Die Stunde der Abschieber

Jeder kennt in Bonn das Patentrezept gegen weitere "Kurdenkrawalle": Weitere Abschiebungen und Repression gegen die PKK

Kay Nehm kann froh sein, daß es die PKK gibt. Ohne die militante Kurden-Organisation wäre der Generalbundesanwalt nämlich seinen Job los. Zu keiner einzigen Anklage hätte er es im vergangenen Jahr gebracht, mußte Nehm auf seiner Jahrespressekonferenz am Mittwoch vergangener Woche gestehen. Und auch die Zahl der neuen Ermittlungsverfahren bei der Bundesanwaltschaft hätte um zwei Drittel niedriger gelegen, wäre nicht die Kurdische Arbeiterpartei. Mit leichtem Bedauern dürfte Nehm feststellen, daß der Vorrat aber langsam zur Neige geht: 25 Personen wurden schon als Regional- oder Gebietsverantwortliche der seit dem 22. November 1993 verbotenen "kriminellen Vereinigung Kurdische Arbeiterpartei (PKK)" oder der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK)" verhaftet; strittig ist, ob es daneben noch fünfzehn weitere gibt oder doch nur fünf.

Doch für fünf Jahre zumindest hat sich das PKK-Verbot als effektive Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für einen ansonsten zunehmend auch nach seiner eigenen Logik obsoleten Apparat erwiesen. Ob das Verbot auch seinem erklärten Zweck, die Tätigkeit der PKK zu unterbinden, gerecht geworden ist, steht auf einem anderen Blatt. Nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzes konnte die PKK ihre Anhängerschaft seit dem Verbot verdoppeln; 9 000 der 500 000 in Deutschland lebenden Kurden rechnet die Behörde jetzt dem PKK-Umfeld zu. 50 000 Menschen kann die PKK nach offiziellen Schätzungen zu Demonstrationen mobilisieren; der Kreis der Sympathisanten dürfte noch erheblich größer sein - insbesondere in Zeiten erhöhter Repression, wie etwa seit der Entführung von PKK-Chef Abdullah Öcalan durch den türkischen Geheimdienst Mitte Februar, solidarisiert sich der überwiegende Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung kurdischer Herkunft mit der Befreiungsbewegung.

Nicht gerade eine Erfolgsbilanz für die Bonner Regierung. Dennoch handelt sie auch hier nach der Devise: "Wir wollen nicht alles anders machen, aber vieles besser." Bundesinnenminister Otto Schily ist sich nach wie vor sicher, daß im Zweifel das schlichte Nachkochen Kantherscher Rezepte den gewünschten Erfolg bringt: "Die generalstabsmäßig ausgeführten Gewalttaten der kurdischen Organisation PKK sind für die Bundesregierung der unwiderlegliche Beweis dafür, daß das von der früheren Bundesregierung verhängte Verbot der PKK richtig war und daß die Entscheidung der neuen Bundesregierung, das PKK-Verbot aufrechtzuerhalten, ebenfalls richtig ist", formulierte Schily in seiner Regierungserklärung

Wenn das die Vorstellung der deutschen Regierung von einem Generalstab ist, dann braucht sich Milosevic keine übertriebenen Sorgen machen. Doch noch erstaunlicher ist, wie unbeleckt Schily von jeglicher Dialektik ist: Wenn etwas in der Lage wäre, zum einen die Konfrontation zwischen dem deutschen Staat und der PKK zumindest zu entschärfen, zum anderen auch die Organisation zu schwächen, dann wäre es die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots. Seit mehreren Jahren ist es das erklärte Ziel der PKK-Führung, gute Beziehungen zu den Regierungen Westeuropas herzustellen, um auf diplomatischer Ebene für den Kurden-Staat zu kämpfen. Ein Ziel, das durch das PKK-Verbot unmöglich gemacht wird. Wer sich als Gesprächspartner verweigert, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er als Kriegspartei angenommen wird. Doch die Buhfrau der vergangenen Woche, von Schily bis zum CDU-Hardliner Erwin Marschewski, war die Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Angelika Beer, die es vor zwei Monaten gewagt hatte, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen.

