Jetzt hilft nur noch Zen

Die japanische Regierung will die Notenpresse anwerfen, um die Rezession zu bekämpfen

Wer sich Geld leihen möchte, sollte dies jetzt am besten in Japan tun. Der Zinssatz der Bank von Japan hat mit 0,04 Prozent einen historischen Tiefpunkt erreicht und ist damit auf den internationalen Finanzmärkten kaum mehr zu unterbieten. Auf diese Weise hofft die Regierung in Tokio, das marode Bankensystem liquide halten und die schwerste Rezession der Nachkriegszeit bekämpfen zu können.

Das Land steckt im Griff der Deflation: Die sinkenden Preise halten nicht nur die privaten Haushalte zurück, die ihre Einkäufe - in der Hoffnung auf einen anhaltenden Preisverfall - in die Zukunft verschieben, sondern sie blokkieren auch jede Investition. Längst ist die Entwertung der Finanz- auf die Realwirtschaft übergesprungen, die Konkurrenz nimmt selbstzerstörerische Züge an. Mittlerweile sind über drei Millionen Menschen arbeitslos, allein im vergangenen Jahr stieg die Quote um 25 Prozent.

Der schwankende Schuldenberg droht alles unter sich zu begraben. Zentralbankchef Masaru Hayami hat mit drei Gefahren zu kämpfen. Da ist einmal der drohende Kollaps der Banken. Allein 1998 galten offiziell über zwölf Prozent des gesamten Kreditvolumens als Problemfälle - solche Banken rücken auch keine Kredite mehr heraus. Zudem will die Währungsbehörde die Folgen der Staatsverschuldung in Grenzen halten, da sich auch nur ein leichter Zinsanstieg als verhängnisvoll erweisen könnte. Mit einer Gesamtverschuldung von 110 Prozent des japanischen Bruttosozialprodukts sind die Staatsfinanzen längst ausgereizt. Schließlich versucht sich Tokio von der internationalen Entwicklung abzukoppeln und seine Kapitalanlagen vor allem aus den USA abzuziehen. Seit längerem tendieren die US-Zinsen nach oben, an eine Wende auf den Kapitalmärkten glaubt auch in Japan niemand mehr. Bisher hat das Fluchtkapital aus Südostasien und Lateinamerika überdeckt, daß die japanischen Kapitalüberschüsse nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dennoch hat sich die Regierung des Premier Keizo Obuchi jetzt für eine Neuverschuldung von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts entschieden, um die gigantischen Konjunkturprogramme und die Sanierung des Bankenwesens zu finanzieren. "Endlich pumpt die Regierung ernsthaft Geld in die Wirtschaft", sagt Kenneth Courtis, Chefökonom der Deutschen Bank in Asien. "550 Milliarden Dollar zur Rekapitalisierung der Banken, 250 Milliarden zur Stimulierung der Binnennachfrage. Und ich wette, wir sehen in diesem Jahr weitere 250 Milliarden."

Um die gigantischen Konjunkturprogramme zu finanzieren, soll in diesem Jahr die Bank von Japan Staatsanleihen in Höhe von 352 Milliarden Dollar verkaufen. Nur: Wer soll diese Papiere kaufen? Die inländischen Banken können nicht und das Ausland will nicht. Daher richtet sich das politische Ansinnen an die Bank von Japan. Sie soll die Staatspapiere selbst kaufen. Das ist die klassische Politik der Notenpressen.

Die Bank von Japan konnte sich bisher noch nicht zu diesem Schritt durchringen, auch wenn prominente Ökonomen wie Paul Krugman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ihr zu einer kalkulierten Inflationspolitik raten (Jungle World, Nr. 3/99). Mit der Notenpresse könne Japan nach Ansicht von Krugman die Zinsen drücken und Märkte beleben. Selbst der amerikanische Vize-Finanzminister Lawrence Summers erklärte kürzlich in Tokio, die Gefahr gehe derzeit nicht von der Inflation aus; vielmehr müsse die japanische Geldpolitik jetzt die Deflation bekämpfen, um eine Preisstabilität zu erreichen.

Diese Ansicht mag vielleicht in der Theorie richtig sein, erklären dazu konservative Ökonomen, aber in der Praxis sei diese Politik viel zu gefährlich, da sie der Staatsverschuldung Tür und Tor öffnen würde. Außerdem ließen sich die Finanzmärkte damit nicht in Schach halten. Schließlich bleiben noch Bedenken marxistischer Geldtheoretiker, die der Notenpresse wenig Chancen im Wettlauf mit dem wachsenden Schuldenberg einräumen: Die anwachsende Kreditmasse übertrifft bei weitem das umlaufende Papiergeld.

