Kampfauftrag Normalität

Was deutsche Schwere Bodentruppen eigentlich im Kosovo sollen, weiß keiner so recht. Nur, daß sie "eine hohe Symbolträchtigkeit" haben

Ein OSZE-Fahrzeug ist in einem Kosovo-Dorf liegengeblieben. Schnell eilt die Bundeswehr herbei, vertreibt mit ihren Panzern steinewerfende Demonstranten, und schon können die OSZE-Beobachter ihre Arbeit fortsetzen. So schlicht stellen sich Bundeswehr-Offiziere, zumindest wenn Pressevertreter auf den Truppenübungsplatz Munster eingeladen sind, ihren Einsatz in der südwestserbischen Unruheprovinz vor.

Doch für den Einsatz gegen steinewerfende Demonstranten wurde der Leopard II A 5 nicht gebaut. Vor allem, so Heeresinspekteur Helmut Willmann, habe der schwere Kampfpanzer "einen hohen Schutzwert für unsere Soldaten und für die OSZE-Beobachter". Daneben, gab Willmann zu, habe er aber auch eine hohe Symbolträchtigkeit. 28 Leopard II will die Bundeswehr im Kosovo zum Einsatz bringen, dazu 28 Schützenpanzer Marder sowie je 30 Spähpanzer Luchs und Transportpanzer Fuchs.

Der Aufbau der 53 600 Soldaten umfassenden Krisenreaktionskräfte (KRK) soll Ende 1999 abgeschlossen sein. Allerdings fehlt es der Interventionsarmee noch an modernem Gerät. Maximal 10 000 Soldaten sollen längerfristig im Ausland einsatzfähig sein. Ein weiteres Problem sind die Kosten: Die bisher in Bosnien stationierten 2 400 deutschen Soldaten verschlingen jährlich etwa 180 Millionen Euro (350 Millionen Mark). Den Gesamtkosten von jährlich sieben Milliarden US-Dollar für die 35 000 Sfor- Soldaten stehen nur etwa zwei Milliarden US-Dollar für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien gegenüber.

Erfolgreich setzte Verteidigungsminister Scharping durch, daß militärische Auslandseinsätze seinen Etat künftig weniger belasten. Der rot-grüne Haushaltsentwurf 1999 für die Hardthöhe übertrifft zwar bereits die letzten Planungen von Volker Rühe. Die entscheidenden Millionen für die deutschen Balkantruppen steuert dennoch künftig Außenminister Joseph Fischer bei. Für das geplante deutsche Kontingent der Kosovo Implementation Force (Kfor) werden die zusätzlichen Ausgaben auf 300 Millionen bis über 400 Millionen Euro (rund 600 bis 800 Millionen Mark) pro Jahr geschätzt. Sollte es zu größeren Kampfhandlungen kommen, würden diese Kosten unkalkulierbar steigen.

Der Gesamtumfang für ein künftiges Nato-Kontingent im Kosovo wird mit etwa 30 000 Soldaten angegeben. Der deutsche Anteil an dieser Streitmacht soll rund 5 000 Soldaten betragen. Mit je 8 000 Soldaten sollen Frankreich und Großbritannien die Hauptlast von Kfor tragen, die USA wollen sich mit 4 000 Soldaten beteiligen. Heeresinspekteur Willmann rechnet mit 7 300 Soldaten allein aus seiner Teilstreitkraft, die dauerhaft auf dem Balkan stationiert werden sollen. Um ihre Einsatzfähigkeit zu gewährleisten, werden insgesamt etwa 20 000 deutsche Heeressoldaten erforderlich sein. Schon jetzt prognostiziert Willmann Engpässe im Sanitätswesen und bei der Logistik.

Kfor soll mit den 350 Bundeswehrsoldaten zusammenarbeiten, die bereits seit November 1998 im Rahmen der "Operation Adlerauge" mit einer Drohnen-Batterie in Mazedonien stationiert sind. Ebenfalls im Kosovo zum Einsatz kommen sollen die 2 500 Soldaten der in Mazedonien stationierten "Extraction Force", von denen die Bundeswehr etwa 250 stellt. Die Beteiligung weiterer Luftwaffen-Einheiten sowie der Rückgriff auf in Bosnien stationierte Sfor-Truppen ist zu erwarten.

Die neue Qualität von Kfor besteht aus deutscher Sicht in folgenden Punkten:

-Die USA werden den europäischen Verbündeten eine noch nie dagewesene Eigenverantwortung zugestehen. Als Versuchsballon einer künftigen europäischen militärischen Zusammenarbeit wird Kfor damit erhöhte internationale Aufmerksamkeit zuteil.

