Parité ou Egalité

Ist die Quote verfassungskonform? Frankreich diskutiert die universelle Dimension der Geschlechterdifferenz

Die beiden höchsten Amtsträger im Staat hatten sich das so schön ausgedacht: Am 8. März, dem internationalen Frauentag, sollten die französischen Volksvertreter in einer feierlichen Sitzung beschließen, die Verfassung der Republik zu ändern, um den "gleichen Zugang von Frauen und Männern zu politischen Ämtern" im Grundlagentext der République Fran ç aise festzuschreiben. Doch eine Clique alter und stockkonservativer Männer hatte den Plan zunichte gemacht - so jedenfalls fiel zunächst die Darstellung enttäuschter JournalistInnen aus.

"Au pouvoir, citoyennes! Liberté, égalité, parité", titelten im Jahr 1992 die Autorinnen Fran ç oise Gaspard, Claude Servan-Schreiber und Anne Le Gall ihre Streitschrift für die Partizipation von Frauen an politischen Ämtern und Mandaten und lancierten damit eine Debatte, die von den Sozialisten, damals in der Opposition, aufgegriffen wurde und Eingang in das Parteiprogramm fand. In seiner Antrittsrede als frischgewählter Premierminister nannte Lionel Jospin dann auch die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten zu politischen Ämtern für Frauen als eine Aufgabe seiner zukünftigen Regierungstätigkeit.

Aber auch vom bürgerlich-konservativen Lager wurde das Thema auf die Tagesordnung gesetzt, nachdem bei den Wahlen im Frühjahr 1997 vor allem die Wählerinnen abgesprungen waren. Vor diesem Hintergrund fand sich auch der bürgerliche Präsident Jacques Chirac bereit, das Projekt Jospins zur "Förderung der Männer-Frauen-Parität" mitzutragen.

Am 15. Dezember 1998 sollte nunmehr die Pariser Nationalversammlung über einen Entwurf zur Änderung der Verfassung abstimmen, wonach Artikel 3 um folgenden Satz ergänzt werden sollte: "Der Gesetzgeber fördert den gleichen Zugang von Männern und Frauen zu Wahlmandaten und Wahlfunktionen." Doch die anwesenden rund 80 überwiegend weiblichen Abgeordneten verschärften den Text in Eigeninitiative und formulierten den entscheidenden Satz um: "Der Gesetzgeber legt die Bedingungen für einen gleichen Zugang (...) fest." Damit wurde der politische Inhalt des anvisierten Verfassungszusatzes zwingender gestaltet. Linke wie Rechte stimmten dieser radikalisierten, Vorlage geschlossen zu. Nur eine Parlamentarierin, die reaktionäre Christdemokratin Christine Boutin, enthielt sich.

Der Senat, der am 16. Februar seinerseits über das Projekt der parité hommes/femmes zu beraten hatte, wollte von der Emanzipationspolitik der Abgeordnetenkollegen im Palais Bourbon freilich rein gar nichts wissen. Mit großer Mehrheit schmetterten die Senatoren den Entwurf zur Änderung des Verfassungsartikels 3 ab.

Ihre Schärfe und politische Brisanz erhielt die Debatte allerdings erst in dem Moment, als der Widerstand gegen die "Paritäts"-Vorlage nicht mehr nur aus dem konservativen Lager kam. Der sozialistische Senator Robert Badinter, Justizminister unter Mitterrand, und seine Frau, die Philosophin Elisabeth Badinter, zählten zu den ersten, die sich im Januar gegen die Neuregelung aussprachen. Die entsprechende Änderung des Verfassungsartikels zur Volkssouveränität, so ihre Argumentation, gefährde das universalistische Grundprinzip der Französischen Republik. Auch in Zukunft müsse, so die Badinters, die Zugehörigkeit zu einer über die Geburt definierten Gruppe, die Herkunft oder die Konfession ohne Bedeutung sein für die Teilnahme gleichberechtigter citoyens am öffentlichen Leben.

Dieser Universalismus, aus der bürgerlich-revolutionären Tradition stammend, geht historisch einher mit der französischen Tradition des ius soli, des Territorialprinzips im Staatsbürgerrecht - im Unterschied zum ius sanguinis (Blutsrecht). Das eherne Prinzip der Republik droht, so die Argumentation von Elisabeth und Robert Badinter, brüchig zu werden, wenn das Bestehen von unauflöslichen, biologisch definierten Gruppen festgeschrieben wird.

Man mag Robert Badinters Beharren auf dem universalistischen Grundgedanken der Republik idealistisch nennen, aber es ist zweifelsohne keine Pose, sondern eine Überzeugung, die vor dem Hintergrund seiner politischen Biographie verstanden werden muß: Badinter wurde zu einer Symbolfigur im Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe, die in seiner Amtszeit als Justizminister aufgehoben wurde, was ihm den Haß der Rechten und extremen Rechten einbrachte. "Badinter auf den Friedhof", lautete eine Parole während einer Demonstration für den Erhalt der Todesstrafe. Als Jude und Sozialist sah Badinter das Gesetz der Republik stets als Garantie für die Integration (potentiell) verfolgter Minderheiten an.

Die Position Badinters, die unter seinen sozialistischen Senatskollegen isoliert blieb, wurde von den Rechten im Senat sofort benutzt, um ihre reaktionäre Position "mit republikanischen Prinzipien zu veredeln", wie Le Monde dies kommentierte. Badinter hatte zunächst vorgeschlagen, den Artikel 4 (über die Rolle der politischen Parteien) anstatt des Verfassungsartikels 3 zu ändern, weil damit der gravierende Eingriff in die Konzeption der Republik selbst - verankert im Begriff der Volkssouveränität in Artikel 3 - vermieden werden könnte. Seine rechten Senatskollegen begrüßten diesen Vorschlag, ohne die politischen Intentionen Badinters zu teilen.

