Aufgelöste Aktionäre

Die Stadt Frankfurt am Main ermöglicht der IG Farben, endlich ihre Jahreshauptversammlung 1997 abzuhalten

Den Platz vor der Stadthalle hatte die Polizei weiträumig abgesperrt. Im Frankfurter Vorort Bergen-Enkheim standen am vergangen Donnerstag einige Dutzend Polizisten, um - wie sich der Einsatzleiter ausdrückte - "selektieren" zu können.

"Selektieren" wollte die Polizei die "gewaltbereiten" von den "friedlichen" Demonstranten: Als sich die rund 200 Gegnerinnen und Gegner der IG Farben AG in Abwicklung (IG Farben) in der Nähe von Frankfurt trafen, um die Aktionärsversammlung der "Nazi gas firm" (Washington Post) zu blockieren, waren erstmals auch Mitglieder der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) und anderer autonomer Gruppen dabei. Nur mit Hilfe der Polizei gelang es den Aktionären, Zutritt zum Saal zu erlangen - lediglich hundert von ihnen fanden den Weg in die Stadthalle, weit weniger als im Dezember 1997, als die IG Farben zum letzten Mal tagte. Anlaß des Treffens: die Hauptversammlung des Unternehmens - für das Jahr 1997, wohlgemerkt.

Daß die Aktionäre überhaupt zusammentreten konnten, dürften sie dem Richtungswechsel der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth zu verdanken haben - der auch das Vorgehen der Polizei erklären könnte: Nachdem die Aktionäre noch im vergangenen Jahr wegen der befürchteten Proteste bei den potentiellen Frankfurter Vermietern abgeblitzt waren, nahm sich nun die Stadt der Firma an. Die städtische Saalbau GmbH vermietete die Stadthalle, nachdem der IG Farben seit 1991 keine städtischen Räume mehr zur Verfügung gestellt worden waren.

Die Szenen vor der Halle wiederum ähnelten denen vorangegangener Proteste. Während die Aktionäre in die Halle drängten, beschimpften einzelne den Auschwitz-Überlebenden Hans Frankenthal als "dreckige Judensau", eine Kritische Aktionärin, während sie den Saal betrat, als "Judenhure". Weitere Überlebende standen derweil draußen, die Häftlingsnummern auf der Brust, die Jüdinnen und Juden unter ihnen auch den gelben Stern. Sie waren eigens aus Frankreich, England und Polen angereist, um sich an den Protesten zu beteiligen.

Ein paar Überlebende mit Schildern, die in hilfloser Geste Entschädigungen für die Überlebenden der Nazi-Zwangsarbeit forderten, hatten eigentlich ganz gut in das Konzept der IG Farben-Nachfolger gepaßt. Schließlich beschlossen sie im Laufe der Versammlung, die Gründung einer Stiftung einzuleiten: Diese solle sich den Verpflichtungen des Unternehmens widmen, welche aus "der historischen Verantwortung" erwachsen seien, wie der erst Ende 1998 vom Frankfurter Amtsgericht bestellte Liquidator Volker Pollehn erklärte. Wann und mit welcher Summe, beschloß man selbstverständlich nicht.

Doch es reichte, um den Spieß umzudrehen. Während der Versammlung hielt sich der zweite Vorsitzende des Aufsichtsrats, der Bremer Rechtsanwalt Ernst Krienke, nicht mehr zurück. "Halten Sie den Mund", rief er Frankenthal zu, als der sich gegen das Vorgehen der Liquidatoren wandte. Schon auf einer Pressekonferenz des "Bündnisses gegen IG Farben" zwei Tage vor der Versammlung mußten sich ehemalige IG Farben-Zwangsarbeiter und Auschwitz-Häftlinge fragen lassen, weshalb sie unverdrossen an ihren Forderungen - der sofortigen Auflösung der Firma und der Einrichtung einer Stiftung unter ihrer Kontrolle, in die das gesamte restliche Firmenvermögen eingezahlt werden soll - festhielten, obwohl die IG Farben-Liquidatoren doch endlich auf ihre Forderungen eingegangen seien.

Davon kann selbst bei wohlwollender Betrachtung keine Rede sein. Immer wieder von Demonstranten gestört, gab Pollehn auf der Aktionärsversammlung zu, daß die Abwicklungsgesellschaft im vergangenen Jahr kurz davor stand, Konkurs anmelden zu müssen; das Restvermögen von 35 Millionen Mark stecke nun in mehr oder weniger heruntergekommenen Immobilien.

Der Grundbesitz der Firma in den neuen Ländern dürfte deshalb künftig weniger eine Rolle spielen als die kurz vor Kriegsende in die Schweiz transferierten Geldsummen. Die IG Farben spricht von 4,4 Milliarden Mark, von denen zwei Drittel in eine Stiftung eingezahlt werden sollen; der Rest soll zur Sanierung der Firma genutzt werden. Realistische Chancen, an dieses Geld heranzukommen, haben die Liquidatoren allerdings nur dann, wenn sie ihren Anspruch mit der Entschädigung von Überlebenden begründen.

Die Zustimmung der Aktionäre zum Stiftungsvorschlag ist deshalb weniger die Folge eines Gesinnungswandels, als Ausdruck der Hoffnung, doch noch einmal Profit zu machen - und sei es aus der Zustimmung zu der Entschädigungsstiftung. Die ohne die Unterstützung des Frankfurter Amtsgerichts und der von CDU und SPD regierten Stadt gar nicht hätte beschlossen werden können. Wegen der Verschleppung der Hauptversammlung für 1997 bestellte das Amtsgericht Frankfurt im Oktober 1998 die neuen Liquidatoren Pollehn und Bernhardt, die daraufhin einen Konsolidierungsplan vorlegten.

Damit sie auch die Bestimmungen des Aktiengesetzes einhalten konnten, wonach eine AG jährlich eine Hauptversammlung durchzuführen hat, stellte die Kommune die Stadthalle in Bergen-Enkheim zur Verfügung.

Frankfurt möchte nicht an die Verbrechen der IG Farben erinnern: Wenn in zwei Jahren die Frankfurter Universität in die ehemalige IG Farben-Zentrale einziehen wird, soll es keinen Hinweis auf die Verbrechen der IG Farben geben. Weder auf Auschwitz-Monowitz, wo die Firma ein eigenes KZ betrieb, noch auf die rund 350 000 Zwangsarbeiter, die im besetzten Europa von IG Farben ausgebeutet wurden. Ganz zu schweigen vom Zyklon B, das die IG Farben- und Degussa-Tochter Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) produzierte.

Ungeachtet dessen soll die nächste reguläre Aktionärsversammlung der IG Farben nun, das kündigte Liquidator Pollehn an, im August stattfinden. Anders als noch im letzten Jahr, dürfte diese wohl auch nicht mehr verschoben werden: In Oberbürgermeisterin Petra Roth scheinen die Aktionäre eine verläßliche Verhandlungspartnerin gefunden zu haben.