Treudeutsch oder gar nicht

Das Staatsbürgerschaftsrecht köchelt einem neuen Kompromiß entgegen.

Wenn die deutsche Politik über den Umgang mit Nichtdeutschen streitet, kommen meist Kompromisse heraus. Als 1993 - unter dem Druck rassistischer Morde und Ausschreitungen - die Inanspruchnahme des Asylrechts eingeschränkt werden sollte, diskutierte das Parlament so lange am Mißbrauchsverdacht entlang, bis man sich auf die faktische Abschaffung des bis dahin grundgesetzlich garantierten Flüchtlingsschutzes einigen konnte. Die amtliche Sprachregelung bezeichnete dieses Ergebnis als "Asylkompromiß". Eine ähnliche Null-Lösung droht der Gesetzesvorlage, mit der die rotgrüne Bundesregierung die Einbürgerung von Nichtdeutschen erleichtern wollte.

Nachdem die hessische CDU ihren Landtagswahlkampf durch eine massive Unterschriftenaktion gegen Otto Schilys Staatsbürgerrechtsnovelle neu akzentuiert hatte, war die Stimmung der Wähler plötzlich umgeschlagen. Die außerparlamentarische Aktion war geschickt berechnet: Am Tapeziertisch mit Partei-Emblem konnte die Benutzung des Kugelschreibers als demokratischer Widerstand der Machtlosen entziffert werden, die nun zum letzten Mittel greifen und ihre Ressentiments öffentlich bekräftigen, ohne sie aussprechen zu müssen: Zwischen Initiatoren und Adressaten der auf "Integration" pochenden Kampagne herrschte stillschweigendes Einvernehmen darüber, daß Integration eine repressive Assimilation voraussetzt.

Dieses Einvernehmen hatten auch die Kampagnen-Beobachter aus dem Reformlager diskret zur Kenntnis genommen. Und so begann nach der überraschenden Wahlniederlage der nach gängigem Maßstab wirtschaftspolitisch eher erfolgreichen rotgrünen Koalition in Hessen die Suche nach Kompromissen.

Bereits am Tag nach der Abwahl Hans Eichels signalisierte SPD-Parteichef Oskar Lafontaine, angesichts der veränderten Machtverhältnisse im Bundesrat müsse nun eine Lösung gefunden werden, die alle mittragen. Mitte letzter Woche stellte Bundeskanzler Schröder Änderungen am Gesetzentwurf des Innenministers in Aussicht: Die vorgesehene doppelte Staatsbürgerschaft solle "mit deutlichen Einschränkungen" in Kraft treten. Zwei Tage später bekräftigte Schily selbst: "Die Koalition wird an der Hinnahme von Mehrstaatigkeit, wo diese der Erleichterung der Integration dient, festhalten." Neu zu diskutieren sei aber, "für welchen Kreis von Personen dies gilt und ob die Hinnahme der Mehrstaatigkeit befristet werden kann".

Die Grünen waren zunächst bockiger: Anfang letzter Woche, am Tag nach der Wahl in Hessen, warnte Parteisprecherin Antje Radcke vor einem Kompromiß "in vorauseilendem Gehorsam", doch 48 Stunden später war auch Fraktionschefin Kerstin Müller der Meinung, angesichts veränderter Bundesratsmehrheiten müsse nun ein Kompromiß her. Am Freitag meldete sich in der taz Daniel Cohn-Bendit zu Wort: "Das Elementare dieses Jahrhundertgesetzes ist die Verankerung des jus soli, das hier geborenen Kindern von Zuwanderern die deutsche Staatsbürgerschaft sichert. Es ist auch nicht falsch, hierfür eine möglichst breite parlamentarische Mehrheit zu suchen. Die doppelte Staatsbürgerschaft, die jetzt zum Fetisch für Gesinnungsethiker geworden" sei, gehöre in diesem Gesamtvorhaben "eher zum Kleingedruckten".

Dennoch gibt es in beiden Regierungsparteien noch nennenswerte, allerdings unterschiedlich motivierte Vorbehalte gegen eine Einigung mit CDU und FDP. Nachdem in der Öffentlichkeit etabliert ist, unter Schröder-Fischer werde nach dem Zufallsprinzip regiert, wächst die Sorge ums Profil - nicht zuletzt innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. "Erst wird zu einem Thema irgendwas in die Welt gesetzt, dagegen gibt es Widerstand, dann kommen die sachlichen Einwände, dann die übergeordneten Einwände, dann wird nachgebessert", so einer der SPD-Abgeordneten, die mittlerweile laut und häufig darüber nachdenken, Parteichef Lafontaine zur Strukturierung der Regierungsarbeit einzuspannen.

Bei den Bündnisgrünen wächst nach der Niederlage in Sachen Atomausstieg die Furcht, demnächst vollends als Schröders Hofnarren dazustehen, insbesondere, nachdem sich der Kanzler die Freiheit nahm, seinen Kurswechsel zur Frage der Einbürgerung im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu verlautbaren. Bei dieser Gelegenheit hatte Schröder auch klargestellt, auf welches Maß er die Grünen gerne zurückgestutzt sähe: "Mehr Fischer, weniger Trittin".

