Agenten und Embargo

Nach der Auslieferung der mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter hofft Libyens Staatschef Gaddafi auf einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung

Ein "bahnbrechender historischer Moment" - so wurde vergangene Woche in Washington und London die Auslieferung der libyschen Geheimdienstagenten Abdel Basset al-Meghrahi und al-Khalifa Fahima bejubelt.

Die Absicht der libyschen Führung, die beiden mutmaßlichen Drahtzieher des Bombenanschlags auf eine Pan-Am-Maschine vom Dezember 1988 an ein schottisches Gericht in den Niederlanden zu überführen, ist jedoch alles andere als spektakulär. Schließlich waren hierfür die Weichen bereits vor einigen Monaten gestellt worden. Nach dem Auslieferungsbeschluß des libyschen Parlaments von Dezember sowie nach den jüngsten Vermittlungsbemühungen Nelson Mandelas und Saudi-Arabiens im vergangenen April war es nur noch eine Frage der Zeit, wann Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi die beiden Geheimdienstbeamten an ein schottisches Gericht in Holland überstellen würde.

Zwar hatte sich der "Führer der Grünen Revolution" lange Zeit skeptisch darüber geäußert, ob die britische und die US-Regierung es - im Falle einer Auslieferung - mit der Aufhebung des UN-Embargos gegen Libyen auch wirklich ernst meinen. Gaddafis Zweifel dürften jetzt jedoch endgültig ausgeräumt sein. Denn als die beiden Libyer am Montag vergangener Woche in die Niederlande verfrachtet wurden, veranlaßte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch am selben Tag eine Aussetzung der UN-Sanktionen gegen den nordafrikanischen Wüstenstaat. Läuft alles nach Plan, soll das Embargo binnen 90 Tagen endgültig aufgehoben werden. Nach Ansicht der arabischen Tageszeitung Ash-Sharq al-Awsat ist mit dem Prozeß gegen die beiden Hauptverdächtigen im Lockerbie-Fall nicht innerhalb der nächsten sechs Monate zu rechnen.

Bereits 1994 und 1997 hatte die Führung in Tripolis den Kompromißvorschlag unterbreitet, die mutmaßlichen libyschen Attentäter nicht im eigenen Land, sondern in einem "neutralen" Drittstaat vor den Kadi zu bringen. Bis Mitte August 1998 stieß diese Initiative jedoch bei Washington und London auf wenig Gegenliebe. Begründung: Die Straftäter müßten laut UN-Resolution entweder der britischen, schottischen oder US-amerikanischen Justiz überstellt werden - eine Forderung, die für Oberst Gaddafi von Anfang an völlig unakzeptabel war.

Erst durch die Vorentscheidung des Internationalen Gerichtshofs zugunsten Libyens im Februar 1998 war Bewegung in das jahrelange diplomatische Patt gekommen. Der Haager Gerichtshof erkannte die libysche Klage gegen Großbritannien und die USA, die mutmaßlichen Attentäter - gemäß der Konvention von Montreal - im eigenen Land oder in einem "neutralen" Staat der Justiz zu überstellen, als rechtmäßig an (Jungle World, Nr.11/98).

Zwar hatten sowohl Washington als auch London mehrfach betont, einem Schiedsspruch des Haager Gerichtshofes grundsätzlich keine Folge zu leisten, da sie das Gericht im Lockerbie-Fall als nicht zuständig erachteten. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, daß der Schiedsspruch aus Den Haag die USA und Großbritannien zu einer nachgiebigeren Haltung gegenüber Gaddafi nötigte. Denn nur fünf Monate nach der Vorentscheidung verständigten sich die beiden westlichen Staaten darauf, die libysche "Drittstaatenlösung" zu akzeptieren und diesen Vorschlag als eigenen zu deklarieren. Für beide Staaten wäre es äußerst prekär gewesen, wenn der Internationale Gerichtshof in letzter Instanz der libyschen Klage von 1992 stattgegeben hätte, wonach die Sanktionen des Sicherheitsrates gegen geltendes Völkerrecht verstoßen - obwohl dadurch das Embargo nicht außer Kraft gesetzt worden wäre.

Dennoch bedeutet der Schiedsspruch des Gerichtshof, der die Aufhebung des Embargos beschleunigt hat, nichts weiter als einen Pyrrhussieg für Gaddafi. Bis heute ist Libyen politisch wie wirtschaftlich isoliert. Jährlich erwachsen dem libyschen Rentierstaat wegen des Luft-Embargos Verluste in Millionenhöhe. Die Wirtschaft befindet sich seit dem rapiden Verfall der Erdölpreise in der Talfahrt. Die staatlichen Einnahmen aus dem Ölgeschäft gingen im vergangenen Jahr um rund ein Drittel zurück. Darüber hinaus bleibt der Import von Erdöltechnologie verboten, dringend benötigte Ersatzteile für die Schlüsselindustrien des Landes sind meist Mangelware. Von der anhaltenden Wirtschaftskrise sind vor allem die kleinen und mittleren Beschäftigten im Staatsdienst betroffen, deren Löhne weiter sinken oder nur unregelmäßig ausgezahlt werden.

Geht es nach dem Willen Gaddafis, soll die Aufhebung der UN-Sanktionen allerdings schon bald ein neues Wirtschaftswunder in Libyen einleiten. Die Zeichen stehen günstig: Schon jetzt befinden sich ausländische Investoren, allen voran italienische, deutsche und französische Firmen, in den Startlöchern. Kurz nachdem die Aussetzung des Embargos publik wurde, reiste Italiens Außenminister Lamberto Dini am Dienstag vergangener Woche flugs nach Libyen, um gleich als erster westlicher Staatschef mit der libyschen Führung ins Geschäft zu kommen.

Von den geplanten Kooperationsverträgen im Tourismus-Sektor und dem Ausbau einer direkten Erdgasleitung nach Italien verspricht sich vor allem Gaddafi einen raschen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere des Landes.