Diether Dehm

»Die PDS ist subversiv«

Zumindest die Plakate begrüßten ihn stürmisch: "Hurra, hurra, der Sänger mit den besseren Liedern ist da", hieß es vor zwanzig Jahren landauf, landab, wenn Diether Dehm, der sich damals noch "Lerryn" nannte, durch die Republik tingelte. Neben seiner Tätigkeit als Musikmanager schrieb er weitere Songtexte für Bots ("Das weiche Wasser bricht den Stein"), Klaus Lage ("Tausendmal berührt", "Faust auf Faust") und andere - bis seine Liedermacherkarriere 1988 im Verfassen der neuen SPD-Parteihymne gipfelte. Den Sozialdemokraten hatte Dehm bis dahin schon 20 Jahre lang die Treue gehalten, was sich im folgenden Jahrzehnt auszahlen sollte: Ein Kurz-Abstecher als Nachrücker in den Bundestag, ein Posten als ehrenamtlicher Stadtrat im Frankfurter Magistrat und zuletzt der Sitz im Bundesvorstand - als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbständige und Unternehmer - komplettierten die Partei-Karriere. Doch dann kamen 1996 die Stasi-Vorwürfe: Dehm habe von 1971 bis 1978 unter den Decknamen "Dieter" und "Willy" Freunde und Genossen bespitzelt. Prominentester "Ausgehorchter": Wolf Biermann. Der gesteht Dehm immerhin zu, ein "halsbrecherisch cleverer Doktor" zu sein - Tilman Fichter, heute Referent beim SPD-Vorstand, ergänzte die Beschreibung um den Hinweis, daß Dehm "besessen" von persönlichem Machterwerb sei. Nach seinem Wechsel von der SPD zur PDS im September 1998 wurde er Ende Januar zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

Sie sind gerade im Auto unterwegs. Wohin geht die Reise denn?

Zur Zusammenkunft der Erfurter Erklärung. Nach Erfurt.

Ganz in Diensten der neuen Partei unterwegs also?

Nein, das habe ich schon getan, als ich noch in der SPD war. Ich war ja Mit-Erstunterzeichner der Erfurter Erklärung.

Bis vor kurzem hätten Sie die A 4 einfach weiterfahren können nach Chemnitz - zu Ihrer Geschäftspartnerin Katarina Witt. Die hat die Zusammenarbeit mit Ihnen nun aufgekündigt, weil sie mit Politik im allgemeinen und der der PDS im besonderen nichts mehr zu tun haben will. Wäre sie nicht die Idealbesetzung für eine der Spitzenkandidaturen gewesen, die Sie für die PDS fordern?!

Nein, überhaupt nicht. Ich habe schon vor meiner Kandidatur mehrfach erklärt, daß ich im Falle meiner Wahl meine Medien- und Management-Tätigkeiten sofort einstellen würde. Ich hätte die Katarina auch nie für eine Geschichte begeistern wollen, die ihrem politischem Bewußtsein nicht entsprochen hätte. Weil ich überhaupt dagegen bin, daß Künstler oder Sportler auf irgendeine Art und Weise instrumentalisiert werden.

Wer schwebt Ihnen als Kandidat vor?

Da muß man erstmal mit Künstlern ausführlich reden. Das wäre einfach zu früh auf dem falschen Fuß Hurra geschrien.

Sie sagen, daß Sie Ihre Management-Tätigkeiten aufgegeben haben. Schreiben Sie denn noch Lieder?

Das ist das einzige, was ich mir noch gönne.

Und, schon eine Idee für die Partei-Hymne der PDS im Kopf?

Nein. Ich bin ja keine Drüse, die auf Kommando irgendein Sekret absondert. Ich habe damals eine Parteihymne für die SPD geschrieben, weil mich Willy Brandt nach einer Friedenskundgebung im Bonner Hofgarten gebeten hat, meinen Bots-Liedtext vom "Weichen Wasser" für die 125-Jahr-Feier der SPD umzuschreiben. Er wußte ja, daß die Kernzeile, nämlich "Das weiche Wasser bricht den Stein", von Bert Brecht stammt. Und dann habe ich das gemacht. Aber auch nur auf den Wunsch von Willy Brandt hin - und nur verbunden mit meinem Gegen-Wunsch an Willy Brandt, daß er dann auf der Schallplatte gemeinsam mit Götz George, Heinz-Rudolf Kunze, Albert Mangelsdorff und anderen meinen Text spricht, was er auch tat.

