Verfolgung ohne Staat

Trotz ihrer Koaltionsvereinbarung werden auch unter Rot-Grün geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe nur selten anerkannt

"Mit diesen Aussagen können Sie nicht beweisen, daß Ihr Leben in Gefahr ist." Der Satz hat sich bei Zoya F. eingeprägt. Mit diesen Worten lehnten die Entscheider des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) ihren Asyl-Antrag ab - ihrem Engagement als feministische Frau im Iran schenkten sie keine Beachtung. Im Juli 1998 war F. mit ihrem Kind aus Teheran geflohen, nachdem ein Mitglied ihrer Frauengruppe verhaftet worden war. "Wenn man unverschleiert auf die Straße geht, muß man mit Verhaftung und Auspeitschung rechnen", sagt die 34jährige heute.

Auch Schamsi H. ist vor vier Monaten aus dem Iran geflohen. Nach einer Taxifahrt bezichtigten die Revolutionären Garden sie, ein Verhältnis mit dem Fahrer zu haben. Während H. erzählt, ist ihr die Angst vor den Konsequenzen einer solchen Anschuldigung anzumerken: Außereheliche sexuelle Beziehungen von Frauen können im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden. "Ich selbst habe keinen Asylantrag gestellt, da ich gehört habe, wie schlecht die Chancen stehen, als Frau einen eigenständigen Anspruch auf Asyl erheben zu dürfen."

Die Rechtsprechung etwa des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestätigt die Vermutung von Schamsi H., daß deutsche Gerichte Verfolgungshandlungen gegenüber Frauen häufig als nicht asylerheblich bewerten. So sind körperliche Mißhandlungen wie Auspeitschungen wegen des Verstoßes gegen Bekleidungsvorschriften nach Meinung der bayerischen Verwaltungssrichter nur dann asylrechtlich relevant, wenn im Regelverstoß eine regimefeindliche politische Haltung zum Ausdruck kommt.

Die Entscheidung liegt in der Hand der Richter, die die politische Situation in den Herkunftsländern oft nur aus Lageberichten des Auswärtigen Amtes kennen. Die Schilderungen der Betroffenen selbst fallen kaum ins Gewicht - und Beweise heranzuschaffen, die eine politische Verfolgung dokumentieren, ist für verfolgte Flüchtlinge in den seltensten Fällen möglich. Wie soll auch, um ein Beispiel zu nennen, eine von der Todesstrafe bedrohte lesbische Frau aus dem Iran ihre sexuellen Neigungen nachweisen?

Die beiden Iranerinnen sind keine Einzelfälle. Weltweit stellen Frauen die größte Gruppe unter den Flüchtenden dar - ihr Anteil an den Asylsuchenden in der Bundesrepublik beträgt allerdings nur etwa 30 Prozent. Von diesen Frauen stellt lediglich ein Prozent einen eigenen Antrag auf Asyl. Wie H., die auf die Entscheidung über den Antrag ihres Mannes wartet, erhalten die meisten Frauen - wenn überhaupt - ein Aufenthaltsrecht nur im Rahmen des Familienasyls. Damit sind sie von ihren Ehemännern abhängig.

Geschlechtsspezifische Verfolgung wird nur dann als Asylgrund anerkannt, wenn sie als politische Verfolgung im Sinne des Asyl-Artikels 16 a Grundgesetz interpretiert werden kann: also fast nie. Selbst dann, wenn Amtspersonen als Verfolger auftraten, werden die Menschenrechtsverletzungen als privat definiert. Ein Anspruch auf Asyl ergibt sich daraus nicht. Von dieser Praxis des Bundesamts und der Verwaltungsgerichte sind Frauen in besonders hohem Maße betroffen.

Sind Flüchtlinge Opfer sexualisierter Gewalt geworden, fällt es ihnen oft be-sonders schwer, ihre Asylgründe vorzutragen. Marie I. aus dem Kongo etwa war als Präsidentin der Müttersektion einer Oppositionspartei politisch aktiv, bis sie im Gefängnis der Sicherheitspolizei landete. Dort wurde sie mißhandelt und vergewaltigt. Beim Anhörungstermin sagte sie über die ihr widerfahrene Gewalt nichts aus. Der Grund: Die An-hörer im Bundesamt waren allesamt Männer. Die Scheu, die ihr widerfahrenen Demütigungen im Detail offenzulegen, war zu groß.

