Kein Frühling für Le Pen

Im Vorfeld der Europawahlen zerfällt der alte Front National - und der Dissident Bruno Mégret profitiert davon

Die Konkurrenz wird dreister, aber Jean-Marie Le Pen läßt sich nichts anmerken: "Das berührt mich weit weniger als der Tod meiner Katze, die heute gestorben ist", tönte Ende März der Vorsitzende des Front national pour l'unité fran ç aise ("Nationale Front für die französische Einheit"). So lautet der Orginaltitel der Partei, die Le Pen 1972 gegründet hat. Um seine Organisation vom konkurrierenden Front national - Mouvement national ("Nationale Front - Nationale Bewegung") abzugrenzen, greift die Partei Le Pens immer häufiger auf ihren urspünglichen Titel zurück.

Le Pen zeigt sich in der Öffentlichkeit gerne unbeeindruckt von der neuen rechtsextremen Konkurrenz. Und ebenso vom Parteiaustritt des Bügermeisters von Toulon, Jean-Marie Le Chevallier. Am letzten Märzwochenende hatte das Stadtoberhaupt seinen Austritt verkündet - damit verliert Le Pen die Kontrolle über die mit Abstand größte der vier Städte, die seit Juni 1995 (Toulon, Orange, Marignane) und Februar 1997 (Vitrolles) von den Rechtsextremen regiert werden.

Le Chevallier fühlte sich nach eigenen Angaben von seinem Parteichef nicht ausreichend bei kommunalpolitischen Problemen unterstützt. Für den nunmehr parteilosen Bürgermeister wurde der Spielraum schon seit einigen Monaten zunehmend kleiner. Er hatte nicht nur mit neun zu Mégret übergelaufenen "Dissidenten" innerhalb seiner Rathausmehrheit zu kämpfen, sondern insbesondere auch mit Opponenten in den eigenen Reihen. So erhob die kommunale Abgeordnete Eliane Guillet de la Brosse, die zu den Le-Pen-treuen Mitgliedern des FN zählt, schwere Vorwürfe gegen Le Chevallier und seine Gattin wegen Vetternwirtschaft und Bevorzugung der eigenen Familie.

Um "die Verhältnisse zu ordnen" und den Bürgermeister "unter die Vormundschaft des FN zu stellen" traf Mitte letzter Woche der FN-Generalbeauftragte Carl Lang in Toulon ein. Die FN-Abgeordneten im Stadtparlament werden zwar für Le Chevalliers Verbleiben im Amt stimmen, gleichzeitig soll damit das treulose Parteimitglied weiterhin unter Kontrolle gehalten werden. Le Chevallier prüft nun nach Informationen des rechtsbürgerlichen Wochenmagazins Valeurs actuelles den Übertritt zur Démocratie libérale (DL), der ultraliberalen Partei von Alain Madelin.

Auch wenn Le Pen demonstrative Gleichgültigkeit zum Abgang seines langjährigen Getreuen mimt, so kann er damit kaum über die offenkundige Aufregung in seiner Partei hinwegtäuschen. Le Pens Schwiegersohn Samuel Maréchal - nach der Trennung von Bruno Mégret zu einem der drei wichtigsten Männer der Partei aufgestiegen - empörte sich jedenfalls zur gleichen Zeit vor Journalisten: "Wie kann er so etwas kurz vor den Printemps de la France machen!"

Der "Frühling Frankreichs" lautet das Motto der "Nationalen Konvention", einer Mischung aus politischem Kongreß und Unterhaltungsshow, die der Front National Ende März in der Pariser Vorstadt Le Bourget veranstaltete. Der Auftakt vor rund 2 500 Teilnehmern fiel dabei zeitgleich mit dem Austritt von Le Chevallier zusammen. "Der verdorbene Frühling von Jean-Marie Le Pen", titelte denn auch Le Monde.

