Apo-Napping und Randale

Von Schröders Heuchelei bis zu altlinkem Antisemitismus: Über die deutsche Unfähigkeit, mit den Kurden-Protesten umzugehen

Nach der spektakulären Entführung Öcalans und der widerwärtigen Inszenierung dieses Triumphes seitens der Türkei kam, was kommen mußte: Wütende und teilweise fehlgeleitete kurdische Protestaktionen halten die Öffentlichkeit in ganz Europa in Atem. Die kurdische Empörung hat einen realen Kern, der die nationale Weltsicht der Kurden, daß ihre legitimen Forderungen nach einem Leben in Frieden und Freiheit ständig instrumentalisiert und mißachtet werden, in der historischen Dimension zahlreicher niedergeschlagener Erhebungen bestätigt hat. Das muß vor aller notwendigen Kritik an Formen und Inhalten festgehalten werden.

Öcalan, die PKK und die derzeit in den Medien so gern beschworenen "kurdischen Anliegen" wurden in zynischer Weise zum Spielball internationaler Machtpolitik gemacht. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß vor dem Hintergrund der bekannten Verhältnisse internationaler Machtpolitik viele prokurdische Appelle an Völkerrecht und internationale Zivilgesellschaft bestenfalls naiv wirkten. Die jetzt in Deutschland wie in ganz Europa erhobenen Forderungen nach einem rechtsstaatlichen Prozeß sind angesichts des zuvor mit Öcalan betriebenen Schwarzer-Peter-Spiels pure Heuchelei. Und Kanzler Schröders Rede von einem Konflikt, "mit dem wir nichts zu tun haben", kann angesichts der jahrelangen militärischen und politischen Unterstützung des türkischen Militärstaates bei seinem inneren Krieg gegen die Kurden nur als Gipfel der Verlogenheit bezeichnet werden.

Viel spekuliert wird nun über die Frage, ob in der jetzt definitiv ihres charismatischen Vorsitzenden beraubten PKK sich nun die "Falken" oder die "Tauben" durchsetzen. Als ob es nicht auf der Hand läge, daß nach den Erfahrungen, die mit der faktischen Auslieferung des PKK-Chefs an die Türkei durch die "internationale Staatengemeinschaft" endeten, nun in der PKK diejenigen an Gewicht gewinnen, denen diplomatisch-politische Wende und Abwendung vom bewaffneten Kampf ohnehin nie ins Konzept gepaßt haben.

Es ist müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sich nun "Diplomaten" wie der PKK-Europasprecher Kani Yilmaz oder jemand aus dem Kreis der guerilla-kriegserprobten ARGK-Feldkommandanten durchsetzt. Interessant für kritische Linke kann bei den zu erwartenden PKK-internen Fraktionskämpfen ohnehin nur eine Frage sein: Ob es eine Chance gibt, daß relevante Teile der Bewegung von Führer- und MärtyrerInnenkult und dem bislang gepflegten völkisch-antiimperialistischen Weltbild Abschied nehmen. Die Ereignisse, welche die jetzige Situation herbeigeführt haben, bieten da allerdings kaum Anlaß zu Optimismus.

Die Folgen dieser PKK-Ideologie prägen denn auch oft Formen und Inhalte der kurdischen Proteste. Daß die Verehrung der jetzt eingesperrten "Sonne Kurdistans" auch weiterhin bis zur Selbstverbrennung reicht, ist eben nicht zuletzt auf den Apo-Personenkult und die jahrelange pseudoreligiöse Verklärung solchen Handelns als höchstem Patriotismus durch Öcalan und die gesamte Parteipropaganda zurückzuführen - auch wenn jetzt serienweise PKK- und ERNK-Sprecher an die kurdischen Massen gegen Selbstverbrennungen appellieren.

Erst recht gilt dies für den tödlichen Vorfall in der israelischen Botschaft in Berlin. Auch in diesem Fall kann die kurdische Bewegung um die PKK nicht von der Verantwortung für ihre aggressive anti-israelische und allemal mit deutlich antisemitischen Untertönen verbundene Rhetorik entlastet werden. Diese hat wiederholt zur Veröffentlichung offen antisemitischer Artikel in der kurdischen Presse geführt und sich in den letzten Jahren vor allem an der türkisch-israelischen Militärkooperation entfaltet.

So stand eine zentrale Rolle des Mossad bei der Öcalan-Entführung für die meisten KurdInnen sofort fest - obwohl die entscheidende Mitwirkung der USA bei dem Debakel offen zutage lag und es für eine nähere Beteiligung Israels außer einem angeblichen Dank Ecevits an Israel, der sich bis heute nicht belegen läßt, keinerlei Beweise für diese Anschuldigung gibt.

