, Tschechen, Slowaken, Ungarn und Roma als "Fremdkörper" wurden diskriminiert und die größtenteils "slawischstämmigen" Mitglieder der österreichischen Bundesregierung beschimpft. Auch über die Pannen bei der Fahndung machte sich die BBA lustig und legte dabei erstaunliche Kenntnisse von der Tätigkeit der im Geheimen operierenden Sonderkommission des Innenministeriums an den Tag.

Zu Beginn des Terrors im Dezember 1993 vermutete die Polizei die Täter in offen und organisiert rechtsextremen Kreisen. Schon wenige Monate später wurden dann auch zwei Verdächtige aus dem rechtsextremen Lager gefaßt: Franz Radl und Peter Binder. Beide gehören zur Prominenz der rechten Szene Österreichs, hatten aber ganz offensichtlich mit dem Briefbombenterror nichts zu tun. Weder Radl, dessen Sehfähigkeit stark eingeschränkt ist, noch der ständig zitternde Binder hätten die Bomben zusammenbauen können. Und als noch während des Prozesses weitere Briefbomben explodierten, richtete sich die Aufmerksamkeit der verzweifelten Ermittler auf die Einzeltäter-Theorie. Und diese beruhte auf einer anderen - vagen - Theorie: Niemals könne eine Gruppe von Terroristen so geheim bleiben und ohne die geringste Indiskretion so schwere Verbrechen planen.

Die Polizei stellte also ein Einzeltäterprofil zusammen, das auf Hunderttausende Menschen in Österreich zutraf: alleinstehend, im Besitz eines eigenen Hauses und eines eigenen Autos, Pensionist, mit chemischen Kenntnissen. Die Aussetzung einer hohen Belohnung von 20 Millionen Schilling (rund 1,45 Millionen Euro) tat ein übriges zur Multiplizierung vermeintlicher Attentäter. Die Einzeltäter-Theorie ist für die Sicherheitsbehörden bequem und für die österreichische Seele beruhigend: Hier ist ein verrückter Eremit am Werk, der irgendwie rechtsextrem ist - ähnlich dem US-amerikanischen Unabomber. Die politische Brisanz konnte so entschärft werden.

Fuchs aber beharrt darauf, kein Einzeltäter zu sein. Und dies, obwohl er selbst weiß, daß ihm das wenig nützen wird und eine lebenslange Haft so gut wie sicher ist. Fuchs bezeichnet sich selbst als kleiner Bote der BBA, der seine Befehle erhielt und brav danach handelte. Tatsächlich basiert die Anklage gegen Fuchs als Einzeltäter lediglich auf schwachen Indizien: Im Haus des gelernten Vermessungstechnikers konnte keine Spur von einem Labor entdeckt werden, in dem die Bomben hätten zusammengebastelt werden können. Auch fehlen sämtliche Bauteile sowie die Schreibmaschine, mit der die BBA-Bekennerbriefe geschrieben wurden. Vom Innenministerium bestellte Gutachter verweisen mit Nachdruck darauf, daß die BBA-Briefe von mehreren Personen geschrieben und von einer Redaktion redigiert wurden. Das umfassende - wenn auch manchmal verfälschte - historische Wissen der BBA kann Fuchs trotz größter Bemühungen nicht nachgewiesen werden. Lediglich ein historisches Lexikon für den Normalverbraucher fand man in Fuchs' Fundus.

Gänzlich im dunkeln bleibt auch die Quelle für die Indiskretionen aus dem Ermittlerkreis, mit denen die BBA in ihren Bekennerschreiben auftrumpfte. Der Ingenieur Fuchs war nie politisch aktiv, verfügt über keine Verbindungen zu den Schaltstellen der Republik.

Andere Gutachter gehen hingegen davon aus, daß es Fuchs schon vom zeitlichen Rahmen her niemals möglich gewesen sein könnte, 25 Briefbomben zu basteln, durch ganz Österreich zu fahren und sie an verschiedenen Orten aufzugeben, drei Rohrbomben zu bauen, daneben noch detaillierte Bekennerbriefe zu schreiben und dennoch ein zwar zurückgezogenes, aber nicht weiter auffälliges Leben zu führen.

Trotzdem ist es wahrscheinlich, daß Fuchs als Einzeltäter verurteilt wird und eine lebenslange Haftstrafe absitzen muß. Schließlich kann der österreichische Sicherheitsapparat sich dann eine Suche nach dem momentan sowieso außer Kraft gesetzten Terroristen ersparen - und ein Irrer ist allemal leichter zu verurteilen als eine rechtsextreme Verschwörercombo. Auch, weil der politische Hintergrund dadurch verborgen bleibt.