Wenn sich Fuchs und Kurde Gute Nacht sagen

Thyssen Krupp-Stahl will die Panzerflotte der türkischen Armee gründlich modernisieren. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, und Fischer weiß plötzlich nichts mehr vom Einsatz deutscher Waffen gegen die Kurden

Die Forderungen klangen schon fast revolutionär: Radikal sollte der potentielle Abnehmerkreis für deutsche Kriegstechnologie eingegrenzt werden. Länder in Krisengebieten - also auch die Türkei und Griechenland - sollten von Unternehmen aus der Bundesrepublik ebensowenig noch Waffen und Munition erhalten wie Staaten, in denen systematisch die Menschenrechte verletzt werden - also auch die Türkei. Überhaupt keine Lieferungen von Militärtechnologie sollten mehr an Länder außerhalb der EU, der USA und Kanadas gehen - eine Formulierung, die explizit das Nato-Land Türkei aussparte.

Prinzipiell sollte die Bundesregierung keine Waffengeschäfte mehr mit Hermes-Bürgschaften unterstützen. Bislang enthebe sich die Bundesregierung "der Möglichkeit, den Handel mit Waffen zu unterbinden bzw. zu kontrollieren und trägt damit in diesem Politikbereich zur Entdemokratisierung und Vernachlässigung von Menschenrechtsstandards bei." Damit müsse nun Schluß sein.

Nachzulesen im Initiativantrag Nummer 13 / 10 288 "Exportkontrollpolitik bei Rüstung und rüstungsrelevanten Gütern". Gezeichnet: "Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid, Joseph Fischer (Frankfurt), Kerstin Müller (Köln) und Fraktion". Datum: 31. März 1998.

Als Joseph Fischer ein halbes Jahr später zum Außenminister gekürt wurde, verkündete er, außenpolitisch werde alles beim alten bleiben - nur werde künftig das Menschenrechtskriterium wesentlich größere Bedeutung erhalten. Im Koalitionsvertrag schienen sich die Grünen in diesem Punkt durchgesetzt zu haben. "Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der EU", hieß es hier, "soll restriktiv gehandhabt werden. Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt."

Doch der Koalitionsvertrag, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder, "ist keine Bibel". Und Joseph Fischer könnte hinzufügen: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?" Auf parlamentarisch heißt das: "Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen eingesetzt wurden." Nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 14 / 383, der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Parlamentarier Ulla Jelpke und Winfried Wolf. Datum 18. Januar 1999. Federführend: Das Auswärtige Amt (AA); dessen Leiter: Joseph Fischer (Frankfurt).

Mit was die türkische Armee eigentlich sonst auf kurdische Zivilisten schießen sollte, wenn nicht mit der halben Million G3-Gewehre deutscher Bauart, die im ostanatolischen Ausnahmezustandsgebiet die Standardbewaffnung ihrer Infanteristen darstellen, darauf bleibt das AA die Antwort schuldig. Keine Erwähnung findet auch die Planung, dieses Arsenal innerhalb der nächsten Dekade, wiederum unter Federführung des Konzerns Heckler & Koch, rundzuerneuern, wobei die Verflechtung, die H & K mit dem im Besitz des türkischen Militärs befindlichen Waffenproduzenten MKEK eingehen will, so eng sein wird, daß es danach kaum noch möglich sein wird, zu differenzieren, bei welchen Waffen es sich um deutschen Export handelt und bei welchen um türkischen Eigenbau, der durch deutsches Know-how möglich wurde.

Der Trend in der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie Indien, Indonesien oder der Türkei geht zum Joint Venture. 200 Stück der rund vier Millionen Mark teuren Transport- und Spürpanzer vom Typ Fuchs will die Türkei in den nächsten Jahren hierzulande einkaufen; 1 800 weitere will sie im eigenen Land in Lizenz bauen lassen. In der Transport-Ausführung eignen sich die leichten, leisen, schwimmfähigen und schnellen Radpanzer mit einer Reichweite von bis zu 800 Kilometern, die zehn Soldaten Platz bieten, besonders gut zur Aufstandsbekämpfung. Sie könnten im kurdischen Teil der Türkei die Mannschaftspanzer vom Typ MTW 113 aus DDR-Beständen ablösen, die dort seit der Abwicklung der DDR zum Straßenbild gehören und bewiesenermaßen regelmäßig gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Schon Mitte Januar ging beim Bundessicherheitsrat eine Voranfrage für Bau, Ausfuhr und Lizenzbau von insgesamt 2 000 Fuchs ein. Dieser Kabinettsausschuß tagt geheim, ihm gehören auch Vertreter von Joseph Fischers Auswärtigem Amt an. Zu einer Entscheidung ist man allerdings noch nicht gekommen, weil sich der Minister soeben auf einer Auslandsreise befand. Wer den Antrag gestellt hat, darauf wollte das Fischer-Amt mit Verweis auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis keine Auskunft geben. Es ist jedoch kein Geheimnis, daß der Transportpanzer Fuchs von einem Firmenkonsortium unter Leitung der Thyssen-Henschel GmbH in Kassel gebaut wird. Die wiederum ist eine Tochtergesellschaft der Thyssen Krupp-Stahl AG, deren Vorgängergesellschaft Thyssen AG im Verdacht steht, den CSU-Parlamentarier Erich Riedl über ein Mittelsfirma mit einer halben Million Mark bestochen zu haben, um eine Ausfuhrgenehmigung für Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien zu erhalten.