Zwar erließ das Bundesamt bereits 1995 eine interne Dienstanweisung, wo-nach Frauen auf Wunsch auch von weiblichen Bediensteten angehört werden sollten. In der Praxis scheitert dies jedoch häufig daran, daß die Asylantragstellerinnen auf diese Möglichkeit ganz einfach nicht hingewiesen werden. Doch auch weibliche Anhörerinnen fragen oft nicht nach geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen. Flüchtlingsorganisationen wie amnesty international und Pro Asyl fordern daher, daß Anhörer des BaFl und mit Asylsachen befaßte Verwaltungsrichter an Schulungen teilnehmen, in denen gesellschaftliche Zusammenhänge thematisiert und psychologische Kenntnisse vermittelt werden.

Doch auch die sensibelste und kenntnisreichste Anhörerin kann nichts daran ändern, daß in vielen Fällen das Asylverfahrensgesetz selbst einen angemessenen Umgang mit geschlechtsspezifischer Verfolgung verhindert. Werden Verfolgungsgründe verspätet - also erst nach der Anhörung - vorgetragen, so gilt das nach der derzeitigen Asylrechtspraxis als "gesteigertes Vorbringen" und damit als unglaubwürdig.

Der Asylantrag einer alleinstehenden Lehrerin mit Kindern scheiterte allein deshalb, weil, wie es offiziell hieß, es "nicht Aufgabe der bundesdeutschen Asylbehörden" sein könne, "die religiösen Gebräuche und Gepflogenheiten anderer Länder zu kritisieren". Die Asylsuchende stammte aus Afghanistan und war 1996 von den Taliban-Milizen gezwungen worden, ihren Beruf aufzugeben.

Auch Witwenverbrennungen und Kinderehen, genitale Verstümmelungen und Zwangssterilisationen zwingen Frauen zur Flucht aus ihren Herkunftsstaaten. Zumindest auf dem Papier wurde im Juni letzten Jahres die genitale Verstümmelung geächtet: "Der Deutsche Bundestag bewertet genitale Verstümmelung an Mädchen und Frauen als Menschenrechtsverletzung und erwartet, daß dies in der praktischen Ausrichtung des Ausländerrechts und des Asylrechts berücksichtigt wird."

Doch bisher gibt es keine einheitliche Rechtsprechung darüber, inwieweit mittelbare Verfolgung asylrechtlich relevant ist. Nur in Ausnahmefällen fällten die Gerichte auch mal positive Entscheidungen: So entschied das Verwaltungsgericht (VG) Madgeburg 1996, eine aus C(tm)te d'Ivoire stammende Frau als Asylberechtigte anzuerkennen, weil der westafrikanische Staat die sie nicht vor der Praxis der Genitalverstümmelung schützen konnte. Eine Richterin des VG Oldenburg stellte im Mai 1998 für eine ebenfalls aus C(tm)te d'Ivoire geflohene Antragstellerin fest, es gebe keine inländische Fluchtalternative. "Die der Klägerin nach allem konkret drohende Gefahr, der Verstümmelung der Geschlechtsorgane unterzogen zu werden, ist eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben", heißt es in der Urteilsbegründung.

Mehr als 100 000 Menschen haben in den letzten Monaten einen vom Deutschen Frauenrat und von Pro Asyl initiierten Aufruf, verfolgte Frauen besser zu schützen, unterschrieben. Ihre Vorschlag: Die Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtgründe soll durch eine Ergänzung des Paragraphen 51 Ausländergesetz geregelt werden.

Bis in die Regierung vorgedrungen ist dieser Appell bislang nicht. Zwar haben sich die rot-grünen Koalitionäre im Oktober letzten Jahres darauf geeinigt, "die Verwaltungsvorschriften mit dem Ziel der Beachtung geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe" zu überarbeiten. Doch seitdem hat sich nichts mehr bewegt. Zunächst einmal, erklärte eine Grünen-Fraktionssprecherin, stehe für die Partei das Thema doppelte Staatsbürgerschaft im Vordergrund. "Bis das abgehandelt ist, wird über die Thematik geschlechsspezifischer Verfolgung nicht geredet".