Seht Euch vor!

Jungdeutschland und die Abgründe der Zukunft - Karl Ferdinand Gutzkows "Die Ritter vom Geiste"
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Während Georg Büchner noch heute eine gewisse Popularität genießt, ist sein jungdeutscher Entdecker und Förderer Karl Ferdinand Gutzkow nahezu vergessen. Als Arno Schmidt 1965 mit seinem Funkessay "Der Ritter vom Geist" eine neue Phase der Gutzkow-Rezeption einzuleiten versuchte, hatte er keinen Erfolg, denn es existierten nur antiquarische Textausgaben.

Und das blieb erst einmal so. Die 1975 als Olms-Reprint wiederaufgelegte Auswahl-Ausgabe von 1912 bot trotz des Preises von 616 Mark keine gesicherten Texte, und die seit 1995 erhältliche 105-teilige Mikrofiche-Ausgabe der Erstdrucke nach dem Taschengoedeke in Saurs "Bibliothek der deutschen Literatur" war mit 735 Mark angesichts ihrer miserablen Qualität und dem nötigen Lesegerät schlicht indiskutabel.

Der Zweitausendeins-Verlag hat nun für alle normalverdienenden GutzkowInteressenten Abhilfe geschaffen und der Arno-Schmidt-Memorial-Reihe Haidnische Alterthümer sieben Bände Gutzkow hinzugefügt. Unter den literarischen Heiligtümern des einstigen Heide-Bewohners und Nachkriegsheiden Nummer eins findet sich ab sofort auch Gutzkows Roman "Die Ritter vom Geiste" von 1850/51 in drei Teilen sowie eine repräsentative zweibändige Auswahl aus Gutzkows politischen, zeitdiagnostischen, literaturkritischen und autobiographischen Schriften. Es sind hübsche Halbquartbände, die dem Leser an der Schwelle zum 21. Jahrhundet das umtriebige 19. Jahrhundert entdecken wollen.

Dabei ist diese Auswahl aus den Werken des Zeitungsmachers, Redakteurs, Verlagslektors, Rezensenten, Theaterschriftstellers und Romanciers Gutzkow keineswegs nur eine Verlockung für Germanisten, Historiker, Soziologen oder bibliophile Schmidtianer, die alles kaufen und ungelesen horten, was ihnen im Namen Arno Schmidts angeboten wird. Sie bietet vielmehr eine aufschlußreiche Lektüre zum deutschen Kulturleben zwischen Vormärz und Realismus. Seit dem Niedergang des Jungen Deutschland, als dessen Wortführer Karl Gutzkow gelten darf, sind mehr als 160 Jahre vergangen, Gutzkows Schriften sind ein wichtiger Beitrag, ein Bild von der vormärzlichen Gesellschaft zu gewinnen, das ohne Biedermeier- und Restaurationszeitklischees auskommt.

Die treibenden Kräfte des Jungen Deutschland, Ludolf Wienbarg, Theodor Mundt, Heinrich Laube und Karl Gutzkow, waren in ihrem vehementen Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit geistige Vorkämpfer der 48er Revolte. Die promovierten Handwerker- und Beamtensöhne kämpften mit geschliffenem Witz und intellektueller Schärfe gegen die verheerenden Wirkungen des Metternich-Regimes: gegen die allgemeine Katzbuckelei und Korruption, die untertänigste Duldung jeder physischen und geistigen Erniedrigung durch die Fürstenregierungen, gegen das Frömmlertum und die restriktive Sexualmoral, gegen das Patriarchat, gegen den Schwachsinn des Kulturbetriebs angesichts der Zensur und gegen die linientreue Literatur.

Daß die Jungdeutschen ihr Handwerk verstanden, zeigte die Härte der Reaktion. In Zeitungen und Zeitschriften wurden gegen Gutzkow und die Seinen alle Register der Diffamierung gezogen: "Das 'junge Deutschland' ist undeutsch, unsittlich, irreligiös", schrieb Wolfgang Menzel am 11. 9. 1835 im Literaturblatt zum Cottaschen Morgenblatt, nachdem sein ehemaliger Mitarbeiter Gutzkow den Roman "Wally, die Zweiflerin" veröffentlicht hatte, in dem eine Religionskritikerin mit gelösten Kleidträgern auftritt. "Herr Gutzkow hat gefühlt, daß er die sittlichen Grundlagen nicht erschüttern könne, ohne zugleich die religiösen zu untergraben. (...) Aber ich will meinen Fuß hineinsetzen in euern Schlamm, wohl wissend, daß ich mich besudle. Ich will den Kopf der Schlange zertreten, die im Miste der Wollust sich wärmt."

