Ein Offizier als Demokrat

Schon vor dem Amtsantritt zeigt sich, daß Nigerias neuer Präsident Freunde aus der Vergangenheit und Feinde in der Zukunft hat

Ganz schön absurd: Wenn Ende Mai General Olusegun Obasanjo als neuer Präsident Nigerias vereidigt wird, sollen 15 Jahre Militärherrschaft in dem westafrikanischen Staat zu Ende gehen. Die bisher regierende Militärclique um General Abdulsalam Abubakar will sich dann in die Kasernen zurückziehen. Nicht ohne ein Abschiedsgeschenk: Sie hinterläßt Obasanjo und dem Parlament einen Verfassungsentwurf, der von den Generälen als Grundlage für die künftige Entwicklung des Landes propagiert und dessen Annahme dringend empfohlen wird.

Überdeckt werden sollen so die politischen und wirtschaftlichen Probleme Nigerias, an denen auch die Wahlen und der Wahlsieg von Obasanjo und seiner Demokratischen Volkspartei (PDP) nichts geändert haben. Im Gegenteil: Nachdem der PDP-Wahlsieg am vorvergangenen Sonntag bekannt und in den nächsten Tagen bestätigt wurde, griffen Jugendliche in Lagos Polizeistationen an und lieferten sich mehrtägige Straßenschlachten mit Polizei- und Armee-Einheiten.

Obasanjo stammt zwar ebenso wie der unterlegene Präsidentschaftskandidat Olu Falae aus dem Südwesten Nigerias und definiert sich selbst als Angehöriger der Yoruba, einer Bevölkerungsgruppe, die stärker an der politischen Macht in Nigeria beteiligt sein will. Doch war der General in diesem Landesteil wegen seiner militärischen Laufbahn nie besonders beliebt. Dies änderte sich auch nicht, als er 1979 - da befand er sich seit drei Jahren an der Spitze einer Militärjunta - nach einer knappen und deshalb umstrittenen Wahl die Macht an einen gewählten Präsidenten abgab. Dieser kam aus dem Norden Nigerias, Obafemi Awolowo hingegen, der schon seit der Unabhängigkeit konsequent Yoruba-Interessen vertreten hatte, ging leer aus.

Aber erst seit der Annullierung der Präsidentschaftswahlen von 1993, die Moshood Abiola, ein weiterer Yoruba, fast schon gewonnen hatte, begannen viele Yoruba stärker gegen das Militärregime zu opponieren. Sowohl in der National Democratic Coalition (Nadeco) als auch in vielen Menschenrechtsorganisationen waren die meisten Mitglieder Yoruba. Die Forderung nach einer Abspaltung von Nigeria oder zumindest einer stärkeren föderalen Autonomie-Regelung wurde immer lauter.

Das Mißtrauen der verschiedenen nigerianischen Landes- und Bevölkerungsteile gegeneinander begann, wie so häufig in Afrika, in der Kolonialzeit. Die Briten bevorzugten den islamisch geprägten nördlichen Landesteil und rekrutierten Armee-Angehörige vornehmlich von dort. 1960 entließen sie ein gespaltenes Land in die Unabhängigkeit, die Macht fiel in die Hände der Armee und damit dem Norden zu. Die drei größten Bevölkerungsgruppen - die Ibo im Osten, die Yoruba im Südwesten und die Haussa im Norden - gingen verschiedene Koalitionen ein, um die Einheit des Landes zu erhalten: Zuerst koalierten Haussa und Ibo gegen die aufständischen Yoruba, die sich nicht mit einer dem Norden hörigen Regionalregierung abfinden wollten. Danach verbündeten sich die Haussa mit den Yoruba Ende der sechziger Jahre gegen die Ibo.

Bis heute werden häufig mit Verweis auf diese Zeit erstaunliche Klischees produziert. Hinzu kommen wechselnde Selbst- und Fremdethnisierungen, die an Fragen nach Macht und Einkommen gekoppelt werden: Die Ibo fühlen sich in der nigerianischen Politik machtlos und marginalisiert. Die Yoruba, die in Verwaltung und Wirtschaft stark repräsentiert sind, stellen das Demokratie- und Menschenrechts-Establishment. Den Haussa hingegen gefällt ihre Rolle in Nigeria ganz gut.

So war die Situation vor dem Übergangsprozeß, den der neue Junta-Chef Abdulsalam Abubakar nach dem Tod Sani Abachas im Juni vergangenen Jahres einleitete. Neue Parteien wurden gegründet, die drei stärksten registrierte man nach den Wahlen auf lokaler Ebene: die Demokratische Allianz (AD), die Volkspartei (APP) und eben die PDP. Die AD wurde fast ausschließlich im Südwesten gewählt, ihre politische Führung kommt von dort. Sie ist also eine Yoruba-Partei, vereinigt jedoch auch Gegner der Militärherrschaft aus anderen Regionen. Die APP besteht aus dem Establishment von fünf Parteien, die während Sani Abachas Regierungszeit gegründet wurden und ihm bis zu seinem Tod die Treue hielten. Gewählt wurde die Partei vorrangig im Norden.