Neben jenen, die der Schily-Vorlage aus taktischen Gründen zunächst treu bleiben wollen, gibt es in beiden Regierungsparteien noch Leute, denen der Entwurf des Innenministers ehrlich am Herzen liegt. Ein optimistisches Kalkül: Man werde sich die erforderliche Bundesratsmehrheit bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft im Juni zurückholen und die Sache bis dahin verzögern. Eine andere Variante: Den rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck, der mit der FDP regiert, dazu bringen, die Stimmen seines Landes im Bundesrat zu Stimmen für die Schily-Vorlage zu machen.

In Wirklichkeit aber scheint deren Schicksal besiegelt: Während CDU-Chef Schäuble Gespräche generell ablehnte, möchten FDP-Funktionäre gerne mit der Bundesregierung über das - schon älteres - Optionsmodell der Liberalen reden. Demzufolge sollen in der Bundesrepublik geborene Kinder von Nichtdeutschen einen Doppelpaß erhalten, müssen sich aber als junge Erwachsene für eine einzige Staatszugehörigkeit entscheiden.

Hier ist Kreativität gefragt: Nach Ansicht des rheinland-pfälzischen FDP-Vorsitzenden Rainer Brüderle müßte das betreffende Alter zwischen 18 und 25 Jahren liegen. Ministerpräsident Beck schlug zudem vor, erwachsenen Nichtdeutschen eine auf drei Jahre befristete Doppelstaatsangehörigkeit zu offerieren. Innenminister Schily mischt in dieser Debatte bereits munter mit, ungeachtet der bisher von der SPD gegen eine solche Lösung immer angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken: Das Grundgesetz verbietet klipp und klar jede Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. Noch.

Während Grünen-Vorstandssprecherin Gunda Röstel eine solche Lösung ziemlich brav als "augenblicklich kaum verfassungskonform" ablehnte, wächst die Koalition der Befürworter des Optionsmodells auch außerhalb der Politik. In der SZ kommentierte Heribert Prantl: "Der Doppelpaß wird für eine klar bemessene Frist gewährt. Den Grünen, die von ihrer klaren Position abrücken müssen, könnte ein so geänderter Entwurf dadurch schmackhaft gemacht werden, daß der Kreis der Einbürgerungsberechtigten erweitert wird. Das klingt fast wie eine salomonische Lösung" - wobei Prantl listig hofft, daß bei der fälligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "in vier oder fünf Jahren" die Befristung des Deutschseins "still und leise wieder entfallen kann".

Die Zeit tat furchtbar aufgeweckt und titelte letzte Woche: "Jetzt brauchen wir ein neues deutsches Staatsbürgerschaftsrecht." Der frische Gestus, mit dem der Schily-Entwurf in den Mülleimer verabschiedet wird, will darüber hinwegtäuschen, daß die Reise zurück geht: Das energische Plädoyer für eine Übernahme der französischen Optionskonstruktion mit einem Mix aus Territorial- und Abstammungsprinzip endet mit der etwas gequälten Feststellung, in Frankreich werde eine Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit "in der Regel nicht verlangt". Trotzdem, und ohne weitere Begründung: "Wer nur in unserem Land gelebt hat, von dem kann man eine eindeutige(re) Entscheidung verlangen."

Bereits Schilys Vorlage war - eingedenk der Vordiskussion und mit den Forderungen nach Sprachkenntnissen und strafrechtlich einwandfreien Lebensläufen - ein Kompromiß. Die aktuellen Vorschläge aber befreien - wie in der Asyldebatte - das Recht von seinem Kern. Im Zentrum des Streits stand von Beginn an die Frage, ob und wie man die Loyalität der Doppelstaatsbürger zu Deutschland sicherstellen kann.

Während die CDU darauf setzen konnte, daß die völkischen Abteilungen des Mobs diese Frage konventionell verstehen und beantworten würden, haben aufgeklärtere Fraktionen aller Parteien und Schichten - teils zur Beschwichtigung des Volkszorns - die Pflicht zum patriotischen Bekenntnis entdeckt. War ursprünglich beabsichtigt, einen großen Teil der hier lebenden und arbeitenden Nichtdeutschen mit einem Mehr an Rechten auszustatten, sollen diese nun eine aktenkundige Gegenleistung erbringen.

Der damit enstehende Zwang zur klaren Entscheidung für eine staatsbürgerliche Identität hat in Deutschland einen Hintergrund, dessen Tradition auch in der betont verfassungspatriotischen Rede immer durchklingt. Nach der Wahl in Hessen, so die Zeit in ihrem Plädoyer gegen eine dauernde doppelte Staatsbürgerschaft, "reden viele vom Zwang zum Konsens. Wer ihn europäisch konzipiert, handelt zugleich im nationalen Interesse."
nach oben