»Wenn der Knecht ein Herr sein will Ö«

Stefan Ruzowitzkys Alpendrama erzählt von einem zum Scheitern verurteilten Experiment im bäuerlichen Österreich der zwanziger Jahre

Es gab mal eine Zeit, da hatte das Glück noch einen Namen: AMERIKA. Selbst die einfachen Mägde und Knechte, die irgendwo auf dem Land am Schuften waren, hatten schon mal davon gehört. Und manchmal, wenn sie ganz übermütig waren, sagten sie - auf die Gefahr hin, die anderen könnten sie für übergeschnappte Schwätzer halten (denn gemeinhin sprachen sie nicht viel, und schon gar nicht von Zukunft und Veränderung): "Du, irgendwann, da geh' ich hier weg - nach Amerika. Willst' mitkommen?" - "Aber das is weit ..." - "Dann gehen wir eben recht früh los."

Der Wiener Filmemacher Stefan Ruzowitzky hat sich gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn das Glück für die von Geburt an Rechtlosen plötzlich faßbar geworden wäre, ganz konkret im Hier und Jetzt. Was wäre passiert, wenn ein eigenbrötlerischer Bauer, um der Dorfgemeinde noch posthum eins auszuwischen, seinen Knechten und Mägden Hof und Besitz vererbt und die ihr Schicksal auf einmal selbst in der Hand gehabt hätten?

Den gehemmten, aber durchaus nicht auf den Kopf gefallenen Knecht Severin (Lars Rudolph) läßt der Regisseur und Drehbuchautor in einem lakonischen und in seinem naiven Tonfall eigentümlich fesselnden Off-Kommentar von den unerhörten Vorfällen in der oberösterreichischen Provinz, irgendwann in den späten zwanziger Jahren, berichten. Angefangen mit der Schilderung des eintönigen Alltags, als sein kauziger Herr, der Hillinger-Bauer, noch lebte: "Einmal war der Bauer betrunken. Da hat er gesagt, heute ist ein lustiger Tag, da sollen die Dienstboten Lieder vorsingen. Dabei hat er dann geweint und jedem nachher einen ganzen Gulden geschenkt. Obwohl er eigentlich ein böser und geiziger Mann war. Das ist das einzig wirklich Seltsame gewesen, was ich hier erlebt hab' am Hof, und ich war schon einige Monate da."

Doch dann liegt der Hillinger plötzlich mit aufgeschlitzter Kehle im Hof. Die übrigen Bauern haben das vermeintlich herrenlose Erbe bereits unter sich aufgeteilt, als im Dorfkrug das Testament verlesen wird, in dem lediglich der "Herr Pfarrer, der so christlich ist wie mein Arsch schön", mit einer Fuhre Milch bedacht wird, Hillingers Gesinde aber mit dem gesamten Gut, "zur gemeinsamen Hand, und hoffentlich schlagen sie sich gegenseitig tot, wenn sie drum streiten".

Ein Landkollektiv aus sieben Knechten und Mägden - sowas hatte es innerhalb der starren Strukturen der ländlichen Gesellschaftsordnung noch nie gegeben. "Und alle haben gesagt, das wird schon aus der Welt geschafft werden. Denn was es noch nie gegeben hat, das darf es auch jetzt nicht geben. So denken die nämlich am Land."

Daß es am Anfang tatsächlich nicht einfach war, die neue Idee einer gleichberechtigten Arbeits- und Lebensgemeinschaft zu verwirklichen, das will der Erzähler Severin nicht verschweigen. Einmal zum Selbstbewußtsein erwacht, weist die von der stimmgewaltigen Sophie Rois gespielte Magd Emmy jedoch jeden Rückfall in männliches Kommandiergehabe in unüberbietbar schrillen Ausfällen erfolgreich zurück. Vor ernsthaftere Probleme stellt die neuen Gutsbesitzer da schon eher die vom liebenswerten Hitzkopf Lukas (Simon Schwarz) verordnete Freizeit: "Sonntags wird nicht gearbeitet, da raucht der Bauer eine Pfeife und trinkt einen schönen Kaffee."