Aber gibt es jetzt - nach vier Monaten in der neuen Partei - nicht doch schon ein Motto, was als Refrain oder Liedzeile für die PDS stehen könnte?

Es bleibt dabei, daß das weiche Wasser den Stein bricht. Das ist als Sozialist eigentlich immer meine Position gewesen - und daß man viel Geduld braucht. Und daß es eine naive Vorstellung ist zu denken: Um 24 Uhr endet der Kapitalismus, und um null Uhr wird mit einem großen Schlag der Sozialismus eingeführt. Zwar ist Sozialismus nicht ohne viele Brüche mit der Kapitalverwertungslogik machbar, aber das sei dem Reformismus entgegengesetzt. Es gibt keine Entmachtung der Großbanken und Konzerne ohne Brüche, aber auch nicht die naive Vorstellung vom Einmal-Sturm auf das Winterpalais. Diese naive Hoffnung muß die sozialistische Weltbewegung hinter sich lassen. Deswegen glaube ich auch, daß Brecht mit der Zeile, daß das Wasser in Bewegung den Stein bricht, durchaus etwas Demokratisch-Revolutionäres gemeint hat.

Und Sie glauben, daß das mit der PDS zu machen ist - daß es in der Partei genügend Leute gibt, die "den Stein brechen wollen"?

Ich meine, daß das keine Frage ist, die eine einzige Partei alleine beantworten kann. Das geht nur, wenn die gesamte Linke, vorrangig durch außerparlamentarische Bewegungen, niemals mit sich und der Welt zufrieden wird. Das funktioniert aber nicht, wenn Saturiertheit - beispielsweise durch Erhalt eines Postens oder eines öffentlichen Mandats - dazu führt, daß man/frau sich plötzlich als Teil der Politkaste empfindet und nicht mehr daran denkt, wo er oder sie herkommt.

Was wohl auch für Sie zutrifft?

Natürlich. Auch ich brauche Genossen und Genossinnen, die mir sagen, daß ich in bestimmten Fragen vielleicht zu oberflächlich formuliere oder zu reformistisch denke. Das ist mir schon passiert. Ich habe aber im Zusammenhang der MarxistInnen in der SPD immer genug Leute gehabt, die mir ab und an in den Hintern getreten und mich mit den Füßen auf den Boden der bewegenden Tatsachen zurückgebracht haben.

In den letzten Wochen hat die PDS über die Verpflichtung von Rainer Rupp, den HVA-Spion "Topas", gestritten. Wie stehen Sie zu Rupp?

Von mir hat niemand ein schäbiges Wort über Rainer Rupp gehört. Ich habe viel zu lange gegen die Nato demonstriert, als daß ich nicht eine besondere Solidarität für jemanden hätte, der mit anderen Mitteln gegen die Nato und ihre atomare Erstschlagoption gekämpft hat.

Verbindet Sie mit Rupp, daß auch Sie mit der Auslandsspionage zusammengearbeitet haben?

Meine Biographie unterscheidet sich völlig von der Rupps. So finden sich in meiner Stasi-Akte pausenlos Aufforderungen meiner vermeintlichen FDJ-Gesprächspartner, daß ich mein öffentliches radikales Engagement beenden und mich konspirativ in der SPD-Rechten nach vorne schleichen sollte. Das Gegenteil habe ich getan, als Liedermacher und Stamokap-Juso. Nicht umsonst wurde die Akte nach 1977 geschlossen, weil ich - so das Stasi-Deutsch - "zu fest in die sogenannte demokratische Linke der BRD integriert" und "trotz ständiger Auseinandersetzungen nicht von der Richtigkeit der Maßnahmen gegen Bahro und Biermann zu überzeugen war". Danach bin ich in die Einreisefahndung der Abteilung VI des MfS gelegt worden: Das unterscheidet mich, glaube ich, schon von Rainer Rupp, ändert aber nichts daran, daß er meine Solidarität hat.

Was meinen Sie denn, warum Sie gewählt wurden?

Die Leute, die mich gewählt haben, erwarten sicherlich viel solide Arbeit und keine paradiesvögelnden Sprüche von mir - also keine Belehrungen der Partei über die Presse, auch nicht durch Jungle World.

Und was wollen Sie in der PDS?

