Task Force gegen Flüchtlinge

Deutschland macht Druck in der EU, um die europäische Asylpolitik in seinem Sinne zu harmonisieren

Harmonisierung heißt das Stichwort, und deutsche Politiker füllen es mit Inhalt. Mit der EU-Präsidentschaft Deutschlands und den Verhandlungen um die Agenda 2000, die u.a. die Beitrittsbedingungen der osteuropäischen Kandidaten regeln soll, ist auch in der Flüchtlings-, Einwanderungs- und Ausländerpolitik eine neue Ära angebrochen.

Schon vor einigen Monaten forderte Oskar Lafontaine eine "gerechtere Lastenverteilung" - nicht nur bei der Finanzierung des EU-Haushalts, sondern auch bei der Verteilung der AsylbewerberInnen unter den EU-Staaten. Ihm haben sich mittlerweile der EU-Ratspräsident Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily angeschlossen.

Vor dem EU-Gipfel Ende März in Berlin machten beide noch einmal Druck. Auf dem Kongreß der Europäischen Sozialdemokraten in Mailand Anfang März rief Schröder dazu auf, daß Europa "das Flüchtlingsproblem lösen" müsse. In der Welt am Sonntag durfte er deutlicher werden: Es sei kein Zustand, daß Deutschland 60 Prozent der Einwanderungslasten in Europa trage. Und weiter: "Die jetzige Zahl der jährlichen Einwanderungen ist eine, die schwer zu verkraften ist."

Sein Innenminister weiß da Abhilfe: Er will auf europäischer Ebene eine "Task Force", eine Art schnelle Eingreiftruppe bilden, um "einen gemeinsamen Ansatz zu finden gegenüber Staaten, aus denen illegale Zuwanderung im besonderen Maße zu verzeichnen ist oder die als Transitstaaten illegaler Zuwanderung dienen". Dieses Mittel habe sich bei der illegalen Einreise irakischer Kurden in die Türkei bewährt - wo der Türkei Technik zur Grenzüberwachung zur Verfügung gestellt wurde. Diese ermöglichte es ihr, kurdische Flüchtlinge aus dem Irak zu orten, dorthin zurückzuschieben oder in Lager einzuweisen, die mit EU-Hilfe errichtet wurden.

Doch damit nicht genug. Schily hätte auch gerne noch ein europäisches "Frühwarnsystem" in Zusammenarbeit mit den Beitrittskandidaten. Das soll Fluchtursachen - "Pull-Faktoren" - frühzeitig registrieren, damit durch rechtzeitige politische Intervention die Flucht nach Europa verhindert werden kann.

Die Zeit für Schily drängt. Denn mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam in diesem Sommer geht die Regelungskompetenz in Sachen Asyl, Flucht und Einwanderung Schritt für Schritt bis 2002 auf Ministerrat und Kommission der EU über. Bevor der Vertrag in Kraft tritt, will die deutsche Regierung unter ihrer Ratspräsidentschaft eine Neuverteilung der Flüchtlinge und Migranten auf europäischer Ebene erreichen. Später lassen sie sich nicht mehr so günstig als Verhandlungsmasse einbringen.

Der Vertrag von Amsterdam sieht sowieso eine Harmonisierung der Einwanderungs- und Asylpolitik vor. Der reformierte EU-Vertrag schlägt nun vor, das Aufenthaltsrecht wie die Einreisebestimmungen auf EU-Ebene festzulegen. Die nationalen Ausländerrechtsbestimmungen wären dann nicht mehr eigenständiges Recht, sondern lediglich Ausführungsbestimmungen zu gemeinsamen europäischen Regelungen. Dem will Bonn vorgreifen, um mehr nationale Vorteile aushandeln zu können.

Die EU-Kommission legte dem Ministerrat bereits 1995 einen Entwurf vor, der eine einheitliche Behandlung anerkannter und in einem EU-Staat legal ansässiger Flüchtlinge vorsieht. Dabei geht es um Mindestansprüche auf Ausbildung, Beschäftigung, Sozialleistungen und das Recht auf Familienzusammenführung und Freizügigkeit. Dies soll, so die Begründung, die Wanderungsbewegungen von Schutzsuchenden zwischen einzelnen EU-Staaten reduzieren und insbesondere dafür sorgen, daß weniger Asylbewerber in Deutschland Zuflucht suchen, da sie dann überall gleiche Bedingungen vorfinden würden. Überdies schlug die Kommission vor, das Aufenthaltsrecht bei vorübergehend aufgenommenen Flüchtlingen aus Bürgerkriegs- und Krisengebieten EU-weit auf fünf Jahre zu begrenzen.