Die PDP hingegen wurde von einem Teil der sogenannten G 34-Gruppe, die sich als eine der wenigen politischen Vereinigungen gegen Abacha aussprach, gegründet. Sie verstand es am besten, Repräsentanten aus den verschiedenen Landesteilen zu integrieren und gewann bereits im Herbst letzten Jahres die Lokal- und Gouverneurswahlen. Auch bei den Parlamentswahlen am 20. Februar errang sie eine deutliche Mehrheit in beiden Kammern. Gegen die vermeintlich übermächtige PDP einigten sich APP und AD Anfang dieses Jahres auf einen gemeinsamen Kandidaten, Olu Falae von der AD.

Der von General Abubakar so genannte Übergangsprozeß stand von Beginn an unter der Kontrolle des Militärs und verstärkte so das Mißtrauen der Demokratie- und Menschenrechtsgruppen. Forderungen nach einer Verfassungskonferenz und einer Übergangsregierung der nationalen Einheit wurden von der Junta ignoriert. Statt dessen beauftragte sie eine Kommission, die sich mit Verfassungsfragen beschäftigen sollte. Bis zu den Wahlen lag der endgültige Entwurf noch nicht vor.

Zudem sprachen sich führende Militärs, z. B. Ibrahim Babangida, die ihre Finger in allen Staatsstreichen der vergangenen fünfzehn Jahre hatten, öffentlich für Obasanjo aus und finanzierten seine Präsidentschaftskampagne. Da Gegenkandidat Falae an seinen Forderungen nach Föderalisierung des Landes und Armee-Reform festhielt, kam rasch der Eindruck auf, als wollten die Militärs mit aller Macht Falae vom Präsidentenamt fernhalten.

Die "massiven Wahlfälschungen", die von vielen Wahlbeobachtern bei den Präsidentschaftswahlen Ende Februar bemängelt wurden, galten anfangs ebenfalls als Indiz für ein geheimes Eingreifen der Militärs. Doch beschuldigen mittlerweile die lokalen Beobachter beide Seiten der Manipulation. Vor allem in den Hochburgen der jeweiligen Parteien sei es zu überraschend deutlichen Ergebnissen gekommen. Die Wahlbeobachter der EU und des Commonwealth schrieben in ihren Einschätzungen, die Wahlen würden dem Willen der Bevölkerung entsprechen, denn die Präsidentschaftswahlen hätten in den verschiedenen Regionen die vorhergehenden Abstimmungen bestätigt.

Das Bündnis von APP und AD erkannte das Ergebnis der Wahlen dennoch nicht an. Ob die Auszählung angefochten werden soll, blieb bislang unklar. Fraglich ist auch, ob dieses ungleiche Bündnis lange halten wird. Denn Obasanjo versucht zu spalten: Nach seinem Wahlsieg bezeichnete er Falae als Politiker, der viel zur nigerianischen Politik beitragen könne, und bot ihm einen Posten in einer Regierung der nationalen Einheit an. Falae lehnte allerdings ab. Darauf folgte am vergangenen Freitag die Ernennung von Yakubu Danjuma zum Leiter des Präsidenten-Komitees. Danjuma, die Nummer drei in Obasanjos früherer Militärregierung, hatte sich vor den Wahlen großen Ärger bei den Demokratie-Gruppen eingehandelt, weil er drohte, ins Exil zu gehen, wenn Obasanjo die Wahlen nicht gewinnen würde.

Obasanjo scheint Helfer nötig zu haben. Denn Nigeria steht vor großen wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten. Das ölreiche Niger-Delta, in dem 80 Prozent der nigerianischen Exporteinnahmen erwirtschaftet werden, ist in den letzten zwei Jahren zum Schauplatz von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen geworden. Die Infrastruktur Nigerias ist weitgehend zusammengebrochen, die Korruption in fast allen staatlichen Strukturen ist groß, zahlreiche Mitglieder der verschiedenen Militärregierungen haben sich über lange Zeit aus der Staatskasse bedient. Hinzu kommen ungezählte Menschen, die in den letzten Jahren vom Regime getötet wurden oder die als vermißt gelten. Angehörige und Menschenrechtsorganisationen drängen nun verstärkt auf Aufklärung und Bestrafung.

Obasanjo scheint dies auch zu wollen, dabei aber eine schmerzlose Variante zu bevorzugen. In seiner ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg sprach er sich für die Einrichtung einer Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild aus.