-Erstmals wird sich die Bundeswehr mit Schweren Bodentruppen - einschließlich Leopard II-Panzern - an einem Auslandseinsatz beteiligen. Weil mit Kampfhandlungen gerechnet wird, gerät die neue Out-of-area-Orientierung der Bundeswehr auf den Prüfstand der öffentlichen Akzeptanz. Zinksärge für Deutsche wären eine neuartige Belastungsprobe für Bundeswehr und Zivilgesellschaft.

-Sollten die ausgesetzten Verhandlungen von Rambouillet endgültig scheitern und auch der UN-Sicherheitsrat kein Kosovo-Mandat erteilen, würde sich die Bundeswehr erstmals an selbstmandatierten Kampfhandlungen beteiligen. Dieser Völkerrechtsbruch würde die UN-Charta praktisch demontieren.

Allerdings wäre bei größeren deutschen Verlusten in Form von Desertion und Kriegsdienstverweigerung mit einer Verfassungsklage zu rechnen, die das Widerstandsrecht gegenüber der Teilnahme an einem Angriffskrieg zu bewerten hätte. Die Konsequenzen für eine künftige deutsche Militär- und Bündnispolitik könnten weitreichend sein.

Keine neue Qualität ist demgegenüber, daß das Nato-Mandat im Kosovo ähnlich unbestimmt sein wird wie die Sfor-Mission in Bosnien. Es wird von Friedenserhaltung bis Friedenserzwingung reichen. Doch was bedeutet dies, wenn sich die Konfliktparteien nicht freiwillig entwaffnen lassen? Neben einem im Grunde nicht gewinnbaren Krieg gegen Serbien drohte das endgültige Aus für die Landkarte von Dayton. Im Falle des bosnischen Sfor-Protektorats sind sich Politik und Nato einig, daß zwar niemand weiß, wann die Mission enden soll. Als sicher gilt jedoch, daß danach das Hauen und Stechen erneut beginnen wird - schließlich haben sich alle Beteiligten im Schatten der Blauhelme erneut bewaffnet. Da die europäischen Staaten nichts zur augenfällig notwendigen Konfliktprävention im Kosovo unternommen haben, so wie sie auch jetzt wieder die angespannte Situation in Mazedonien ignorieren, stehen sie nun vor der Frage, ob sie ein zweites unbefristetes Protektorat übernehmen wollen.

Da es sich beim Kosovo zumindest formal um serbisches Territorium handelt, muß mit schlagkräftigerem Widerstand gegen Nato-Truppen gerechnet werden. Die Entscheidung für Schwere Nato-Bodentruppen folgt der Einsicht, daß selektive Luftschläge einen Guerillakrieg sowenig beenden können wie 1 200 unbewaffnete OSZE-Beobachter oder leicht bewaffnete Aufklärungseinheiten. Allerdings ist es ebenso aussichtslos, mit schweren Leopard-Panzern einen Guerillakrieg in einer gebirgigen Region entscheiden zu wollen. Ein Drohfrieden in Rambouillet könnte das akute Kriegsgeschehen dämpfen - sicher ist dies jedoch nicht. In jedem Fall wird er zu weiterer Aufrüstung und Konfrontation führen. Die Kosten für eine Aussöhnung werden durch jeden Nato-Einsatz lediglich verzögert und damit in die Höhe getrieben.

Dies gilt umso mehr dann, wenn Mediation und anreizbedingte Kooperation und Abrüstung sowenig gefördert werden wie bisher in Bosnien. Die Krisenreaktionskräfte sind hierzu so ungeeignet wie die Civil Military Cooperation (CIMIC) in Bosnien. Schwere Bundeswehr-Bodentruppen im Kosovo sind keine Ultima ratio, weil es ihnen eben an Ratio fehlt. Dieser Verlegenheits-Aktivismus mißbraucht die Soldaten als Zielscheiben in einem Bürgerkrieg, in dem sie keinen klaren Auftrag haben. Sollten sie aber einen Kampfauftrag erhalten, würden sie zur unerfahrensten Partei eines Guerillakrieges. Wie in Somalia würde die Zahl der eigenen Opfer darüber entscheiden, wann die öffentliche Meinung die Kontrahenten wieder sich selbst überließe. Und das könnte sehr bald sein. Denn im wirklichen Leben schmeißt im Kosovo keiner mehr nur mit Steinen.