Alternative Lebensformen

Altifaschismus

Ilse und Richard Grubitz leisteten schon Widerstand, da waren unsere Eltern noch gar nicht geboren. Ilse: "Wir trafen uns immer im Gustav Helmut, einer Kneipe für linke Kräfte. Da gab's bunte Abende. Den Richard habe ich mit 17 auf einer Demo kennengelernt. Mit Lippenstift habe ich im Sportpalast 'Rotfront' an die Wand geschrieben." Richard: "Wir haben Heftchen für die Partei verkauft, das war Propaganda. Spaß gemacht hat's trotzdem. Dann gab es Straßenkämpfe, wir haben den Nazis die Büros zerkloppt."

Über die Ereignisse der zwanziger und dreißiger Jahre in Kreuzberg, dem KPD-Unterbezirk Südosten, wo sie später einer Widerstandszelle angehörten, können die beiden ehemaligen Jungspartakisten eine Menge erzählen. Ilse wurde von einer Arbeitskollegin maßgeblich beeinflußt. "Die spielte in dem Film 'Kuhle Wampe' mit, klar, daß ich den sehen wollte." Richard war in der Antifaschistischen Aktion: "Die waren mehr militärisch organisiert. Gummiknüppel waren verboten, aber mit dem Eisenschloß an der Koppel ließ sich eine Menge anstellen. Dann kam 1933 und damit das Ende von uns allen."

Ilse kam zum Arbeitsdienst. "Da mußten wir den Wald fegen." Richard zog gegen Frankreich in den Krieg, wurde verwundet. Eine Menge Angst haben sie umeinander und vor den Nazis gehabt. Die beiden arbeiteten "illegal in unserem Grüppchen": In Betriebszellen, die Sabotageakte verübten. Durch eingeschleuste Gestapo-Spione wurden die meisten Mitglieder enttarnt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen im KZ. Hitler haben Ilse und Richard mit Ach und Krach überstanden, viele Freunde haben es nicht geschafft und wurden in den letzten Kriegstagen noch von der SS erschossen. Ilse und Richard hatten Glück, konnten sich in einer Zeltstadt nahe Berlins verstecken. Als die Rote Armee kam, zeigten sie den Soldaten die besten Zufahrtsmöglichkeiten in die Stadt. Nach dem Krieg betrieben sie einen Marktstand am Kottbusser Tor in Kreuzberg, zogen aber - aus politisch naheliegenden Gründen - später nach Ost-Berlin.

Damit andere vom Leben der Grubitz' erfahren, haben die Berliner Regisseure Julia Oelkers und Lars Maibaum einen Film über das Ehepaar gedreht. Die zwei haben die zwei zu den Schauplätzen ihres früheren Lebens begleitet, zwischenrein sind Dokumentar-Szenen geschnitten. Wem das zu langweilig ist, weil keine Popmusik vorkommt, dem sei gesagt: Die hatten sie damals auch nicht. Ilse: "Als ich zum Arbeitsdienst kam, war Schluß mit Tanzen." Heute sind die beiden im VVN aktiv. Sie meinen, wenn man sich zur Ruhe setze, würde der Kopf einschlafen. Richard: "Jetzt machen wir erstmal das Jahrhundert voll, dann sehen wir weiter."

"Südosten". D 1999. Regie: Julia Oelkers/ Lars Maibaum, Start: 22. April, fsk-Kino