Gutzkow forderte Menzel zum Duell, doch dieser kniff. Da "Wally" bei einem jüdischen Verlag erschienen war, rührten sich sofort auch antisemitische Trommler: "Jüdischer Verleger gefährdet christliche Sittlichkeit", posaunte die Neue Speyerer Zeitung am 29. August 1835, "Jüdischer Verlag muß geschlossen werden!" forderte das Börsenblatt des deutschen Buchhandels am 5. Oktober 1835, und die Freiburger Zeitung titelte am 6. Dezember 1835: "Jüdische Mörderbande bedroht heiligste Interessen". Gutzkow stand am christlich-bürgerlichen Pranger als heidnischer Wüstling. Da er im Begriff war, die Frankfurter Bürgerstochter Susanna Klönne zu heirate, entrüstete sich der Schwäbische Merkur am 23. Oktober 1835: "Gutzkow will Mädchen aus ehrbarer Familie heiraten", und der Frankfurter Rat verweigerte dem Bräutigam sofort präventiv das Bürgerrecht. (Sie heirateten trotzdem.)

"Wally, die Zweiflerin" brachte dem aus der Stadt verbannten Autor zwölf Wochen Gefängnis und den sogenannten Jungdeutschen ein generelles, vom Deutschen Bund auf Drängen Bayerns am 10. Dezember 1835 verhängtes Publikationsverbot ein. Daß Heinrich Heine mit auf die Verbotsliste geriet, obwohl er weit weniger Jungdeutscher sein wollte als Ludwig Börne, hat er Gutzkow nie verziehen, ihr anfänglich gutes Verhältnis kühlte merklich ab.

Nachdem Gutzkow überdies Heines "Schwabenspiegel" vernichtend kritisiert und sich in Heines Fehde mit Börne auf die Seite Börnes geschlagen hatte, beschimpfte ihn Heine als "prosaischen Nazarener", nannte ihn einen "Wicht", einen "Schurken", den "Anführer einer Bande von Strauchdieben", "Oberhaupt" einer Gruppe von "literarischen Buschkleppern" und resümierte 1844 gegenüber Friedrich Hebbel: "(W)ie die Natur in Napoleon alles Große, so faßte sie in Gutzkow alles Kleine zusammen, er ist der Abtritt der Natur! Und eigentlich (...) hat ihn gar nicht die Natur gemacht, sondern Schiller (...); er ist der Schufterle aus den Räubern". Doch Heines haßerfüllte Tiraden bezeugten bloß Gutzkows Bedeutung als literarischer Stimmungsmacher, seinen - bis 1848 aufpeitschenden - Einfluß auf die Salons und Feuilletons.

Die zwei Auswahlbände "Schriften", die Adrian Hummel umsichtig zusammengestellt und kenntnisreich kommentiert sowie durch eine aufschlußreiche Auswahl begleitender Texte (Briefe, Rezensionen, Lexikonartikeln) ergänzt hat, bieten reichlich Stoff, dies nachzuprüfen. Neben Jugenderinnerungen und Reiseschilderungen aus Wien und Paris enthalten sie Gutzkows Darstellungen der aufregenden Ereignissen in den Jahren 1835 und 1836, von der Entdeckung Büchners über die Fehde mit Menzel, dem fehlgeschlagenen Zeitungsprojekt der Deutschen Revue bis zum Publikationsverbot und der Mannheimer Haftzeit.

Sie versammeln zudem Gutzkows wichtigste literarische Aufsätze, darunter die wortgewaltige programmatische Reinstallierung des lange geschmähten Goethe, mit der er die von Wienbarg in den "Ästhetischen Feldzügen" nur höchst unscharf umrissene jungdeutsche Poetik auf höherer Stufe befestigte: "Ein ins Meer versunkenes Schloß taucht wieder auf, und wird Pharus in der hyperboräischen Nacht."