Keinesfalls soll damit die Verantwortung für die tödlichen Schüsse in der israelischen Botschaft den kurdischen Opfern selbst zugeschrieben werden. Politisch voll verantwortlich sind aber diejenigen kurdischen Kader, welche diese wahnsinnige Aktion veranlaßt, organisiert oder auch nur zugelassen haben. Sie mußten nämlich wissen, daß der Versuch einer Besetzung des israelischen Konsulats nicht mit der irgend einer anderen Botschaft zu vergleichen ist. Ein solcher Versuch birgt ein möglicherweise tödliches Risiko, weil das israelische Sicherheitspersonal wegen zahlreicher mörderischer Angriffe auf israelische Botschaften in aller Welt bekanntermaßen Schießbefehl hat.

Die Frage der politischen Verantwortung für die fatale Aktion darf auch nicht mit der Kritik an dem vorschnellen und tödlichen Schußwaffengebrauch durch die israelischen Sicherheitskräfte vermengt werden. Diese wurde übrigens zuerst von der israelischen Presse geübt. Kritisiert wurde dort vor allem der Einsatz von rein auf militärische Auseinandersetzungen gedrillten Elitesoldaten in der Botschaft, die auf eine polizeimäßige Abwehr von lediglich mit Schlagwerkzeugen bewaffneten militanten Demonstranten offenbar nicht eingestellt waren.

Berechigt sind allerdings auch die Vorwürfe gegen die Berliner Polizei und den geheimdienstlich erfahrenen Innensenator Eckart Werthebach. Alle bislang aufgezählten Fakten waren mit Sicherheit auch dort bekannt. Es war also damit zu rechnen, daß sich die Mossad-Gerüchte bei den emotional aufgeheizten kurdischen AktivistInnen zur antiisraelischen Aktion verdichten. Gerade angesichts der martialischen Polizeiaufmärsche, mit denen sonst selbst kleinen und vergleichsweise gelassenen Demonstrationen PKK-naher kurdischer Aktivisten begegnet wird, ist es unverständlich, warum es nicht möglich gewesen sein soll, jede direkte Konfrontation zwischen dem Sicherheitspersonal der Botschaft und kurdischen Demonstranten von vornherein auszuschließen.

Die internationale Mossad-Gerüchteküche hat sicher auch ihren Teil zur Aufheizung der Stimmung gegen Israel beigetragen. Zu Recht wurde in Israel kritisiert, daß sich die deutschen Medien daran mit besonderer Inbrunst beteiligten. Wie sich auch der notorische deutsche Opferwahn auf die Kurden projiziert, gab eine Anwohnerin des Israelischen Konsulates dem Berliner Fernsehen am Mittwochabend zu Protokoll. Sie fühlte sich an "die Bombennacht in Dresden erinnert, die ich als Kind miterleben mußte".

Auch auf seiten der Restlinken kochte erwartungsgemäß der den deutschen Antiimperialismus kennzeichnende Antizionismus wieder hoch. Öcalan-Anwalt Eberhardt Schultz zog in einem Interview der jungen Welt vom 17. Februar ganz im Duktus der PKK-Propaganda gegen die türkisch-israelische Miltärkooperation vom Leder - eine Kooperation "nicht nur gegen die Palästinenser und die arabischen Völker, sondern auch gegen die kurdische Befreiungsbewegung". Kommentator Werner Pirker setzte dem die Krone auf: "Das Vollzugsorgan des israelischen Staatsterrorismus ist mehr als jeder andere Dienst auf Gangsterstücke jenseits aller zivilisatorischen Normen spezialisiert" - so stilisierte er Israel zum eigentlichen Drahtzieher der Entführung Öcalans. Nachdem noch am selben Tag drei KurdInnen das Ausagieren ähnlicher Ideen in der israelischen Botschaft mit dem Leben bezahlt hatten, herrschte erstmal betretenes Schweigen bei den Treptower Antizionisten. Am Donnerstag war dann plötzlich auch in der jW von "Gerüchten über eine Beteiligung des israelischen Geheimdienstes Mossad" die Rede, welche die KurdInnen zu ihrer Aktion mit tödlichem Ausgang veranlaßt hätten.

Freilich ohne auch nur zu erwähnen, geschweige denn selbstkritisch zu reflektieren, daß und warum diese im eigenen Blatt heftigst mitgeschürt worden waren.

Auch auf den Demonstrationen am Wochenende wurde heftig antizionistische Propaganda verbreitet. Besonders unangenehm tat sich hier eine Gruppe "revolutionäre Kommunisten" mit einem sowohl in Hamburg wie in Berlin verteilten Flugblatt hervor, in dem Israel als "der einzige Staat in der Welt" diffamiert wird, "in dem Folter für legal erklärt wurde und tagtäglich vom Staat offen praktiziert wird". Dem wird in einem anderen, breit verteilten Aufruf für die (von Innensenator Werthebach verbotene) Berliner Demo am Sonntag entgegengetreten: "Öauch wenn es israelische Sicherheitsbeamte waren, die die tödlichen Schüsse abfeuerten, werden wir antisemitische Einfärbungen im Protest gegen die Vorfälle nicht dulden". Richtig, aber wieso muß Antisemitismus mit den Schüssen in der Botschaft überhaupt in Verbindung gebracht werden, als ob da ein ursächlicher Zusammenhang bestünde?