Abschied von Bonn

Schlußstrich

"Der Rückzug Oskar Lafontaines ist vielleicht die letzte jener dramatischen Erschütterungen, mit denen die alte Bundesrepublik Abschied nimmt", bilanziert die FAZ. Tatsächlich steht hinter dem Kampf Schröders gegen Lafontaine, ebenso wie zuvor hinter der Attacke von Walser gegen Bubis, ein Bündnis aus Elite und Mob, das die Zerstörung jenes relativ kommoden und zivilen Deutschlands beabsichtigt, das - zum ersten Mal in diesem Jahrhundert - seine Nachbarn nicht mehr geängstigt hat. An seine Stelle tritt die Berliner Republik.

Für diese Republik ist Lafontaine untragbar, da er immer wieder haarscharf an antideutschen Positionen vorbeiformulierte: So stiftete er Ende der siebziger Jahre eine unverbrüchliche Feindschaft mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut "Schnauze" Schmidt. Zu den Elogen des ehemaligen Wehrmachtssoldaten auf die preußischen Tugenden merkte er trocken an, mit diesen könne man auch ein KZ betreiben. Zehn Jahre später schockte er die Dumpfbacken mit dem Ausspruch, daß bei einer Aufnahme in der Bundesrepublik ein um sein Leben bangender Afrikaner Vorrang habe vor einem nicht bedrohten Rußlandddeutschen. Zum Haßobjekt für alle Deutschnationalen wurde er schließlich 1989/90, als er die Wiedervereinigung für nicht finanzierbar erklärte und für ein behutsameres Tempo plädierte.

Unvergeßlich bleibt auch Lafontaines Sottise gegen die Fünfte Kolonne der Vertriebenen-Gruftis, die sogenannten Aussiedler, denen er 1996 die staatliche Förderung streichen lassen wollte. Bei seiner Hetzkampagne gegen die Volksdeutschen fühlte man sich bisweilen an die polemischen Glanzleistungen eines Wolfgang Pohrt erinnert - entsprechend dämlich ("zutiefst zynisch") war auch das Echo der Grünen und anderer Gutmenschen.

Leider war all dies weniger Politik als Attitüde: Die Liste von Lafontaines Kompromissen mit dem Zeitgeist ist lang. Schwamm drüber. Es ist ähnlich wie beim Abgang des realen Sozialismus: Frust und Bulimie überfallen einen nicht aus Trauer um den Scheidenden, der in der Realität nie so sympathisch war wie in der Theorie, sondern aus Entsetzen über das, was nun übrigbleibt. Zunächst und vor allem ein Kanzler, dem man aus Respekt vor Tony Blair und Bill Clinton das Etikett "neue Mitte" nicht gönnen sollte. Schröder steht nicht, wie jene, für einen weltoffenen Kapitalismus mit allen Vor- und Nachteilen, sondern für eine völkisch-korporatistische Akkumulationsdiktatur, also für eine neue Rechte, nicht für eine neue Mitte.

Deswegen hat er letztes Jahr die Privatisierung der Salzgitter-AG durch eine klassische Staatsintervention verhindert - der Stahlkonzern sollte auf keinen Fall in ausländische Hände fallen. Und auch an die Stelle der europäischen Agrarfinanzierung sollte nach seiner Vorstellung nicht der freie Wettbewerb treten - sondern die Renationalisierung des Subventionssystems. Natürlich gehört zur Deutschen Arbeitsfront ein Überbau, der Kraft durch Freude vermittelt: Das Volk braucht nationale Mythen, braucht ein Berliner Schloß, einen Reichstag und ein Mahnmal, zu dem man "gerne" hingeht. Den Rest - das heißt den offenen Antisemitismus - erledigen Martin Walser, Klaus von Dohnanyi und Rudolf Augstein.

Schlimmer als Schröders Schönhuberei ist nur noch die Prinzipienlosigkeit der Bündnisgrünen. Die Eilfertigkeit, mit der sie am Abend des Rücktritts zur Tagesordnung übergingen, ohne sich wenigstens Bedenkzeit auszubitten, verschlägt einem den Atem. Das akademische Lumpenproletariat als Stütze der Macht - und allerlei verkrachte Existenzen, die nun auf der Jagd nach neuen Posten, neuen Dienstwagen und Miles and more vor die Kameras wuseln: Fritz Kuhn, der sein Image vom Spiegel bekam und ansonsten keinen geraden Satz schreiben kann, drängt ins Kanzleramt; Ludger Volmer, ein wahrhaft gefürchteter Redner und Stratege, als Bettvorleger bei Roman Herzog; einer wie Joschka Fischer schreibt in Rambouillet Weltgeschichte. Vielleicht am furchtbarsten ist, daß ausgerechnet Jürgen Trittin die Begründung für die Fledderei an der politischen Leiche des Saarländers lieferte: Rot-Grün werde jetzt gestärkt, da "die Rolle der gesellschaftsverändernden Kraft, die Lafontaine bislang innegehabt habe, für die Grünen frei" werde. Auf diese Art von Gesellschaftsveränderung darf man gespannt sein. Wie schrieb Horkheimer so treffend: Der Kapitalismus geht auf seiner eigenen ökonomischen Grundlage in die Herrschaft der Gangs und Rackets über.