Gutzkow konnte auch nach dem Verbot des Jungen Deutschlands als Zeitschriften-Herausgeber bis in die Revolutionsjahre eine gewisse Unabhängigkeit behaupten, erst mit dem Telegraph für Deutschland, später mit den Unterhaltungen am häuslichen Herd. Als Dramaturg am Dresdener Hoftheater, wo er als Nachfolger Tiecks arbeitete, machte er mit eigenen Stücken Furore. Und es gelang ihm sogar, das Publikationsverbot zu unterlaufen, indem er unter dem Namen des populären englischen Unterhaltungsschriftstellers Edward Bulwer-Lytton publizierte und den jungdeutschen "Ideenschmuggel" weiterbetrieb.

In zwei dicken Bänden, betitelt "Die Zeitgenossen", verbreitete er 1837 politisch Aufrührendes. Die Schriftenauswahl bringt daraus die großangelegte Studie "Das Jahrhundert", in der Gutzkow über die Formen künftiger Revolutionen spekuliert und eine kühne Prognose für das 20. Jahrhundert erstellt. Er erwartete "eine Zeit der Hyper-Culmination, der Hyper-Industrie, eine Zeit des absoluten Mechanismus (...), eine Periode des Verstandes und keine des Herzens" und warnte die nachfolgenden Generationen: "Sehet Euch vor! Wenn noch eine Revolution kommen kann, so wird es nicht mehr ausschließlich die der Staaten seyn, sondern all euer Denken und Trachten, all euer Meinen und Fühlen, all eure Existenz, all eure Kunst und Wissenschaft wird in sie hineingerissen werden."

1848 war für Gutzkow eine herbe Enttäuschung, und er nahm das Scheitern des Frankfurter Debattierclubs in dem Text "Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe" vorweg. Gutzkow schrieb den kommenden Zusammenbruch den zahllosen "Fossilien" unter den Abgeordneten zu: jenen Urteutonen vom Schlage Ernst Moritz Arndts und Friedrich Ludwig Jahns, die zum vernünftigen politischen Denken und Handeln unfähig waren und in Frankfurt nur "die Ehre des Deputirten genießen" wollten.

Nach privaten Schicksalsschlägen (Gutzkows Frau starb in den Tagen der Berliner Revolution) und dem vergeblichen Versuch, als Generalsekretär der 1855 von ihm mitbegründeten Weimarer Schiller-Stiftung seine Existenz finanziell abzusichern, befielen ihn Depressionen und Verfolgungswahn. Am 14. Januar 1865 versuchte er sich im hessischen Friedberg das Leben zu nehmen. Immerhin veranlaßte diese Verzweiflungstat seine Freunde dazu, einen Gutzkow-Fonds einzurichten, der ihm, seiner zweiten Frau und den mittlerweile sechs Kindern eine relativ komfortable Existenz ermöglichte. Dennoch quälte ihn die Vorstellung, er werde polizeilich verfolgt, so hartnäckig, daß er in seinem letzten Lebensjahrzehnt viermal die Wohnung wechselte. Gutzkow verstarb in einem Hotelzimmer in Sachsenhausen. Vollgepumpt mit Schlafmitteln, war er erstickt, als eine Lampe in Brand geriet.

Auch unter größten Schwierigkeiten und trotz Tablettensucht und Depressionen hatte Karl Gutzkow seine ungeheure Schreibenergie bewahren können und ein kaum überschaubares Gesamtwerk entstehen lassen: journalistische und theoretische Texte, deren Zahl Legion ist, 20 Bände Dramen, mehrere autobiographische Werke, etliche Erzählungssammlungen und zirka 15 Romane. Die jetzt wieder ungekürzt vorliegenden "Ritter vom Geiste" sind Gutzkows ideelles Vermächtnis. Druckte man in einer Wochenzeitung zehn Seiten pro Ausgabe, reichte das Material für knapp sieben Jahre!