Bei einer Massenflucht soll nach Schilys Vorschlag der EU-Ministerrat feststellen, wieviele Fluchtplätze benötigt werden; dann soll jeder Staat melden, wieviele er aufnehmen könne; schließlich soll ein finanzieller Ausgleich hergestellt werden, der durch den EU-Haushalt finanziert werden soll. Staaten, die weniger aufnehmen, sollen mehr beisteuern. Mit diesen Plänen kann Schily direkt an die Ratspräsidentschaftsvorgängerin, die österreichische Regierung, anknüpfen. Diese legte im Juli 1998 einen Katalog vor, der den weiteren Ausbau der Festung Europa skizziert.

Dieses "Strategiepapier zur Migrations- und Asylpolitik" stellt nach Schily die Leitlinie und Zielvorstellung dessen dar, was Bonn in der EU nun festschreiben lassen will. Dort wird vorgeschlagen, sich an dem Vorgehen gegen die "organisierte Kriminalität" zu orientieren, wenn es um Migranten geht. Die Drittstaatenregelung soll weiter ausgebaut und auf die osteuropäischen Beitrittskandidaten konsequent angewendet werden. Vor dem Beitritt sind Flüchtlinge aus der EU aufzunehmen und die Grenzen nach außen abzuschotten. Die EU soll die Flüchtlings- und Migrationspolitik als eine "Querschnittsaufgabe" verstehen - alle Länder, die bis in den Mittleren Osten hinein etwas mit Bevölkerungsbewegungen nach Europa hinein zu tun haben, sollen wirtschafts-, militär- und sicherheitspolitisch europäisch koordiniert unter Druck gesetzt werden, um Flucht- und Migrationsbewegungen zu verhindern.

Als "Schengen-Präsident" betreibt Schily verstärkt den Aufbau einer gesamteuropäischen Flüchtlingskartei, in der nicht nur die Fingerabdrücke von Asylbewerberinnen und -bewerbern, sondern von allen Illegalen gespeichert werden. Das Schengener Informationssystem soll ausgebaut werden, jeder Ausländer und Flüchtling wird analog zum deutschen Ausländerrecht als potentieller Krimineller behandelt; zuständig soll ab Jahresmitte das europäische Polizeiamt Europol sein.

Einen weiteren wesentlichen Änderungsvorschlag bedeutet die Abkehr von einem "Rechtsstaats- zu einem politisch orientierten Schutzkonzept". Das bedeutet, daß die Politik jeweils entscheiden kann, wer Schutz genießt und wer abgeschoben wird. Wo Otto Schily steht, kann natürlich nur der Rechtsstaat sein, da braucht es keine Individualrechte und völkerrechtlichen Konventionen mehr. Doch er wie der Rest der Bundesregierung brauchen zusätzlich als Verhandlungsmasse dringend das Bild Deutschlands als des am meisten durch Migration und Flucht heimgesuchten Landes in Europa. Dabei hat Deutschland 1998 nur noch 33 Prozent aller Asylsuchenden in Europa aufgenommen, 1996 waren es noch mehr als die Hälfte. Gemessen an der Bevölkerungszahl steht Deutschland damit in Europa an neunter Stelle. Höhere Prozentzahlen ergeben sich regelmäßig daraus, daß die deutschen Aussiedler aus Osteuropa mit einberechnet werden.

Seit Jahren setzt sich die Europäische Kommission für eine Verbesserung der Rechte der Drittstaatsangehörigen in der EU ein. Ihr Vorschlag von 1997 würde im Vergleich zum bestehenden Recht in Deutschland eine verbesserte Möglichkeit des Familiennachzugs und vor allem bessere Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme beinhalten - Bereiche, in denen Deutschland hinter den meisten Einwanderungsländern in der EU hinterherhinkt. Die Kommission schlägt darüber hinaus vor, die Freizügigkeitsrechte für EU-Bürger auch auf Drittstaatsangehörige auszudehnen. Man darf gespannt sein, was der deutsche Innenminister demgegenüber noch alles herausholt bei der "Harmonisierung".