Wer aber soll den Kaffee kochen, wo doch die anderen auch alle Bäuerinnen und Bauern sind? Erst nach und nach entdecken die "Siebtelbauern", wie sie die Dorfbewohner abschätzig nennen, die Vorzüge des selbstbestimmten Lebens, tanzen zu italienischen Opern vom Grammophon (wobei auch ganz egal ist, daß sie den Text nicht verstehen, weil: der "is amerikanisch") und tauchen schließlich sogar zum Ärger der Stammtischrunde im Wirtshaus auf.

Weil die Prophezeiung der Dorfbauern: "Wenn der Knecht ein Herr sein will, dann gibt's ein Unglück!" (die Emma mit einem trockenen "Sagen die Herren" kommentiert), von selbst partout nicht eintreffen will, die Siebtelbauern ganz im Gegenteil immer erfolgreicher wirtschaften, ja sogar ihre Kühe mehr Milch geben, seit sie sie nicht mehr nach dem Alphabet aufstellen, sondern so, wie sie sich mögen, weil man der "gottlosen Sippschaft" also höchstens die Schuld am verfrühten Wintereinbruch zuschieben kann, müssen die frommen Dörfler nachhelfen und das Unglück schließlich gewaltsam herbeiführen.

Mit den wuchtigen Bildern seines Finales bestätigt Ruzowitzky nicht nur eine zentrale These aus dem Werk seines Landsmanns wider Willen Thomas Bernhard, nämlich daß die Brutalität und Gewalttätigkeit der Leute auf dem Land "naturgemäß" immer noch ein Stück infamer ist als die Brutalität und Gewalttätigkeit der Städter.

Deutlicher noch stellt sich der Theaterregisseur in seiner zweiten Arbeit fürs Kino in die Tradition Ödön von Horv‡ths, der, etwa in seinen "Geschichten aus dem Wiener Wald", die widerwärtigsten Biertischtümeleien chauvinistischer Männerbünde bis an die Grenze des Erträglichen auf der Bühne durchexerzieren ließ. Und wenn dann auch noch Ulrich Wildgruber als großbäuerlicher Patriarch lospoltert: "Ein Bauer ist ein Bauer, das ist schon so. Es ist ja auch kein Mann eine Frau und kein Esel ein Pferd ... Der Herrgott will, daß es so bleibt, wie es ist und wie's immer war", und Rois als resolute Magd kontert: "Vielleicht ist ihm aber grad ein bissel fad geworden, dem Herrgott" -, dann klingt so ein Rede-Duell zwischen den beiden Bühnengrößen neben den eher wie improvisiert wirkenden Alltagsszenen doch beinahe eine Spur zu sehr nach geschliffenem Theaterdialog.

Auf der Suche nach einer originellen Genre-Bezeichnung haben Kritiker Ruzowitzkys auf kleinen Festivals präsentierten Anti-Heimatfilm, immer wieder gerne als "Alpenwestern" bezeichnet - von wegen "Die glorreichen Sieben", und weil es ja irgendwie auch um Kuhjungen und die Verteilung von Land geht. Dabei zeichnet sich der Film gerade durch Witz, Spannung und eine alles andere als eindimensionale Handlung aus, also kurz: durch so ziemlich alle Qualitäten, die einem Western gemeinhin abgehen. Sogar den US-Amerikanern scheint das, den begeisterten Kritiken zufolge (Los Angeles Times: "One of the most accomplished and rewarding films of the year!", New York Post: "Electrifying!"), schon aufgefallen zu sein. Daß die da, in Amerika, jetzt alle nichts wie weg wollen - nach Österreich, aufs Land, bleibt aber doch eher unwahrscheinlich.

"Die Siebtelbauern" ("Manchmal werden auch die Armen reicher"). Österreich 1998. Regie: Stefan Ruzowitzky. D: Sophie Rois, Simon Schwarz u. a. Start: 4. März