Karl Gutzkow, der politisch verfolgte Akademiker des Vormärz und 1848 zur Untätigkeit verdammte Beobachter der demokratischen Bruchlandung, entwirft 1850 in den "Rittern vom Geiste" die Vision einer sozialen, vernunftorientierten und politisch emanzipierten Gesellschaft. Der natürliche Adel des entwickelten Geistes (Hegels "individuelles Allgemeines") sollte sich durch eine den Templern ähnliche Bruderschaft von Gebildeten über die Welt verbreiten - Goethes ökonomisch ausgerichtete Utopie der "Wanderer" in "Wilhelm Meisters Wanderjahren" hatte hierfür Pate gestanden.

Von der zeitgenössischen Kritik wurde das Mammutwerk zwiespältig aufgenommen; man lobte die mitreißende Handlung und die bunte Fülle des dargestellten Lebens, man rügte die Unentschiedenheit zwischen romantischen und realistischen Tönen, zwischen theoretischen Passagen und burleskem Dialog. Aus heutiger Sicht erkennt man indes die erzählerische Könnerschaft Gutzkows, seinen souveränen Umgang mit den Möglichkeiten der von ihm mitgeprägten großen Form des Zeitromans, die detailreichen Zeitgemälde, die dezente Komik und die lebendige Charakterisierung der für das nachrevolutionäre Deutschland repräsentativen Figuren. Mehr als zweihundert Akteure treten auf, und etwa die Hälfte davon besitzt scharfe individuelle Konturen, so daß Friedrich Hebbel den Roman zu Recht "ein historisches Daguerrotyp von hohem Rang" nennen konnte und Gottfried Keller "ein bedeutendes Werk mit sehr trefflichen und feinen Zeit- und Charakterschilderungen" darin sah.

Menschen aller Gesellschaftsschichten, vom Tagelöhner bis zum Prinzen, sind in die Geschichte eines juristischen Prozesses verstrickt, der die Gebrüder Wildungen wieder in den Besitz von Grundstücken und Immobilien im früheren Fürstentum Hohenberg bringen soll. Als der Prozeß einen glücklichen Verlauf nimmt, gründen die Brüder den Geheimbund der Ritter, dem sich auch der Erbe des Hauses Hohenberg anschließt, der als gelernter Tischler und fahrender Handwerker sozialistische Ideen vertritt. Als er die Herrschaft über Hohenberg erlangt, schlägt er sich jedoch auf die Seite der Reaktion, deren Protagonisten - etwa der Justizrat Schlurk, der Obertribunalpräsident von Harder und der Polizeichef Pax - allesamt Freimaurer sind und ein lückenloses Spitzelnetz unterhalten. Die Ritter werden überwacht, mit Intrigen bekämpft und verlieren schließlich sogar das bereits sicher geglaubte große Vermögen.

Die Utopie der sozialen weltumspannenden Brüderschaft kommt im Roman nicht mehr zur Entfaltung. Sie steht, gemäß der Tradition des Geheimbundromans von Johann Heinrich Jung-Stillings "Heimweh" bis zu Goethes "Wanderjahren", als Verheißung am Schluß. Die Mitglieder des Bundes wenden sich von der "Gesellschaft der ewigen Lüge", der restaurativen Gesellschaft, ab und schwören, "ihr nicht zu dienen, ihr zu fehlen, stumm zu bleiben, wenn sie reden sollen (...). Dann wird sich die furchtbare Isolirung dieser herrschenden Gesellschaft bald zu Tage geben." Den am Ende wieder zur Vernunft gekommenen Prinzen läßt Gutzkow die abschließende Hoffnung auf einen Sieg des Geistes über alle Verlockungen der Machtpolitik aussprechen: "Ich habe so tief in die Abgründe der Zukunft geblickt, daß ich schweige, um Euch nicht zu ermuthigen, mehr zu wagen als jetzt schon geschehen ist."

Wer nach dem ersten Teil des rund 4 000 Seiten umfassenden Romans noch nicht der frischen Sprache und den Verwicklungen der Geschichte erlegen ist, ist für das 19. Jahrhundert sicherlich verloren.

Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Hrsg. von Thomas Neumann. Drei Textbände und ein Kommentarband. Zweitausendeins, Frankfurt/M. 1999, 4 100 S., DM 99

Karl Ferdinand Gutzkow: Schriften. Hrsg. von Adrian Hummel. Zwei Textbände und ein Kommentarband. Zweitausendeins, Frankfurt/M. 1999, 2 500 S., DM 150

(Im "Paket" kosten Roman und Schriften DM 200 )