Daß Badinter mit den konservativen Senatoren gemeinsame Sache gemacht hat, kann man ihm freilich nicht nachsagen: Als die Senatoren schließlich in ihrer Mehrheit einen Text verabschiedeten, der es den Parteien anheimstellt, durch Berücksichtigung auf ihren Listen den Zugang von Frauen zu Wahlmandaten zu fördern, stimmte Badinter wie alle anderen Senatoren der Linken gegen diesen folgenlosen Appell. Demgegenüber hatte Badinter sich dafür eingesetzt, eine entsprechende Änderung des Artikels 4 mit der verbindlichen Androhung von Sanktionen zu begleiten.

Die Position der Badinters stand bald im Zentrum einer intellektuellen Polemik zwischen den VertreterInnen des Universalismus und den VerfechterInnen eines differenzialistischen Geschlechterkonzepts. Insbesondere in Le Monde und im Wochenmagazin L'Express erhoben Schriftstellerinnen und Intellektuelle, darunter die Juraprofessorin Evelyne Pisier (die Mitglied im Comité économique, social et culturel beim Parteivorstand der Sozialisten ist), die Autorin Danièle Sallenave und die Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco, schwere Vorwürfe gegen den "Paritäts"-Entwurf und seine Befürworterinnen. Der Text schreibe die Idee einer weiblichen "Andersartigkeit" fest, indem Frauen zu "Gefangenen eines identitären Territoriums" (Roudinesco) gemacht würden. Frauen würden gemäß des Gesetzestextes gefördert, "weil sie Frauen sind, und nicht mehr, weil sie Diskriminierte sind", kritisierte Pisier und bemängelte, daß andere benachteiligte Gruppen keine vergleichbare Förderung erhielten. "Die Parität", so Pisier, "ist ein Köder der Reaktion".

Danièle Sallenave beschäftigt sich in einem Beitrag in Le Monde mit dem differentialistischen Identitätskonzept der Neuen Rechten und zitiert die jüngst erschienene Sondernummer "La Victoire des femmes" der Zeitschrift ƒléments von Alain de Benoist, des Chefideologen der Nouvelle Droite. In einer Polemik in Le Monde fragte sie die BefürworterInnen der Parität, ob sie demnächst auch Bärte für Männer und Schleier für Frauen zur Pflicht machen oder gemischte Ehen verbieten werden, um die Identitäten bloß nicht zu verwischen.

Auf der Seite der BefürworterInnen der "Parität" beruft sich ein Teil der Feministinnen tatsächlich auf besondere biologisch determinierte weibliche Eigenschaften, die bislang in der männlich dominierten Politik fehlen würden, zumeist aber argumentieren sie nicht offen mit essentialistischen Positionen. So behaupten die Schriftstellerin Francine Comte und der Grünen-Politiker Alain Lipietz, Frauen könnten "die Verbindung zwischen Privatleben und Politik" besser herstellen als ihre männlichen Kollegen oder seien in Fragen der Gesundheitspolitik kompetenter. Auch "die Sorge um künftige Generationen" sei eine Domäne der Frauen.

Zwar betont auch die Politikforscherin Janine Mossuz-Lavau die Vorzüge frauenspezifischer Sichtweisen für die Politik, hält dabei aber Distanz zu essentialistischen Argumentationen und führt vor allem soziale Gründe an. Die Historikerin Michelle Perrot lehnt dagegen jede "differenzialistische Position" ausdrücklich ab, welche Frauen eine "natürliche Rolle" und eine ihnen eigene Sichtweise zuschreibt, und befürwortet aus eben diesem Grund die politische Paritätsregelung. Den Vertretern des Universalismus wirft sie Bequemlichkeit vor. Die Republik habe sich mit der Ungleichheit von Männern und Frauen abgefunden und unterhalte nurmehr eine "Illusion der Universalität", hinter der sich die reale männliche Dominanz verberge.

Zu den vehementen Verteidigerinnen des "Paritäts"-Entwurfs gehört auch Sylviane Agacinski. Die mit Premierminister Jospin verheiratete Philosophin gilt als Architektin des Gesetzesentwurfes. In Le Monde beschuldigte sie die Gegerinnen des Textes, einem Feminismus zu huldigen, der sich von Frauenfeindlichkeit nährt.

Die Diskussion um den Gesetzentwurf sei, klagte die ehemalige Frauenministerin und jetzige sozialistische Abgeordnete Yvette Roudy, die Angelegenheit einer "mondänen und intellektuellen Kaste, die von den Realitäten abgeschnitten ist". Obgleich dies vor allem ein Versuch war, den feministischen Diskurs mit populistischen Argumenten zu stoppen, muß man eingestehen, daß die Theoriediskussion kaum Einfluß auf das Entstehen des letztgültigen Gesetzestexts hatte. Denn am Ende waren es zwei Männer, die die Diskussion (vorläufig) beendeten: Entscheidend war der "machtpolitische Poker zwischen Präsident Chirac und Premier Jospin, zwischen Nationalversammlung und Senat" (Le Monde).

Chirac, der befürchtete, Wählerinnen zu verlieren, hat durch massiven Druck auf seine konservativen Parteifreunde im Senat dessen Mitglieder zur Annahme des gemeinsamen Entwurfs von Präsident und Premierminister bewegen können. Der Text wurde gegenüber der von der Nationalversammlung beschlossenen Form entschärft, zugunsten des ursprünglichen Regierungsentwurfs, dem der Gesetzgeber den gleichen Zugang von Männern und Frauen zu politischen Ämtern "begünstigt", aber nicht "bestimmt".