Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Markus Göbel ist Redakteur beim RTL-Fernsehen

Ich weiß es noch ganz genau: in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Jena. Zwar war ich nicht krank, aber wir hatten zu Hause keinen Fernseher, und meine Mutter arbeitete dort als Krankenschwester. Eigentlich war Fernsehen bei der Arbeit verboten, besonders, wenn es Westfernsehen war. Aber ein Doktor hatte Mitgefühl mit den Krankenschwestern und ihren Familien, die sich im Krankenhaus eingefunden hatten. "Obwohl er in der Partei war, hat er seinen Fernseher für das Spiel ins Schwesternzimmer gestellt", erzählt meine Mutter, die "Schwester Renate", noch heute.

An das Spiel kann ich mich natürlich überhaupt nicht erinnern, weil ich damals kaum drei Jahre alt war. Mehr an die aufgeregte Atmosphäre, denn für mich war es etwas Besonderes, vor einem Fernseher zu sitzen. Zu Hause hatten wir nur ein riesengroßes Röhrenradio aus den sechziger Jahren, das immer fünf Minuten brauchte, bis die Röhren warm wurden und die Musik anfing. Bis es soweit war, hielt mich der koffergroße Holzkasten mit seinem "magischen Auge" bei Laune. Das war eine hellgrüne strichförmige Anzeige hinter der großen Glasscheibe: Erst passierte gar nichts und dann wuchs aus dem hellgrünen Strich in der Mitte ein kleiner dunkelgrüner, der sich immer weiter an die Ränder ausbreitete. Wenn das Dunkelgrün die Ränder erreicht hatte, ging endlich die Musik los. Oder die Nachrichten, die mein Vater immer hörte.

Er ist ein richtiger News-Junkie. Heute schaut er alle abendlichen Nachrichtensendungen von "Heute" bis zu den "Tagesthemen", und damals klebte er die ganze Zeit am Dampfradio und hörte Westsender. Wir waren ziemliche Systemhasser und deshalb kam bei uns kein Ostradio ins Haus. Als meine Schwester mal am Republik-Geburtstag mit einer selbstgebastelten roten Fahne vom Kindergarten nach Hause kam, steckte mein Vater das Ding sofort in den Kachelofen und sagte: "Bei uns nicht!" Danach hat er wahrscheinlich wieder das Radio angeschaltet. Meine Mutter erzählt noch heute, daß sie alleine mit dem Taxi ins Krankenhaus fahren mußte, als sie mit mir schwanger war und die Wehen kamen. Mein Vater wollte erst, wie jeden Abend, das halbstündige "Echo des Tages" im WDR-Radio über Mittelwelle zu Ende hören. So kam ich ohne seinen Beistand zur Welt.

Doch soviel Mißachtung zahlte ich ihm heim am Abend, als das Sparwasser-Tor fiel. Gerade als er am verzweifeltsten war, steckte ich ihm ein Bonbon in den Mund. Er lutschte es erst und fragte dann, woher ich es habe. Ich sagte: "Gefunden." Und wo? "Im Mülleimer."