Nicht die PKK ist es aber, welche die Bundesrepublik in die Rolle der Kriegspartei zwingt - Bonn macht sich im Gegenteil durch die enge militärische Kooperation mit der türkischen Regierung selbst dazu. In Lizenz des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch wird der türkische Militär-Konzern MKEK demnächst die Produktion von rund einer halben Million Sturmgewehren des neuen Typs G36 aufnehmen, dessen 5,56-Millimeter-Hochgeschwindigkeitsmunition schon bei einem bloßen Streifschuß töten kann. Wie die Fachzeitschrift Jane's Defence Weekly berichtet, soll der Heckler & Koch-Partner außerdem während des kommenden Jahrzehnts den gesamten Bedarf der türkischen Armee an G36-Munition sowie an Patronen für das Auslaufmodell G7 und die ebenfalls aus der schwäbischen Waffenschmiede stammenden Maschinengewehre MG3 decken. Eine geplante MKEK-Fabrik in Kirõkkale nahe Ankara soll zusätzlich in der Lage sein, täglich 500 Bomben mit Sprengstoff zu befüllen und den gesamten Bedarf der Türkei an Artilleriemunition herzustellen. Der überwiegende Teil dieser Munition soll dem Krieg in Kurdistan dienen. Daß Abdullah Öcalan trotzdem bis zuletzt immer wieder bereit war, sich mit Abgesandten der deutschen Regierung zu treffen, sollte eigentlich ausreichen, um ihm den Ruf eines besonnenen Staatsmannes einzubringen.

Doch für die Bundesregierung bleibt der Konflikt mit den Kurden in erster Linie ein ordnungsstaatliches Problem. Nicht nur der bündnisgrüne Abgeordnete Cem Özdemir ließ bei der Bundestagsdebatte "zu den gewalttätigen Aktionen aus Anlaß der Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan" am Dienstag vergangener Woche keine Gelegenheit aus, um mit kräftigem Applaus für die deutschen Polizisten jeden Verdacht des vaterlandslosen Gesellentums auszuräumen. Auch die Politiker fast aller anderen Parteien nutzten die Gelegenheit, auf dem auflodernden Zorn der kurdischen Bevölkerungsgruppe ihr Süppchen zu kochen. Das ging von Berlins CDU-Generalsekretär Volker Liepelt, der "als Konsequenz aus den Kurdenkrawallen" eine bessere technische Ausrüstung seiner Polizei forderte, bis zu Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die ihre Forderung erneuerte, bei krawallierenden Ausländern regelmäßig Schnellverfahren zur Anwendung kommen zu lassen. Stolz verkündete Schily in seiner Regierungserklärung, in Stuttgart sei schon ein Kurde zu acht Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden; das zeige die ganze Härte des Rechtsstaats, die hier zum Einsatz kommen müsse.

Noch weiter geht erwartungsgemäß Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), der eine Gesetzesinitiative ankündigte, mit der sein Land erreichen wolle, daß "gewalttätige Ausländer" auch ausgewiesen werden können, ohne überhaupt rechtskräftig verurteilt zu sein. Auch CDU-Chef Wolfgang Schäuble forderte, "zumindest bei schwerem Landfriedensbruch" solle "eine Ausweisung bereits vor dem rechtskräftigen Urteil erfolgen können". Der Rechtsgrundsatz, daß ein Verdächtiger erst dann als Täter behandelt werden darf, wenn ein Urteil gegen ihn gesprochen wurde, gilt schon jetzt nur noch für Deutsche: Eine unbekannte Zahl von Kurden sitzt nach der Unruhen der vergangenen Wochen in Abschiebehaft; am Wochenende sind in Büren und Berlin zwei von ihnen in Hungerstreik getreten.

Eigentlich steht einer Abschiebung mutmaßlicher PKK-Aktivisten in die Türkei nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die Europäische Menschenrechtskonvention entgegen, die eine solche Maßnahme nicht gestattet, wenn Folter und Mord drohen. Das hatte schon Schilys Vorgänger Manfred Kanther gestört. Er initiierte deswegen einen Briefwechsel mit seinem türkischen Amtskollegen, welcher klären sollte, ob es möglich wäre, von der Türkei Zusagen über die Einhaltung von Menschenrechten zu erhalten.

Daß es sich bei einer solchen Zusage nur um Augenwischerei handeln kann, wenn ein Staat schon die aktuellen bewiesenen Menschenrechtsverletzungen leugnet, focht Kanther nicht an. Nachdem Schily noch am Dienstag letzter Woche die Ansicht vertreten hatte, die Erfahrungen, die auf der Grundlage des Kantherschen Schriftwechsels gemacht worden seien, "begründen jedoch nicht allzu große Erwartungen, daß wir auf diesem Wege weiterkommen", kündigte er bereits am Donnerstag nach einer Sonderkonferenz der Innen- und Justizminister an, erneut Kontakt mit der türkischen Regierung aufzunehmen um "die Belastbarkeit dieses Briefwechsels" zu prüfen.