Sofia träumt vom Osten

Die EU vertröstet Bulgarien. Die Regierung orientiert sich wegen der Wirtschaftskrise mehr an Osteuropa

Viel Mut machte der Fachmann den anwesenden Bulgaren nicht. "Unter den jetzigen Bedingungen ist es sehr teuer, in Bulgarien Geschäfte zu machen", sagte der US-amerikanische Wirtschaftsguru Jeffrey Sachs vor kurzem auf einer internationalen Konferenz in Sofia. Zu viel Bürokratie und Korruption sowie die mangelnde Transparenz erhöhten die Ausgaben für Geschäfte in Bulgarien, maulte Sachs.

Als die Gesichter immer länger wurden, spendete Sachs noch ein wenig Trost. "Bisher hat Bulgarien unter seinem Potential gearbeitet, aber im nächsten Jahrzehnt gibt es die Möglichkeit für eine volle Entfaltung seiner Wirtschaft." Vor allem in der Landwirtschaft, im Kommunikationssektor und im Tourismus gebe es gute Chancen, erklärte Sachs zuversichtlich und bestieg umgehend den Flieger zurück nach Übersee.

Besonders erfreut zeigte sich der bulgarische Finanzminister Murawej Radew über die Aussagen von Sachs nicht, aber der unangenehmste Besuch stand ihm erst noch bevor. Kurz nach Sachs traf Malcolm Knight, Abteilungsleiter beim Internationalen Währungsfonds (IWF), zur Visite in Sofia ein. Erst im September 1998 hatte das Land ein Kreditabkommen in Höhe von rund 800 Millionen Dollar mit dem Fonds abgeschlossen - selbstverständlich mit den üblichen Auflagen. Radew beteuerte denn auch, daß der Umbau der Wirtschaft und insbesondere der defizitären Staatsbetriebe die wichtigste Aufgabe der Regierung seien. Marode Betriebe sollen bis Mitte des Jahres geschlossen werden.

Doch an den bulgarischen Staatsbetrieben scheint niemand großes Interesse zu haben. Die Privatisierungsbilanz fiel bisher sehr mager aus. Kein einziger großer Staatsbetrieb wurde verkauft, die Fluggesellschaft Balkan, die Telefon-Gesellschaft BTK und die Chemiewerke Himko sind immer noch staatlich. Auch die größte Erdölraffinerie auf dem Balkan, Nettochim bei Burgas am Schwarzen Meer, konnte nicht losgeschlagen werden.

Die Regierung hat darüber hinaus noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen: der Schattenwirtschaft. Die bulgarischen Behörden sind kaum in der Lage, die wirtschaftlichen Tätigkeiten im Land zu überprüfen - geschweige denn, angemessene Steuerzahlungen durchsetzen. Rund 22 Prozent des bulgarischen Bruttoinlandprodukts gingen nach Angaben des Nationalen Statistischen Instituts in Sofia im vergangenen Jahr auf das Konto der Schattenwirtschaft; andere Schätzungen gehen jedoch von einem Anteil von 50 Prozent aus.

Mit geschönten Statistiken aber wird der IWF kaum zu beeindrucken sein - für ihn hat die kapitalistische Modernisierung der staatlichen Fiskalpolitik Priorität. Dennoch ist die Schattenwirtschaft wichtig für das Land, um in Krisenzeiten zu überleben. Kleinere Unternehmen ohne großes Eigenkapital ziehen es vor, ganz in der Schattenökonomie zu arbeiten. Größere Firmen betreiben nur einen bestimmten Teil ihrer Geschäfte im legalen Bereich. Die meisten Hersteller erledigen nach Ansicht unabhängiger bulgarischer Wirtschaftsexperten ihre Exportgeschäfte durch Off-shore-Firmen. Nur Banken und Versicherungen können keine Geschäfte am Fiskus vorbei schließen.

Nach einem relativ guten Start rutschte Bulgarien im vergangenen Jahr in eine tiefe Rezession - just zu dem Zeitpunkt, als der IWF-Kredit vereinbart wurde. In diesem Jahr rechnet das Land wieder mit einem leichten Plus von 0,5 Prozent. Den Grund für die schlechte Lage sieht die Regierung in einer allgemeinen Stagnation Mittel- und Osteuropas - und auch sonst schiebt die bulgarische Politik gerne dem Ausland den schwarzen Peter zu. Die EU habe fast nichts dafür getan, daß sein Land der Union beitreten könne, kritisierte etwa Ministerpräsident Iwan Kostow. Bulgarien ist bei den Beitrittsverhandlungen in die EU nur in die zweite Runde aufgenommen worden - und das kann dauern.

Statt einer schnellen Aufnahme ist man nun mit Auflagen konfrontiert, die das Land überfordern. Die EU übe beispielsweise ein "sinnloses Diktat aus", so Kostow, wenn sie Bulgarien zur Schließung von Teilen des Atomkraftwerks Kosloduj auffordere. "Die aggressive Forderung, das AKW zu schließen, wird die wenige verbliebene Wettbewerbsfähigkeit zunichte machen, die das Land noch hat." 40 Prozent der Industrie und der Privathaushalte werden aus dem Mailer mit Strom versorgt. Sollte die EU nicht bis spätestens 2001 zu Beitrittsverhandlungen einladen, werde seine Regierung die Schließung des AKWs als nachrangig vehandeln, drohte der Ministerpräsident.

Und falls die Verhandlungen sich nicht beschleunigen ließen, könnte sich das Land auch noch zu einer anderen Variante entschließen: eine erneute Orientierung in Richtung Osten. Unterstützt werden solche Überlegungen derzeit vor allem wegen der wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in Jugoslawien. Wegen der erschwerten Ausfuhr, gestiegenen Transportkosten und gekündigten Verträgen muß die Wirtschaft mit monatlichen Verlusten von 260 Millionen US-Dollar rechnen. Ein Krisenplan ist schon in Vorbereitung. Sein Kernpunkt: Umorientierung des bulgarischen Außenhandels von West- nach Osteuropa und dem Nahen Osten.