Der Konsenskandidat

Bouteflika hat bei den algerischen Präsidentschaftswahlen die besten Chancen

Die Nachricht, die den Wahlen um die Präsidentschaft in Algerien eine neue Qualität verliehen hat, kam aus der deutschen Noch-Hauptstadt. In Bonn wurde vergangene Woche ein Kommuniqué der in Algerien und Frankreich verbotenen islamistischen Partei FIS (Islamische Heilsfront) veröffentlicht. Die Exil-Führung des FIS wird von Rabah Kebir geführt, der offiziell in Deutschland als anerkannter Asylbewerber einem politischen Betätigungsverbot unterliegt, sich aber in Fernsehinterviews beispielsweise seiner guten Kontakte zur deutschen Wirtschaft gerühmt hat.

Mit dem Kommuniqué meldet sich der FIS wieder als Akteur auf der politischen Bühne des Maghrebstaates zurück. Zum ersten Mal seit seiner gesetzlichen Auflösung Anfang 1992 ruft der FIS zur Teilnahme an einer Wahl in Algerien auf - zugunsten des Kandidaten Taleb Ibrahimi. Und dies, während zugleich ein bedeutender Teil des "demokratischen Lagers" die Teilnahme an der Wahl verweigert und aktiv zum Boykott des Urnenganges aufruft - ein Novum seit Einführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1989.

Schon daran läßt sich der Funktionswandel der Präsidentenwahl am 15. April gegenüber bisherigen Abstimmungen ablesen. Noch 1995 hatten die radikalen Islamisten die Wahl als "Teufelswerk" des "gottlosen" Regimes verdammt.

Damals verfolgte der nach wie vor machtvolle Militärapparat mit der Wahlprozedur ein erkennbares politisches Projekt: Nach knapp vier Jahren Ausnahmezustand sollte eine "Normalisierung" der staatlichen Institutionen stattfinden. Die Etablierung legaler islamistischer Parteien, die den Platz des verbotenen FIS einnehmen und vom Staat kontrollierbar sein sollten, hoffte man, die Fundamentalisten integrieren zu können. Dafür wurde insbesondere die Partei Hamas des Predigers Mahfoud Nahnah zu einer bedeutenden politischen Macht aufgebaut. Seit den Parlamentswahlen von 1997 ist Hamas an der Regierungskoalition beteiligt.

Gegenüber 1995 scheint sich das Projekt der herrschenden Nomenklatura aus Militär und Bürokratie gründlich geändert zu haben. Mit Ex-Außenminister Abdelazis Bouteflika geht nun ein Kandidat der Militärs ins Rennen, der zugleich die Option auf Wiedereingliederung der Islamisten einschließlich des FIS in die algerische Politik verkörpert. Im Wahlkampf hat Bouteflika seine Bereitschaft unterstrichen, "ohne Vorbehalte mit allen Kräften" zu sprechen, einschließlich der Angehörigen der islamistischen Terrorgruppen.

Hinter Bouteflika sammelt sich eine beeindruckende Koalition. Die beiden legalen islamistischen Parteien Ennahda (Wiedergeburt) und MSP (Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens, die ehemalige Hamas), zudem die Führungsebenen der beiden früheren Staatsparteien FLN - die Einheitspartei zwischen 1962 und 1989 - und RND (Nationale demokratische Sammlung), die als "Präsidentenpartei" unter Zéroual aus dem Boden gestampft wurde.

Auch der Führungsapparat der Einheitsgewerkschaft UGTA, die früher eng mit dem FLN-System verflochten war, ruft zu Bouteflikas Wahl auf. Und schließlich unterstützen ihn das staatliche Fernsehen, auf dessen einzigem Kanal derzeit die Auftritte Bouteflikas die beste Sendezeit dominieren, und die Staatsbehörden. Die haben den "candidat du consensus", wie die Presse ihn getauft hat, in den Provinzstädten wie einen bereits amtierenden Präsidenten empfangen.

Nicht wenige Beobachter gehen davon aus, daß Bouteflikas "Wahl" längst entschieden ist - egal, wie die Abstimmung am 15. April ausfällt. Vier seiner Gegenkandidaten haben sich bereits zu einem "Komitee gegen Wahlbetrug" zusammengeschlossen.

Um die Gunst der Islamisten wirbt auch der zweite wichtige Kandidat: der frühere FLN-Minister Ahmed Taleb Ibrahimi, der nach der Unabhängigkeit von 1962 rund 25 Jahre lang an verschiedenen Regierungen beteiligt war. In den sechziger Jahren spielte er als Erziehungsminister eine maßgebliche Rolle bei der Arabisierung der Universitäten. Im gegenwärtigen Wahlkampf stach Ibrahimi vor allem dadurch hervor, daß er eine Wiederherstellung der Moral und der arabo-islamischen "Authentizität" als Rezept für die Ausmerzung der "Übel" des Landes ("Korruption, Drogen, Prostitution, Vagabundieren und soziale Ungerechtigkeit") darstellte, hinter denen er "die Hand des Auslands" am Werk sieht. In seinen Wahlkampfveranstaltungen fiel auf, daß Männer und Frauen auf strikt getrennten Rängen saßen - ein Vorgeschmack auf eine fundamentalistische Gesellschaft.