Die Lage der japanischen Ökonomie erinnert in fataler Weise an die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Schon damals hatte der britische Ökonom John Maynard Keynes geschrieben, es sei eine Situation denkbar, in der die Zentralbank jeden Einfluß verlieren könnte. Dies wäre der Fall, wenn sich die schrumpfenden Märkte und die Zerrüttung des Finanzsystems wechselseitig beeinflussen würden. Befindet sich Japan also jetzt in einer derartigen "Liquiditätsfalle"?

Tatsächlich hat die japanische Geldpolitik jeden Einfluß auf die Wirtschaftsentwicklung verloren. Das liegt nicht nur an der Bankenkrise, die das Land zu ihrem Gefangenen gemacht hat, sondern auch in der rückläufigen Binnennachfrage. Japan ist vor allem als Exporteur von Autos, Videos und Kameras bekannt, das Gewicht des Binnenmarktes wird daher im Ausland für gewöhnlich unterschätzt. Doch die japanische Exportabhängigkeit beträgt gerade mal 8,6 Prozent (1995) - was ungefähr den amerikanischen Verhältnissen (8,1 Prozent) entspricht. In Deutschland ist der Abhängigkeitsgrad vom Export hingegen mit 21,1 Prozent mehr als doppelt so hoch. Die außenwirtschaftlichen Erfolge Japans können daher kaum die binnenwirtschaftliche Misere kompensieren; seit 1992 stagniert Nippons Ökonomie und seit 1997 geht es steil bergab.

Erstmals in der Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit seien "die Zahl der Erwerbspersonen und die Nominaleinkommen der Beschäftigten zurückgegangen", berichtete Handelsblatt-Korrespondent Andreas Gradow vergangene Woche. So wurden 1998 im produzierenden Gewerbe 320 000 Jobs abgebaut, im Dienstleistungssektor 290 000, und im Groß- und Einzelhandel gingen 120 000 Arbeitsplätze verloren.

Dabei beschränken sich die Unternehmen nicht mehr auf weniger Einstellungen und Umschichtungen in Gruppenunternehmen. Erstmals wurden Massenentlassungen angekündigt. Toyota will sich eines Zehntels seines Verwaltungspersonals entledigen, Nissan will 3 000 Angestellte entlassen und in der Mitsui-Gruppe (Papierherstellung) sollen 1 500 Arbeitsplätze abgebaut werden. Um den weiteren Anstieg aufzuhalten, hat die japanische Regierung vergangene Woche einen Aktionsplan angekündigt, mit dem sie im kommenden Jahr ca. 770 000 neue Stellen schaffen will. Damit verschärft sie zwar wiederum das Problem der Staatsverschuldung, doch ihr bleibt auch kaum eine andere Wahl, wenn sie nicht dramatische soziale Konflikte heraufbeschwören will.

Der massive Stellenabbau wirkt sich nicht nur auf die Verteilung, sondern auch auf das System sozialer Sicherung aus. Die Deckungslücke für das öffentliche Rentensystem wird auf rund 3,3 Billionen Dollar beziffert, die der Betriebsrentensysteme auf 660 Milliarden Dollar. Somit kriselt es in allen Systemen der Altersversorgung, gleichgültig ob es die steuerfinanzierte Grundrente betrifft, das Umlageverfahren für Zusatzleistungen oder die kapitalfinanzierten Betriebsrenten. Zwischen 1970 und 1995 ist der Anteil alter Menschen in der japanischen Bevölkerung von 7,1 Prozent auf 14,5 Prozent gestiegen. Dieser soziale Strukturwandel ist in Japan wesentlich schneller verlaufen als in Europa oder den USA. Die Öffentlichkeit sieht ihr Geld in der Rekapitalisierung der Banken verschwinden. Während die Regierung ihre radikalen Umbaupläne vorerst in Kommissionen liegenlassen muß, sind die Unternehmen entschlossen, sich ihre Verpflichtungen vom Halse zu schaffen.

Die Aufkündigung lebenslanger Beschäftigung und betrieblicher Renten könnte die gesellschaftspolitische Geschäftsgrundlage ändern. Sie würde den Betriebsgewerkschaften, in denen die Konzernbelegschaften überwiegend organisiert sind, die Grundlage entziehen - und damit das gesamte japanische Gesellschaftsmodell in Frage stellen.