Die Auseinandersetzung führen mit der Macht der großen Banken, die der Demokratie feindselig gegenüber eingestellt sind. Es ist gut, wenn man Feinde rechtzeitig erkennt - denn dann kann man sich besser schützen. Immerhin haben diese Kräfte schon einmal Hitler an die Macht finanziert, weil sie meinten, es würde ihren Profiten nutzen. Ziel dabei war, die Gewerkschaften zu zerschlagen, um die Löhne auf Krisenniveau zu pressen. Wer gegen Faschismus kämpft, muß eben auch gegen die wirtschaftlichen Ursachen kämpfen - und möglichst auch für die Streikfähigkeit und Kampfbereitschaft der Gewerkschaften. Das schließt auch den Kampf gegen den Aussperrungsparagraphen (damals 116 AfG) mit ein, an den Rot-Grün sich trotz anderslautender Versprechungen offensichtlich nicht mehr heranwagt.

Der Vorschlag geht doch über linken Populismus nicht hinaus. Abgesehen davon: Warum sollte das in der PDS einfacher durchzusetzen sein als in der SPD?

Ich habe das in der SPD versucht, aber die Kräfte um Gerhard Schröder sind alles, nur nicht bereit, sich mit der VW-, Daimler- oder BMW-Konzernspitze oder der Deutschen Bank auseinanderzusetzen.

Und das haben Sie erst eine Woche vor der Wahl gemerkt?

Nein, da habe ich sehr lange darum gestritten. Wie das eben so ist: Eine Erkenntnis kommt schließlich wie der Sozialismus nicht von einer Minute auf die nächste. So etwas wächst allmählich, wie auch das weiche Wasser der Realität den Stein der konservativen Ideologien nur allmählich bricht - irgendwann bricht er dann. Mit der Nominierung Schröders und dem absoluten Kotau, den die SPD vor den rechten Medien auch beim Asylrecht gemacht hat, sind die Überlegungen ins entscheidende Stadium eingetreten.

Verwunderlich ist es dennoch, daß Ihr Austritt genau eine Woche vor den Wahlsieg Schröders fällt. Das hat für mich schon etwas von zurechtgelegtem Lebenslauf.

Die Frage hätte auch sein können: nach der Wahl. Doch von meinem inneren, intellektuellen Ablauf her mündete das im Winter 1997/98 gemeinsam mit einigen Frankfurter Sozialdemokraten, wie Fred Gebhart, in eine sehr konkrete Überlegung. Außerdem wollte ich nicht erst nach der Wahl in die PDS eintreten und dann wie jemand aussehen, der eintritt, wenn sichergestellt ist, daß sie in den Bundestag einzieht.

Ihre Karrierechancen hat der Wechsel nicht gemindert. Nach gerade mal vier Monaten in der Partei sind Sie schon stellvertretender Vorsitzender - das haben Sie in über 30 Jahren in der SPD nicht erreicht.

In der gesellschaftlichen Hierarchie, an die ich eigentlich nie gedacht habe, ist es - glaube ich - nicht wenig, wenn man 43 000 Unternehmern der SPD vorsitzt und damit auch im Parteivorstand vertreten ist. Rein von der Papierform her stand ich also sicherlich nicht auf dem Abstellgleis der SPD. Abgesehen davon war meine Wahl zum Stellvertreter der PDS auch von erheblichen Risiken getragen - alle medialen Buchmacher haben dagegen gewettet, daß ich das schaffe.

Zurück zu Ihren Vorschlägen an die Partei: Neben den schon erwähnten Spitzenkandidaturen wollen Sie im westdeutschen Großstädten Pressefeste des Neuen Deutschland organisieren und darüber hinaus einen "Rio-Reiser-Preis" für subersive Songs ausschreiben. Halten Sie Ihre eigenen Songs für subversiv?

Ich habe sowohl subversive Texte für Bots, Zupfgeigenhansel, Hurra Deutschland, H.W. Olm, Ute Lemper, Gisela May oder Stephan Wald geschrieben wie auch Schlager, glaube aber, daß mein Begriff von Subversivität ein sehr breiter ist. Auch ein Liebeslied kann subversiv sein. Ich möchte nicht, daß immer nur in der dritten Strophe die Revolution ausbricht, und nur das dann subversiv genannt wird.

Hat die PDS denn noch etwas Subversives?

Selbstverständlich. Ich glaube, daß der Gedanke des demokratischen Sozialismus in einer monopolkapitalistischen Welt subversiv ist.