Kunst: Nichts als Rezeption

Diskursmarkt

Ausstellung zugleich als Karrierestart gestalten? Im Rückblick gesehen, speist die erste Ausstellung nicht nur den Ursprungsmythos der künstlerischen Entwicklung, sie stellt auch marktstrategische Weichen.

Die Frankfurter Künstlerin Silke Wagner stand vor einem solchen Problem anläßlich ihrer ersten Einzelausstellung in der aufstrebenden Karlsruher Galerie Meyer Riegger (20. Februar bis 27. März), und sie fand einen Weg, den Grenzwert zwischen künstlerischer Autonomie und den Verwertungsinteressen des Marktes unter realen Bedingungen zu markieren. Sie lud 18 Kunstkritiker/innen ein, in Tageszeitungen, Kunstmagazinen und im Internet jeweils ein "Drehbuch" der Ausstellung zu verfassen, die ausschließlich aus eben diesem Vorgang besteht. Mit Informationen zum Projekt und einem Dossier über die bisherige Arbeit versorgt, manifestiert sich die "Ausstellung" einzig in dieser Veröffentlichungsform. Dieser Artikel ist Baustein der Ausstellung und Rezension zugleich. Die während der Ausstellungsdauer publizierten Texte sollen in der Galerie, die ansonsten leer bleibt, ausgehängt und anschließend als "Katalog" herauskommen.

Das "Drehbuch"-Projekt erprobt unter den herrschenden Bedingungen der Warenzirkulation die zentrale Mechanik der Wertakkumulation am lebenden Objekt. Nicht das Verhältnis von Produzenten und Konsumenten wird umgedreht, denn tatsächlich behält die Künstlerin als "Regisseurin" das Geschehen im Blick, vielmehr bekommen die vermeintlich zur Wertakkumulation unerläßlichen Kunstkritiker/innen eben jene Rolle zugewiesen, die sie für sich reklamieren, nämlich Karrieren zu fördern oder zu verhindern. In diesem Falle dürfte der erste Effekt eintreffen, weshalb dem Projekt auch eine gewisse kalkulierte Cleverness anhaftet. Nur, die in einem solchen Prozeß gewonnene ästhetisch-analytische Einsicht, daß Kunst im Grunde nicht aus Stoffen, sondern aus diskursiven Einheiten besteht, wiegt schwerer als der Karriere-Aspekt.

Daß diese kritische Erkenntnis aber vermutlich zur ideellen Anschubfinanzierung der Individualkarriere beitragen wird, gehört zur Ironie der kunstbetrieblichen Verwertungslogik. Das Kennzeichen von Produktion, Diskurs-Reproduktion und Konsumption als unteilbare Triade heutiger Kunstpraxis führt zwar unweigerlich direkt in diesen Kreislauf hinein, aber es ermöglicht zugleich einen Beobachterstandpunkt außerhalb.

Auch wird die Vorstellung von einer linearen Geschichtsschreibung zurückgewiesen, da die Kunstkritiker/innen in Ermangelung einer "echten" Ausstellung auch die Kriterien ihrer Beurteilung preisgeben müssen. Das Bild der Wahrnehmung setzt sich somit aus geschichteten und nicht aus monokausalen Einzelbetrachtungen zusammen. Für die Leser/innen eine komplexe, zur Mitarbeit herausfordernde Aufgabe, müssen sie doch aus den Text-Fragmenten ein Bild von der Realität herausfiltern, das nur in ihrer eigenen Wahrnehmung Bestand hat. Hier liegt auch ein wichtiger Unterschied zu den Partizipationsbestrebungen der in den letzten Jahren inflationären "Projekt-Kunst", die mit ihrer Mitmach-Attitüde die Betrachter/innen in der Regel nur als kommunitaristisches Ornament einsetzt.

Die Künstlerin macht mit ihrem "Drehbücher"-Projekt das psychologische Moment von Kunstproduktion transparent, betont die Fremdbestimmung der Kunst durch die Rezeption, stärkt ganz nebenbei den peripheren Standort Karlsruhe und aktiviert eine überregionale Öffentlichkeit.