Zum türkischen Militär erfreut sich Thyssen seit langem bester Geschäftsbeziehungen. Erst im Dezember lieferten die Thyssen-Krupp-Töchter Blohm + Voss und Rheinstahl-Technik die letzte von insgesamt sieben Fregatten der Meko-Klasse an die türkische Marine aus; ein weiteres der 118 Meter langen, mit einer Hubschrauberplattform und einem modularen Waffensystem ausgestatteten Schiffe wurde in Lizenz auf der Marinewerft in Gölcük nahe Istanbul gebaut.

Sobald jedoch nur noch Know-how ausgeführt wird, werden Rüstungsexporte aber viel schwieriger zu kontrollieren sein. Vielleicht treibt diese Sorge auch Joseph Fischer um. Immerhin soll im Bundessicherheitsrat der Vertreter des Auswärtigen Amts, neben der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, als einziger eindeutig gegen den Panzer-Deal gewesen sein. Einen Anlaß, die Öffentlichkeit von dem Ansinnen zu informieren, sah man jedoch auch im Hause Joseph Fischer nicht. Das von dem parteilosen Schröder-Boy Werner Müller geführte Wirtschaftsministerium mahnte dagegen sogleich an, ein "generelles Übergewicht" des Menschenrechtskriteriums gegenüber deutschen Export- und Bündnisinteressen werde es nicht geben.

Welchen Anteil Rüstungsgüter am Gesamtexportvolumem der BRD haben, läßt sich nur schwer beziffern, da die offizielle Statistik zahlreiche Möglichkeiten zur Verschleierung bietet. So antwortete die Regierung Kohl 1996 auf eine Parlamentarische Anfrage nach Rüstungsexporten in Länder, die in den Jahren 1985 bis 1995 "als Konfliktpartei in zwischen- bzw. innerstaatliche Konflikte verwickelt waren", dafür seien in der fraglichen Zeit "keine Genehmigungen erteilt worden". In diesen Zeitraum fallen freilich zahlreiche Waffengeschäfte mit Staaten wie Pakistan, Malaysia, Südafrika, Argentinien und der Türkei. Indonesien, Malaysia und die Philippinen wurden sogar, so die damalige Bundesregierung, "rüstungsexportpolitisch entsprechend den Nato-gleichgestellten Staaten behandelt".

Insgesamt gab die Bundesregierung für das Jahr 1995 ein Rüstungsexportvolumen von 1,98 Milliarden Mark an; was bei einem Gesamtexportvolumen von mehr als 728 Milliarden zunächst recht wenig anmutet. Diese Zahl beinhaltet jedoch nur reine Kriegswaffen; Waffenteile, Dual-use-Güter wie Sattelschlepper zum Transport von Panzern und auch Komponenten für militärisch nutzbare Atomtechnologie fallen nicht darunter. Einen realistischeren Richtwert dürften die 30,35 Milliarden Mark geben, welche die 1995 nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtigen Exporte wert waren.

Auch die Erfolgsaussichten für eine Genehmigung schienen recht hoch zu sein: Abgelehnt wurden Ausfuhren im Wert von lediglich 153 Millionen Mark, wovon ein einziger Posten schon 109 Millionen ausmachte. Ganze fünf Prozent der gewünschten Militärausfuhren scheiterten also an den deutschen Behörden. Außer mit schönen Worten im Koalitionsvertrag hat die Regierung Schröder/Fischer bisher keinen Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß sich an diesem Verhältnis in Bälde etwas ändern könnte. Und nach der "Möglichkeit, den Handel mit Waffen zu unterbinden", fragt jetzt nur noch die PDS.