Diesmal aber. Vielleicht

Dem notorisch in Schwierigkeiten steckenden Zweitligaclub RWO kann wohl nur ein Trainer helfen

In Oberhausen ist man Kummer gewöhnt. Das protzigste Arbeitsamt weit und breit, der schmutzigste Fluß Europas und das größte Verbandsliga-Stadion Deutschlands waren lange die einzigen Wahrzeichen der unscheinbaren Ruhrgebietsstadt zwischen Duisburg und Essen. Bekannt war Oberhausen höchstens aus Staumeldungen im Radio, denn aus irgendeinem unerfindlichen Grund beginnen und enden die meisten der vielbefahrenen Autobahnen Nordrhein-Westfalens in der 220 000-Einwohner-Stadt.

Doch der vielbesungene Strukturwandel ist auch hier nicht aufzuhalten: Inzwischen hat die ehemalige Stahl- und Bergbaustadt Oberhausen nicht nur das größte Einkaufs- und Freizeitzentrum Europas ("Centro") und den von der Industrieruine zum Kulturereignis mutierten, von Christo und Jeanne-Claude demnächst veredelten Gasometer, sondern auch noch einen hochberühmten Fußball-Trainer.

Aleksandar Ristic, einst Schüler der Fußball-Weisen Ernst Happel und Branko Zebec, dann Bundesliga-Trainer in Braunschweig, Hamburg, Schalke und Düsseldorf, übernahm die Mannschaft des skandalträchtigen SC Rot-Weiß Oberhausen (RWO), als sie aussichtslos am Ende der Zweiten Liga stand. Selten waren seine beim Amtsantritt auf Schalke geäußerten Worte - "Ihr seid eine schlechte Mannschaft, jetzt habt ihr wenigstens einen guten Trainer" - wahrer als in diesem Moment. Und siehe: In derselben Besetzung, die seinen hilflosen Vorgänger Gerd vom Bruch so schmählich im Stich gelassen hatte, legte Ristic mit RWO eine Serie von elf Spielen ohne Niederlage hin. Im Pokal schlugen seine Jungs die Erstligisten Hamburger SV und Borussia Mönchengladbach, bevor sie im Halbfinale gegen den Titelverteidiger Bayern München einen großen Fußball-Abend mit 45 000 Zuschauern im Gelsenkirchener Parkstadion und einem Millionen-Fernsehpublikum erleben durften. Mit Ristic als Hauptdarsteller.

Sichtlich genoß der Bosnier, daß sich endlich einmal wieder die Fernsehkameras auf ihn richteten. Entschlossen pappte der 54jährige sich das Baufirmen-Logo an die schmächtige Brust, stülpte das gelbe Bierbrauer-Käppi über sein graues, schwungvoll geföntes Haar und stand jedem Interessierten von der Buerschen Zeitung bis zum Zweiten Deutschen Fernsehen geduldig für Interviews zur Verfügung. So wurde das Pokalhalbfinale zum Ristic-Festival. Nach dem Spiel gratulierte er den großen Bayern artig zum 3:1-Sieg, vergaß aber auch nicht, seine Mannschaft und nicht zuletzt seine Taktik ausführlich zu loben.

Fragen über seine berufliche Zukunft in Oberhausen - RWO-Präsident Hermann Schulz hatte ihm schon vor aller Augen einen Blankovertrag zugeschoben und einen Stift hingehalten - beantwortete er freundlich, aber unverbindlich. Natürlich sei Hamburg seine Lieblingsstadt, doch auch in Düsseldorf und Umgebung lasse es sich gut leben, zumal seine Tochter dort bekanntlich zur Schule gehe. Schließlich sei dies überhaupt der Grund dafür gewesen, daß er in Oberhausen angeheuert hatte und nicht etwa im fernen Nürnberg, obwohl ein Angebot des fränkischen Erstligisten vorgelegen hatte.

Die erwartete Niederlage gegen die großen Bayern schmerzte da wenig, gilt doch das Hauptinteresse der Oberhausener ohnehin dem Klassenerhalt in der Zweiten Liga. Dort überraschte der in seinen ersten Spielen eher zum Mauern neigende Stratege Ristic nach der Winterpause plötzlich mit offensivem Fußball: Pressing und Abseitsfalle hatte er den Seinen zwischenzeitlich eingebleut. Ristic, der in den siebziger Jahren vier Jahre lang für Eintracht Braunschweig in der Bundesliga gekickt hatte, gab sich einigermaßen überrascht: "Ich habe erkannt, daß auch Zweitliga-Spieler so etwas durchaus verstehen." Sein Assistent Wolfgang Funkel, der einst selbst für Kaiserslautern, Uerdingen und nicht zuletzt in Oberhausen Profifußball spielte, ist fasziniert von seinem neuen Chef und seinen Methoden: "Ristic unterbricht dauernd bei Trainingsspielen und läßt jeden Spielzug wieder und wieder üben." Zwar könne so etwas einen Fußballer ganz schön nerven, wie Funkel nachvollziehen kann, doch zu maulen habe sich bislang niemand getraut.

