Alle Türen offen

Unabhängigkeit oder Friedensplan: Die Kosovo-Albaner sind bei der Frage nach einer Unterzeichnung des Rambouillet-Abkommens zerstritten

Vorfreude ist eben oft die schönste Freude. Dies mußte auch der nach politischem Erfolg dürstende US-amerikanische Ex-Senator Bob Dole am vergangenen Wochenende zur Kenntnis nehmen. Am Freitag traf Dole als Abgesandter von US-Außenministerin Madeleine Albright in der mazedonischen Hauptstadt Skopje ein, um mit Vertretern der Kosovo-Albaner über die Zustimmung zum Friedensplan der internationalen Kontaktgruppe zu beraten. Wider Erwarten hatte der inzwischen 74jährige Ex-Präsidentschaftskandidat, der sich während seiner Senatszeit mit den Minderheiten am Balkan beschäftigt hatte, leichtes Spiel: Schon am Samstag konnte Dole in London der Öffentlichkeit einen Durchbruch bei den Verhandlungen präsentieren: "Ich denke, sie werden ihr Wort halten, und das heißt, daß sie am Sonntag unterschreiben werden."

Doch da hatte sich der US-Amerikaner ordentlich verkalkuliert. Am Sonntag wollte keiner der beteiligten Kosovo-Albaner in Pristina mehr etwas von einer baldigen Vertragsunterzeichnung wissen. Im Büro des kosovo-albanischen Informationszentrums KIZ in Pristina hatte man auch keine Informationen über eine bevorstehende Zustimmung.

Vorsichtiger bei der Einschätzung der Kosovo-Albaner zeigte sich der US-Botschafter in Mazedonien, Christopher Hill. Der Diplomat, der schon die Friedensgespräche im französischen Rambouillet geleitet hatte, sprach lediglich von "guten Fortschritten" und erwartete, daß die Kosovo-Albaner die Vereinbarung "rechtzeitig" unterschreiben würden.

Ursache für zumindest "gute Fortschritte" oder eine "rechtzeitige Unterschrift" der UCK unter den 83 Seiten starken Friedensplan war der Rücktritt des nervösen politischen Vertreters der UCK, Adem Demaci. Er war auch stets mit der kosovo-albanischen Delegation bei den Friedensgesprächen in Rambouillet telefonisch verbunden. In einem Krankenhaus in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana an einer Diabetes laborierend, schärfte der 62jährige seinen Vasallen in Rambouillet Durchhalteparolen ein. Die Tagesparole lautete immer gleich: An der Forderung nach einer Unabhängigkeit des Kosovo ist festzuhalten.

Nachdem Demaci am vorvergangenen Dienstag als politischer Chef der Guerilleros zurückgetreten war, atmete die Kontaktgruppe auf. Madeleine Albright, selbst nicht unbedingt mit einem kompromißbereiten Charakter gesegnet, erwartete von Demacis Rücktritt eine Entspannung der Situation. Unmittelbar nach Bob Doles Jubelmeldung, die UCK würde lammfromm den Friedensplan unterschreiben, wandte sich die US-Außenministerin wieder der jugoslawischen Seite zu. Slobodan Milosevic habe nun verstärkten Druck aus dem Westen zu erwarten, meinte Albright.

Als Reaktion auf die Wunder und Zeichen, die Bob Dole bewirkt zu haben schien, spielte auch die Nato zwei Varianten für einen Kosovo-Einsatz durch: Wenn beide Seiten unterschreiben, würde die Nato eine 30 000 Mann starke Friedenstruppe in das Kosovo entsenden. Sollten nur die Albaner, aber nicht die Serben dem Plan zustimmen, würden spätestens in der zweiten Märzhälfte Luftangriffe gegen serbische Militäreinrichtungen gestartet werden.

Leider aber ist nun die dritte Möglichkeit eingetreten und die hatte die Nato bislang nicht durchgespielt: Keine der beiden Seiten kann sich bislang zu einer Unterschrift ohne Vorbehalte durchringen. Da nützt auch die geistige Abwesenheit des radikalen Adem Demaci wenig. Schließlich hat er einen Heißsporn als Nachfolger in die UCK-Strukturen integriert: Hashim Thaqi ist der neue politische Kopf der UCK und ein ideologischer Ziehsohn Demacis. Kein Wunder, daß die Kosovo-Albaner bei ihrer wichtigsten Forderung bleiben: Sie möchten nach dem im Friedensplan vorgesehenen dreijährigen Moratorium die Unabhängigkeit des Kosovo durchsetzen. Suleiman Selimi, militärischer Chef der UCK, erklärte am Samstag: "Die UCK wird keine halben Sachen akzeptieren." Unter einer halben Sache verstehen die Befreier vor allem die ebenfalls im Friedensplan vorgesehene Autonomie für das Kosovo.