Zwei weitere Kandidaten haben zumindest Chancen auf ein beachtliches Ergebnis: Der ehemalige Premier Mouloud Hamrouche und Hocine Ait-Ahmed, der Vorsitzende des von der Sozialistischen Internationale unterstützten FFS. Ait-Ahmeds "Front der sozialistischen Kräfte", die die Interessen der Kabylen/Berber vertritt, hat im Januar 1995 auch die "Plattform von Rom" unterzeichnet. In diesem von mehreren Parteien, darunter dem islamistischen FIS, ausgehandelten Dokument wird eine "politische Lösung" als Ausweg aus der algerischen Krise und zu diesem Zweck eine "nationale Aussöhnung" gefordert, welche die erneute Anerkennung der Islamisten als politische Kraft voraussetzt. Ausdrücklich wird in dem Papier die Überlegenheit des "göttlichen Gesetzes" über das weltliche anerkannt.

Der Einsatz für "den Frieden" durch eine "politische Lösung" gemäß der Plattform von Rom war eines der Hauptthemen im Wahlkampf Ait-Ahmeds. Als einer der wenigen Überlebenden dee Rebellions vom 1. November 1954, der den Unabhängigkeitskrieg auslöste, und als langjähriger Oppositioneller gegen die herrschenden Militärkreise in Algier kann Ait-Ahmed auf ein beträchtliches Ansehen bauen. Erst am 2. Februar kehrte er aus seinem Schweizer Exil zurück, wo er seit 1966 fast ununterbrochen gelebt hatte. Ob er von einem eventuellen Wahlsieg profitieren könnte, ist allerdings unklar: Nach einer schweren Herzattacke wurde er am Mittwoch vergangener Woche in eine Spezialklinik in Lausanne eingewiesen.

Ein weiterer Kandidat mit beachtlichen Chancen ist Mouloud Hamrouche, Premierminister von 1989 bis 1991, der sich in dieser Zeit den Spitznamen "algerischer Gorbatschow" erwarb. Seit 1962 basierte das algerische System auf der Aufteilung von Reichtümern unter militärischen Clans und Seilschaften - verteilt wurden zunächst die von den 1962 ausgewiesenen europäischen Siedlern hinterlassenen Häuser und Vermögen, später die Einkünfte aus den Ölexporten. Anstelle der auf der Ölrente aufbauenden Ökonomie wollte Hamrouche eine warenproduzierende setzen. Damit traf er den Nerv des Nomenklatura-Systems, und mit dem Ausbruch der Krise 1991 wurde seinem Eifer ein Ende gesetzt. Im gegenwärtigen Wahlkampf beruft sich Hamrouche auf die damals erprobten Ansätze, die es weiterzuführen gelte. Auf der Basis einer einzuführenden Marktwirtschaft setzt er sich für eine Art keynesianische Politik mit Schwerpunkten auf Binnenkonsum und Wohnungsbau aus.

Vermutlich kommt er mit seinem Konzept zu spät: Die Militärs sind selbst dabei, die einstigen staatlichen Monopole zu liquidieren und sich in eine Kaste von Privateigentümern umzuwandeln, die eher mafiose Züge trägt. Deswegen scheinen die Militärs längerfristig die Unterstützung der Islamisten zu brauchen, die mit ihrem totalitären Projekt neuen ideologischen Kitt liefern könnten. Hamrouche, der sich in der Frage des Umgangs mit den Islamisten zunächst nicht festlegte, hat inzwischen erkannt, daß Bouteflika und Taleb Ibrahimi dieses Terrain bereits besetzt haben; er hat sich nunmehr gegen Kompromisse mit dem Fundamentalismus ausgesprochen.

Die drei weiteren Kandidaten, die es geschafft hatten, eine Zulassung des Verfassungsgerichtes zu erreichen, sind chancenlos: Der Prediger und radikale Islamist Abdallah Djaballah, bis vor wenigen Wochen Kopf der Bewegung Ennahda, deren Führung sich gegen seinen Willen mehrheitlich der Unterstützungsfront für Bouteflika angeschlossen hat; der Technokrat Mokdad Sifi, Vizepräsident des algerischen Parlaments, der 1996 für zehn Monate Premierminister gewesen war; und Youcef Khatib, der parteilose Kandidat des "doppelten Bruchs" - sowohl mit dem Nomenklatura-System als auch mit der islamistischen Scheinalternative. Seine Wahlaussichten tendieren mangels organisierter Unterstützung gegen Null.