Fehden im russischen Staatsapparat

Jelzin vs. Primakow

Es war die große Stunde der Dementis. Am Freitag vergangener Woche stritten der Kreml und weitere Politiker ab, daß folgendes vorgesehen sei: die Entlassung von Premierminister Jewgeni Primakow; die Entlassung des Vize-Premiers Gennadi Kulik; die Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes FSB; das Verbot der KP; die Auflösung des Parlaments; die Verhängung des Ausnahmezustands.

Der Krieg ist der Vater aller Dinge, so könnte man zynisch anmerken, und der Nato-Krieg gegen Jugoslawien hat zumindest zu einer enormen Beschleunigung der Krise in der russischen Politik beigetragen. Das bislang schon labile Machtgefüge zwischen Präsident Jelzin, der von KP und Nationalisten dominierten Duma und der Primakow-Regierung ist weiter durcheinander geraten.

Mitte vergangener Woche stellte sich Jelzin scharf gegen die "Partei des Krieges", wie Le Monde - angesichts des Nato-Kriegs ein starkes Stück - formulierte: gegen die KP - die etwa so kommunistisch ist wie Milosevic - und einige Höherrangige aus dem russischen Militärapparat, die auf Unterstützung des russischen Staates für Jugoslawien hinwirken wollen und Kalte-Kriegs-Rhetorik recyceln. Die Militärs sollten sich "unangemessener" Erklärungen enthalten, wenn sie nicht gefeuert werden wollten, verlautete, so Le Monde, aus dem Kreml. Das war beispielsweise auf Generalstabschef Anatoli Kwaschnin gemünzt. Der hatte in der Vorwoche hinsichtlich russischer Militärhilfe an Jugoslawien gesagt: "Wir sind bereit." Nun scheint er kaltgestellt zu sein.

Die Duma ihrerseits sägt munter weiter an Jelzins Sessel. Sie will - möglicherweise am Donnerstag - über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Jelzin abstimmen. Das hätte zwar wenig Chancen, auch den Föderationsrat und eine Prüfung durch das Verfassungsgericht zu passieren, würde aber den wie nie zuvor angeschlagenen Jelzin politisch weiter schwächen.

In das Impeachment-Spiel schaltete sich vergangene Woche auch der KGB-Nachfolger FSB ein. In einem nach Angaben der Nachrichtenagentur Itar-Tass an alle Abgeordneten verteilten Papier hieß es, die Amtsenthebungskommission habe "zahlreiche Verletzungen der bestehenden Gesetzgebung" begangen; das von ihr erarbeitete Material habe politischen, nicht rechtlichen Charakter. KP-Chef Gennadi Sjuganow sprach von Gerüchten, die die FSB-Intervention als Drohung mit der Verhängung des Ausnahmezustands interpretierten.

Zudem versuchte Jelzin, den von der Duma akzeptierten Regierungschef Primakow gegen das Impeachment-Verfahren in Anschlag zu bringen. Der allerdings hatte, so Le Monde, vor verantwortlichen Duma-Abgeordneten gesagt: "Ich glaube nicht, daß Sie und ich diese Absetzung jetzt brauchen", was in Kreml-Kreisen für Irritation sorgte. Jelzin wiederum konterte am Freitag: "In diesem Stadium ist uns Primakow nützlich, weiter wird man sehen. (...) Andererseits muß man die Regierung verstärken."

Primakow hatte, während Jelzins monatelanger Krankheit das politische Establishment in Moskau reorganisiert, in verschiedenen Schlüsselpositionen seine Leute untergebracht und dadurch einen spürbaren Machtzuwachs erzielt. Eine gute Gelegenheit, Primakow abzusägen, hat Jelzin schon verstreichen lassen: als der Regierungschef von seiner Vermittlungsmission im Jugoslawien-Krieg erfolglos und von Gerhard Schröder brüskiert nach Moskau zurückkehrte.

Daß Jelzins Stern weiter sinkt, war in der vergangenen Woche zudem an der Affäre um den Milliardär Boris Beresowski erkennbar, in die auch die Jelzin-Familie hineingezogen werden könnte. Beresowski stand bislang unter Jelzins Protektion. Nun wurde ein Haftbefehl wegen Geldwäsche gegen den in Paris weilenden Tycoon erlassen. Beresowski sah dahinter Primakows Hand. Die Absetzung des Generalstaatsanwalts Skuratow, der gegen Beresowski ermittelt, ist Jelzin trotz eifriger Bemühungen bislang nicht gelungen.

Am Wochenende versuchte Primakow, die Wogen zu glätten. Er habe keine Ambitionen aufs Präsidentenamt, sagte er in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache. Zudem sprach er sich gegen eine Fortsetzung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Jelzin aus. Und Skuratow solle sein Amt niederlegen; abgesehen von der Rückführung veruntreuter Gelder gebe es kein Interesse an Ermittlungen gegen prominente Geschäftsleute.