Der längste Karfreitag

Die Regierungsbildung in Nordirland verzögert sich weiter. Nun soll am 13. April ein zunächst machtloses Schattenkabinett zusammentreten

Die Einigung schien zum Greifen nahe. Doch je länger die Verhandlungen dauern, desto größere Hindernisse gibt es im nordirischen Friedensprozeß zu überwinden. Ein weiterer Aufschub soll jetzt die Lösung bringen. Die Regionalregierung für den Nordteil der Insel, die am Karfreitag hätte zusammentreten sollen, wird nun erst am 13. April konstituiert - und soll zunächst keine Autorität und Befugnisse erhalten.

Vergangene Woche geriet der Friedensprozeß damit erneut in eine gefährliche Sackgasse. Zwar wurde der Zeitplan bis Anfang des Jahres von den Konfliktparteien noch mühsam eingehalten, aber mit der Forderung nach Abgabe und Zerstörung von Waffen der IRA hatte sich ein neuer Konfliktpunkt ergaben, an dem der Friedensprozeß zu scheitern drohte. Ein Termin zur Regierungsbildung, der 10. März, war bereits ergebnislos verstrichen; und auch für den symbolisch wichtigen Karfreitag - ein Jahr nach dem Friedensabkommen von 1998 - zeichnete sich keine Verständigung ab.

Die Krisenstimmung erfaßte auch die beiden Premierminister von Großbritannien und Irland, Tony Blair und Bertie Ahern, die trotz Nato-Krieg in Serbien mehrmals nach Belfast flogen, um im nahegelegenen Hillsborough Castle den im Abkommen von Stormont vereinbarten Friedensprozeß zu retten. Am Gründonnerstag traten sie mit einer gemeinsamen Erklärung vor die Öffentlichkeit, die ein Kommentator der BBC als "raffiniert" bezeichnete. Der Inhalt: Noch einmal zwölf Tage sollen die Konfliktparteien Zeit haben, um sich mit ihrer Basis zu verständigen. Dann wird die Regierung zusammentreten - zunächst als Schattenkabinett ohne wirkliche Macht. Die bekommt sie erst übertragen, wenn mit der Abrüstung begonnen worden ist.

Die Aufstellung einer Regionalregierung für Nordirland ist das entscheidende Moment des "Agreement", wie das Karfreitagsabkommen von 1998 in Stormont genannt wird. Dort kamen erstmals alle Konfliktparteien zusammen, um ein Ende des bewaffneten Konfliktes einzuleiten, Nordirland größere Unabhängigkeit von Großbritannien zuzugestehen und neben der Regionalregierung weitere grenzüberschreitende Institutionen zu errichten. In einem Referendum am 23. Mai stimmten 71 Prozent der nordirischen Bevölkerung für das Abkommen; aus den Wahlen zum ersten nordirischen Parlament einen Monat später ging David Trimbles Ulster Unionist Party (UUP) als stärkste Kraft hervor. Die Kräfteverhältnisse in dieser Versammlung bestimmen auch die Zusammensetzung der aus zehn Ministern bestehenden Regionalregierung: Neben der UUP und der republikanischen SLDP von John Hume sind auch für die IRA-nahe Sinn Féin-Partei zwei Ministerposten vorgesehen.

Trimble, der wegen seines Wahlsieges den eigens geschaffenen Posten eines "Ersten Ministers" übernehmen wird, forderte allerdings bereits im letzten Sommer von Sinn Féin, daß sie die IRA zur Abgabe ihrer Waffen zwingen solle. Die Forderung, die in dem Karfreitagsabkommen ursprünglich gar nicht vorgesehen war, wurde von Trimble jedoch zum Gradmesser des Friedensprozesses erhoben: Solange die IRA ihre Waffen nicht abliefere, werde die UUP keine gemeinsame Regierung mit Sinn Féin bilden. Die gegenwärtige Situation erfordere einen Vertrauensbeweis der Gegenseite, so seine Argumentation. Sinn Féin-Vorsitzender Gerry Adams betonte hingegen ständig, daß seine Partei die IRA nicht zur Waffenabgabe zwingen könne. Dies sei in dem Abkommen auch gar nicht als zwingende Voraussetzung für die Regierungsbildung vorgesehen, sondern müsse erst zwei Jahre später erfolgen.