Durch seine Erfolge bescherte Ristic dem fast schon wieder klinisch toten Ruhrgebiets-Klub auch einen - bescheidenen - finanziellen Aufschwung. Eine Einnahme von 1,7 Millionen Mark schlug durch das DFB-Pokalhalbfinale aus Fernseh- und Eintrittsgeldern zu Buche. Zuvor war das Pokalabenteuer wegen der hohen organisatorischen Kosten und Erfolgsprämien für die Spieler bis zum Halbfinale allerdings ein Minusgeschäft gewesen. Auf 350 000 Mark bezifferte Präsident Schulz den bis dahin erwirtschafteten Verlust.

Schulz hat als Baulöwe mit Verlusten Erfahrung: Vor einem Jahrzehnt hatte der RWO-Mäzen den Verein schon einmal durch den Bankrott seiner Firma "Schulz-Häuser" erledigt. Im gesicherten Mittelfeld der Zweiten Liga stehend, wurden die Oberhausener seinerzeit wegen akuter Zahlungsunfähigkeit in den Amateurbereich zwangsversetzt und von dort bis in die Verbandsliga durchgereicht. Dieser Absturz war weit schlimmer als jener von 1973, als Oberhausens damaliger Präsident und Mäzen, der auch im Bundesliga-Skandal zu zweifelhaftem Ruhm gekommene Reifenhändler Peter Maaßen, in Schwierigkeiten geraten war. RWO mußte damals nach vierjähriger Bundesliga-Zugehörigkeit nicht nur absteigen, sondern konnte am Ende nicht einmal mehr die Verpflegung seiner Spieler im Trainingslager bezahlen.

Erst Anfang der neunziger Jahre waren dann die Unternehmungen des Hermann Schulz insoweit saniert, daß er sich erneut bei seinem Lieblingsklub engagieren konnte und es mit RWO wieder langsam, aber stetig bergauf ging. Bis dann im vergangenen Jahr endlich der Profifußball wieder im - noch dazu von der Stadt Oberhausen frisch renovierten - Stadion "Niederrhein" einzog. Heute heißt Schulzens Firma "Konvent". Der Schriftzug ziert nicht nur die Trikots der Profis, der Verein ist vom Wohl und Wehe seines Geldgebers und Präsidenten weiterhin abhängig, was RWO-Altstars wie Lothar Kobluhn kritisch sehen. "Schulz läßt sich nicht in die Karten gucken", bemängelt der ehemalige Mittelfeldspieler, der zu RWO-Erstligazeiten im Jahr 1971 mehr Tore als Gerd Müller schoß und damit Torschützenkönig wurde. Nicht nur Kobluhn mahnt: Sollte es Schulz wieder einmal finanziell schlecht gehen, wäre es erneut auch um den Verein geschehen. Schon in der Winterpause machten wieder einmal Konkursgerüchte die Runde.

Ohnehin wäre Oberhausen nicht Oberhausen, wenn nicht bald darauf wieder Skandalmeldungen zu lesen wären: Am Tag des Halbfinalspiels gegen die Bayern meldete die Süddeutsche Zeitung fristgerecht und exklusiv, daß der Verein rund vier Millionen Mark an Steuern und Krankenkassen-Beiträgen nachzahlen müsse. RWO-Manager Manfred Rummel ("Mit uns hat von der Süddeutschen niemand gesprochen") räumte ein, daß eine "Routineüberprüfung" der Behörden Unregelmäßigkeiten aus der Regionalligazeit zutage gefördert habe. Die zu zahlende Summe liege allerdings nicht bei vier Millionen, sondern knapp unter einer Million Mark. Bei einem Etat von gut fünf Millionen Mark ist allerdings auch eine solche Summe für einen Zweitligisten lebensbedrohend.

Rummel, auch einer aus der alten RWO-Garde, sieht's locker: "Dann zahlen wir halt." Man schreibe mittlerweile schwarze Zahlen, die Altschulden, zum Teil noch aus Maaßens Zeiten herrührend, habe man abgebaut. "Sonst hätte der DFB uns ja gar keine Lizenz für die Zweite Liga erteilt."

Allerdings kommen nun auch noch zusätzliche Kosten durch den zwar beurlaubten, aber weiter auf der Gehaltsliste stehenden Gerd vom Bruch hinzu. Der Ex-RWO-Coach klagt nämlich derzeit - durchaus mit Erfolgsaussichten - auf die Zahlung der noch auf vor Saisonbeginn ausgehandelten Punktprämien. Punkte, die nicht er, sondern sein Nachfolger Ristic eingefahren hat. Grund zu übermäßigem Optimismus besteht für die RWO-Anhänger also nicht unbedingt.

Auch dem sportlichen Aufschwung wollen die aus Erfahrung skeptischen Oberhausener nicht so recht trauen. "Was bedeutet schon eine Serie ohne Niederlage, wenn die meisten Spiele unentschieden ausgingen?" fragt Kobluhn, der eine andere Arithmethik bevorzugt: "Man kann ja genauso sagen, RWO hat soundsoviele Spiele nicht gewonnen." Doch eine Hoffnung bleibt nicht nur Kobluhn: Der oft fälschlich als harmloser Kauz unterschätzte Ristic. "Den werden sie hier noch richtig kennenlernen", prophezeit der Oberhausener Altstar.