Ein KZ voller Narren

Lachen rettet uns, postuliert Oscar-Preisträger Roberto Begnini. Anmerkungen zum sinnstiftenden Humor in "Das Leben ist schön".

Sein Auftritt bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles war eine umjubelte Show. Nach einigem Gehüpfe und Geblödel galt Roberto Begninis Dank all jenen Menschen, die an diesem Tag nicht anwesend sein konnten. Wen er da bloß gemeint hat?

Vor einem halben Jahr ist der Film "Das Leben ist schön" von und mit Roberto Begnini in den Kinos angelaufen. Mittlerweile ist er, mit drei Academy Awards ausgezeichnet, ein Kultfilm und Auschwitz endgültig als verwertbares Thema der Kulturindustrie etabliert. Eigentlich kann der Oscar bloß als der "krönende" Abschluß der gesamten Rezeption von "Das Leben ist schön" bezeichnet werden. Das Ausmaß der Misere war allerdings bereits in den ersten Rezensionen nach der Veröffentlichung des Filmes abzulesen.

In ihren überschwenglichen und begeisterten Kritiken erfanden die Zeitungen geradezu atemberaubende Wortkreationen, von einer "grausig-schönen Holocaustkomödie", ja von "Holocaustklamauk" war die Rede. Die Mühe, der Frage nachzugehen, ob diese Neologismen bloß der im alltäglichen Medienbetrieb zerrütteten Sprache oder durchaus dem Film selbst geschuldet waren, hat sich bis heute kaum jemand gemacht.

Die Aussagen von Roberto Begnini selbst sind zumindest widersprüchlich: Er habe sich gefühlt wie Donald Duck in Auschwitz. Ab dem Zeitpunkt, da der Film im Lager spielt, sei er nur noch tragisch. Sein Werk sei ein Film über die Liebe und nicht über den Holocaust. Das Thema sei das so unfaßbare Verbrechen. Der Film erzähle ein Märchen. So falsch haben das Publikum und die Presse den Film also nicht verstanden.

Bei soviel Begeisterung sollte man sich den Film jedoch noch einmal genauer ansehen. Über dessen ersten Teil mögen Cineasten diskutieren. Ob die Pointen dieser ersten Stunde wirklich originell sind, ist eine Geschmacksfrage. Zumeist wird darauf verwiesen, daß dieser Teil des Films nur dazu dient, die Tragik des zweiten zu betonen. Komik soll umschlagen in unsagbare Tragik. So hat sich das Roberto Begnini zumindest zurechtgelegt. Aber entspricht diese Darstellung wirklich dem Gezeigten? Während der Deportation versucht der Vater seinem Sohn die bedrohliche Realität dadurch zu erklären, daß alles nur ein Spiel zu seiner Unterhaltung sei. Der Sieger des Spiels erhalte einen Panzer. Dieses Motiv zieht sich bis zum Ende des Films durch. Bis zur Schlußpointe.

Begnini zeigt Figuren, wie sie schemenhafter nicht sein können. Die Opfer sind Abziehbilder, die Täter sind Dämonen. Die Darstellung lädt zu unreflektierter Parteinahme und bruchloser Identifizierung geradezu ein. Das Publikum definiert sich selbst über die Opferrolle und "leidet mit". Die Frage, warum diese Menschen ermordet werden, stellt sich nicht. In den Szenen zwischen Vater und Sohn wird die Grausamkeit eines Vernichtungslagers zumindest angedeutet. Das Ausgeliefertsein der Opfer an den Vernichtungsprozeß, die Gesellschaftslosigkeit der "umgekehrten Fabrik" Auschwitz werden zu unbedeutenden Motiven. Begnini selbst meinte, es gehe ihm um Liebe und die Kraft des Humors.

Das entscheidende Moment, das

Auschwitz von anderen Verbrechen trennt, die vollendete Sinnlosigkeit des Leidens, hat in der Kulturindustrie keinen Platz. Das Publikum muß das Kino mit einem Gefühl der Versöhntheit verlassen können. Die Unerträglichkeit der Barbarei würde dabei nur stören. Auschwitz muß in der Kulturindustrie zu einer für jeden kommensurablen Ware werden. So wird aus Vernichtung Kultur. Darum ist es erforderlich, von allen Besonderheiten der Shoah abzusehen. Das Eskamotieren der unerträglichen Sinnlosigkeit schlägt um ins genaue Gegenteil - in sinnstiftenden Humor. Die logischen Inkonsistenzen haben Methode. Mit Humor und gutem Willen läßt sich alles aushalten, auch Auschwitz.

"Lachen rettet uns", meint Begnini und betreibt die endgültige Rationalisierung von Auschwitz mit den Mittel der totalen Irrationalisierung. Das Verbrechen, das die bestehende Ordnung in Frage stellen würde, wird in sein Gegenteil verkehrt.

Die Unerträglichkeit muß immer weiter ausgelöscht werden. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Slapstick und die Shoah zusammenführte. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Das ist die eigentliche Bedeutung des Titels "Das Leben ist schön". Man lacht nicht trotz, sondern wegen der Vernichtung. Höhepunkte dieser Farce sind die Szenen, in denen "Italiens Starkomiker den KZ-Alltag verulkt". Offenbachs "Barkarole" wird in Auschwitz gespielt, über die Sprechanlage schickt der KZ-Insasse Guido Liebesbekundungen an seine ebenfalls inhaftierte Frau. Mit solchen komisch-rührenden Bildern, so absurd sie auch sind, kann das Publikum sich anfreunden.