Die republikanische Bewegung - wie die IRA und Sinn Féin oft gemeinsam genannt wird - frage sich, so Adams, auch, warum sich die Aufmerksamkeit jetzt vor allem auf die Waffen der IRA und nicht auch auf die der paramilitärischen Bewegungen der unionistischen Seite richte. Die Anzahl loyalistischer Attacken auf Katholiken ist in den letzten Monaten auf durchschnittlich zwei Vorfälle pro Woche angestiegen. Abgesehen von der Ermordung der republikanischen Anwältin Rosemary Nelson im März geraten sie aber selten in die Presse.

Die Erklärung von Hillsborough gleicht daher einem Paradox - die nordirische Regierung soll ohne und zugleich mit Waffenabgaben zustande kommen. Nach Angaben von Blair sollen die beteiligten Parteien die nächsten zwölf Tage als "Denkpause" benutzen und sich mit ihrer jeweiligen Basis verständigen. Am 13. April wird dann Mo Mowlam, die britische Nordirland-Ministerin, die zehn Minister als Schattenkabinett nominieren und damit die Regierung offiziell konstituieren. Mit der Nominierung sind allerdings noch keinerlei Kompetenzen verbunden.

Nach maximal einem weiteren Monat folgt dann ein "kollektiver Akt der Versöhnung"; eine gemeinsame Erinnerung an die Toten der letzten dreißig Jahre. Unter den Augen von Ex-Terroristen beider Seiten, Vertreter aller nordirischen Parteien, der Kirchen und der beteiligten Regierungen sollen im Rahmen dieser Zeremonie einige Waffen abgeliefert werden. Die Formulierung der Erklärung erleichtert dies für Sinn Féin: Nicht mehr von der Waffenabgabe als "Bedingung" für die Regierungsbildung, sondern von "Verpflichtung" zur Waffenabgabe ist die Rede. Waffen sollen nicht "zerstört", sondern "unbrauchbar gemacht" werden. Und die zusätzliche Formulierung, daß die Abgabe "freiwillig" geschehen soll, ermöglicht es der IRA, den Akt als eine symbolische Geste des Entgegenkommens darzustellen.

Erst wenn das geschehen ist, wird die Regierung in London zum ersten Mal seit 25 Jahren Regierungsgewalt nach Nordirland übertragen. Wie viele und welche Waffen zerstört werden müssen, entscheidet eine Kommission, die schon vor Wochen zum Zweck der Überwachung dieses Prozesses gegründet worden war. Während der Verhandlungen von Hillsborough zirkulierte ein Vorschlag, der die Vernichtung einer halbe Tonne des Sprengstoffs Semtex vorsieht, was etwa einem Fünftel der IRA-Vorräte entspricht. Die britische Regierung will parallel dazu einige ihrer Militärbasen in Nordirland schließen und die Provinz "demilitarisieren".

Aber viel mehr als eine Atempause ist damit vermutlich nicht gewonnen, in der Zeit bis zur Übertragung der Regierungsgewalt kann die Unterstützung für das Abkommen noch abbröckeln. Am Ostermontag beginnt die traditionelle Marsch-Saison der loyalistischen Orden, die bis zum Sommer dauert und die Situation weiter zuspitzen wird.

Gerry Adams ist dabei im Nachteil. Er muß seine Partei und die IRA von der Hillsborough-Erklärung überzeugen - und das dürfte ihm noch schwerer fallen als noch vor einem Jahr beim Abkommen von Stormont. Damals wurde die Frage der Abrüstung noch ausgespart. Den Kompromiß von letzter Woche kommentierte er mit den Worten: "Wir sind enttäuscht und frustriert, daß die Deadline zur Einsetzung einer Regierung wieder überschritten und die demokratischen Mandate und Rechte der Parteien ignoriert wurden."

David Trimble kann sich gratulieren. Er hat sein Versprechen wahr gemacht, in keine Regierung einzutreten, solange die IRA ihre Waffen nicht abgeliefert hat. Die aggressive Art und Weise, wie er die Friedensverhandlungen auf eine einzige Frage reduziert und damit gefährdet hat, zeigt jedoch, daß er an einem Erfolg des Prozesses nicht so uneingeschränkt interessiert ist, wie er stets behauptet.

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