Nicht weniger Schwierigkeiten machen die Vertreter von Jugoslawiens Präsidenten Slobodan Milosevic. Sie sperren sich gegen so ziemlich jeden Punkt in dem Papier. Die Serben lehnen eine Präsidentschaft für das Kosovo, eine eigeneVerfassung, ein Parlament, ein autonomes Justizsystem und jegliche Veränderung in der serbischen Verfassung vollkommen ab.

Auch die Nato-Truppe auf jugoslawischem Staatsgebiet gerät immer mehr zu einem Stolperstein auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes. Immerhin hatte der jugoslawische Vize-Premier Vuk Draskovic kürzlich die Entsendung einer Friedenstruppe nicht mehr grundsätzlich abgelehnt, diese dürfe aber nicht unter Nato-Kommando stehen.

Nicht unbedingt leichter wird die Sache auch durch den künftigen Chef einer autonomen Kosovo-Regierung und UCK-Hardliner in Personalunion, Hashim Thaqi. Nach dem Ende der Verhandlungen in Rambouillet kehrte Thaqi aus gutem Grund nicht nach Jugoslawien zurück: Er wird in seiner Heimat steckbrieflich gesucht und muß eine zehnjährige Haftstrafe in einem serbischen Gefängnis erwarten. Die jugoslawischen Sicherheitsbehörden werfen ihm vor, mehrere terroristische Anschläge in der Region Glogovac verübt zu haben.

Zwar ist damit Thaqi ein würdiger Nachfolger für Adem Demaci - er schmorte 28 Jahre lang in serbischen Gefängnissen - , für einen künftigen Provinz-Regierungschef scheint aber die Aussicht auf eine zehnjährige Haftstrafe nicht unbedingt ideal zu sein. Vor allem die ohnehin recht bedrängten und damit auch aggressiven Serben werden mit Thaqi ein Problem haben: Sie müssen schon genügend Zugeständnisse an die Vorstellungen der internationalen Kontaktgruppe machen und können einen mutmaßlichen Verbrecher an der Spitze einer autonomen Provinz keinesfalls dulden, will das Establishment nicht endgültig das Gesicht verlieren.

Einzig vernünftig geben sich die gemäßigten Kräfte der Kosovo-Albaner. Ibrahim Rugova, Präsident der Unruheprovinz, hat eine Unterzeichnung des Kosovo-Abkommens noch vor dem 15. März in Aussicht gestellt. Die Aussichten darauf werden erhöht, weil auch das kosovo-albanische Schattenparlament dem Abkommen zugestimmt hat. Beide haben sich damit bei der UCK nicht unbedingt beliebt gemacht: Mit der Akzeptanz des vorgesehenen Autonomie-Status durch Rugova verliert die Forderung der UCK nach Unabhängigkeit an Gewicht und kann auch nicht mehr als unteilbarer Wunsch aller Kosovo-Albaner verkauft werden.

Doch selbst wenn es den Parteien noch gelingen sollte, alle Hindernisse für eine Einigung noch vor dem Beginn neuer Friedensgespräche in Paris am 15. März aus dem Weg zu räumen, wird die folgende Umsetzung im Kosovo entscheidend sein. Wenn nicht alle Seiten im Zaum gehalten werden, könnte am Ende des dreijährigen Moratoriums ein abermaliger Konflikt stehen. Dabei hat die UCK beste Chancen, ihre militärische Position gegenüber der jugoslawischen Bundesarmee zu verbessern: Während die Serben abziehen müssen, könnte die UCK den Nato-Schutzschild vielleicht nützen, um abermals aufzurüsten.

Die Versuchung dazu jedenfalls wird groß sein, weil die politische Zukunft des Kosovo nach Ende der dreijährigen Frist völlig offen ist. Eine Wiederholung der derzeitigen Malaise ist also nicht ausgeschlossen.