Zu allem Überfluß zeigten Fernsehnachrichten und Presseberichte auch noch, wie Le Pen während des "französischen Frühlings" seine Aktivisten um Geld für den kommenden Europa-Wahlkampf anpumpen mußte: "Bitte nicht weniger als 5 000 Francs (1 250 Euro), da sonst der Aufwand für die Buchhaltung zu groß ist."

Le Pen steckt in finanziellen Nöten, denn eine ganze Anzahl seiner Konten sind durch eine Initiative von Mégret-Anhängern blockiert, die sich als "Vertreter des wahren und legitimen FN" an die Banken gewandt oder gleich gegen Le Pen geklagt hatten. Zwar muß auch Mégret - auch ihm gewähren die Geldhäuser aus Skepsis über seine Aussichten bei den Europawahlen Mitte Juni bisher keine Kredite - seine Mitglieder um großzügige Spenden bitten, doch blieb dies bisher von den Medien weitgehend unbemerkt.

Diese beschäftigen sich seit Wochen vor allem mit der wachsenden Zahl von Austritten aus der Partei Le Pens. Im März liefen zwei weitere wichtige Kader zu Mégret über: Sophie Brissaud, die bis dahin als "Kommunikationsbeauftragte" Le Pen persönlich zugeordnet war, und ihr Ehemann Jean-Marc Brissaud, bisheriger Generalsekretär der rechtsextremen Fraktion im Europaparlament.

Beide hatten sich für die Bildung einer gemeinsamen Fraktion mit den Anhängern von Mégret eingesetzt, um das parlamentarische Gewicht der Neofaschisten nicht zu schwächen. Die Antwort von Le Pen fiel sehr präzise aus: "Die Anordnung, die der Präsident des Front National gegeben hat, lautet: Keinerlei Beziehung irgendwelcher Art zu den Verrätern und Dissidenten." Bereits im Vormonat war Bruno Racouchot, bis dahin persönlicher "Kabinettsdirektor" Le Pens, in die Partei Mégrets eingetreten.

Die Anziehungskraft des "starken Mannes" Le Pen ist angesichts der wachsenden Zerfallserscheinungen seines Front National deutlich gesunken. Umfragen zufolge kommt die von Le Pen angeführte Liste für die Europawahlen derzeit noch auf sechs bis sieben Prozent und liegt damit nur knapp vor Mégret. Bedrohlich ist für Le Pen außerdem der Umstand, daß viele traditionelle Wähler wegen des Konflikts zwischen den Rechtsextremen verunsichert sind und bei den Wahlen möglicherweise zu Hause bleiben. Der Trend spricht gegen Le Pen. Während er in den Umfragen seit Januar deutlich abfällt, klettert Mégret in der Gunst der Wähler langsam höher und liegt bereits bei vier Prozent.

Beide Politiker halten jedoch zwei Trümpfe in der Hinterhand, die sie gerne im Vorfeld der Europawahlen ausspielen würden. Le Pen kann sich möglicherweise mit dem Namen Charles de Gaulle schmücken. Der Enkel des 1970 verstorbenen Generals ist derzeit Europa-Abgeordneter der rechtskatholischen "Bewegung für Frankreich" (MPF) unter dem konservativen Grafen de Viliers. Und er signalisierte bereits, daß er möglicherweise für den Front National kandidieren werde. So lobte er kürzlich in einem Beitrag für den Figaro jene, "die sich all die Jahre am intensivsten für die Souveränität Frankreichs eingesetzt haben" und die man nicht "diabolisieren" dürfe. Sicher ist de Gaulles Kandidatur auf der von Le Pen geführten Liste allerdings noch nicht.

Gut scheinen hingegen die Chancen für Mégret zu stehen, einen anderen prominenten Familiennamen auf seine Liste zu bekommen - den Namen von Le Pen. Dessen älteste Tochter Marie-Caroline ist Mitglied von Mégrets Bewegung. Anfang Mai, im Anschluß an ihre Demonstration zum "Tag der Arbeit", wollen die Mégret-Anhänger enthüllen, wer auf ihrer Wahlliste steht.