Das kalte und leere Vergessen, von dem noch Adorno sprach, weicht Geschwätzigkeit. Nur ein einziges Mal wird der Zuschauer mit dem Massenmord konfrontiert. Der von Begnini dargestellte Guido verirrt sich im Vernichtungslager. Eine vielsagende Szene. Er durchdringt dichten Nebel und bleibt erschrocken vor einem Massengrab stehen. Ein Insasse eines Vernichtungslagers, der im Nebel über ein Massengrab stolpert? Wie ernst kann man eine solche Szene nehmen? "Das Leben ist schön" macht die Vernichtung zu einem Gerücht.

Im Grunde vollendet Begnini allerdings nur das, was bereits in den Siebzigern mit der TV- Serie "Holocaust" begann. Doch während "Schindlers Liste" durch Emotionalisierung noch betroffen machen wollte, gibt es in bei Begnini nur noch Sachen zum Lachen. Die ritualisierte Betroffenheitskultur wird abgelöst durch das gleichmäßige Rauschen kulturindustrieller Pointen.

Die Täter haben in der Darstellung kaum einen Platz. Nur eine Täterfigur wird etwas genauer gezeichnet: der KZ- Arzt, den man bereits aus der ersten Hälfte des Films kennt. Der Arzt ist offensichtlich ein pathologischer Fall, salopp ausgedrückt: Er ist reif für die Klapsmühle. Seine Täterschaft ist keine freiwillige Entscheidung. Daß Täter alles andere als irre waren, daß Eichmann sich alles andere als "gestört" verhielt, interessiert dabei überhaupt nicht. Die Exkulpierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Auschwitz zeitigten, funktioniert wie von selbst.

Keine Wahnsinnigen, kein Massenmord, folgert der "gemeine Hausverstand", nicht ganz zu Unrecht. So wie die Shoah nicht mit ein paar durchgebrannten Sicherungen zu erklären ist, ist der Antisemitismus der bürgerlichen Gesellschaft nicht auf einen Mangel an Vernunft und Aufklärung zurückzuführen. Er ist vielmehr als Folge der widersprüchlichen Konstitution von Subjektivität in den modernen warenproduzierenden Gesellschaften zu begreifen. Antisemitismus und Rassismus sind eben nicht bloße Spinnerei oder gar dasselbe wie der Haß auf "Chinesen und Giraffen", wie Guido dies seinem Sohn erklärt. Auch der Rassismus der italienischen Faschisten war kein neurotischer Spleen, der sich durch Spott beseitigen ließe. Insofern relativiert sich auch Begninis furchtbar gut gemeinter Auftritt als römischer Schulinspektor.

Die Täter waren willige Vollstrecker des fetischistischen Wahns des modernen Antisemitismus. Sie glaubten, das Böse der Welt, die Personifikationen des Abstrakten, für immer aus der Welt zu schaffen. Dies taten sie im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten. Zu den Problemen, die sich aus dieser Erkenntnis für die Darstellung und Darstellbarkeit der Shoah ergeben, dringt "Das Leben ist schön" nicht annähernd vor.

Von der postulierten Zweiteiligkeit des Films kann keine Rede sein. Die Witzchen folgen am laufenden Band. Begnini zieht Grimassen, verkleidet sich, macht ulkige Verrenkungen, treibt Scherze mit anderen Häftlingen. Das Publikum versteht die Botschaft, es lacht erst vorsichtig, dann aus Überzeugung. Der schon lange fällige Tabubruch ist geglückt.

In der Rezeption wird gebetsmühlenartig immer wieder darauf verwiesen, daß jüdische Organisationen den Film begrüßt haben. Klassischere Stereotypen des sekundären Antisemitismus gibt es nicht. Ein derartiger Philosemitismus ist nur die neue Erscheinungsform der Sonderbehandlung. Solange sich die Opfer für die eigenen Belange instrumentalisieren lassen, sind sie begehrte Legitimationsfiguren. Begnini hat davor gewarnt, "Realistisches in seinem Film zu suchen". "Wie sollte ich realistisch das zeigen, von dem zu reden ich nicht einmal den Mut hatte?"

Den Mut, einen Film darüber zu machen, hatte er jedenfalls. Das einzige Argument, das man für einen Film über Auschwitz angeben könnte, wäre, daß dieser zur Reflexion über das Geschehene und die Verhältnisse, die es hervorbrachten, zwingt. Gemessen an diesem Anspruch scheitert allerdings "Das Leben ist schön" kläglich.

In der fulminanten Schlußszene wird der Film auf seinen Begriff gebracht. Der Junge bekommt seinen heißersehnten Panzer. Der Auszug der Überlebenden aus dem Lager wird von einem Siegesmarsch untermalt. Mutter und Sohn finden einander wieder und sind glücklich vereint. Freudestrahlend wird in die Kamera gegrinst. Die sechs Millionen Toten sind vergessen. Die noch während und nach der Befreiung Gestorbenen existieren nicht. Es gibt doch noch Hoffnung, und das kleine Familienglück wird plötzlich riesengroß. So viel Freude war noch nie. Auschwitz sei Dank.