Bülent und die Wölfe

Bei den Wahlen in der Türkei spielten Faschisten, Ultranationalisten und Militärs die Hauptrolle

"Die Türkei wird Apos Grab sein", grölten Anhänger der ultranationalistischen Nationalen Bewegungspartei (MHP) in der Wahlnacht von Sonntag auf Montag auf den Straßen Istanbuls und Ankaras, nachdem die ersten Hochrechnungen das erahnen ließen, was sie selbst nicht erwartet hatten: Nachdem die MHP bei den Wahlen vor vier Jahren noch an der Zehn-Prozent-Hürde gescheitert war, wurde sie diesmal mit über 18 Prozent zweitstärkste Partei.

Um Mitternacht rollten denn auch die ersten Konvois mit Anhängern der Siegerparteien durch die Straßen türkischer Großstädte. Mit den typischen Accessoires ausgerüstete MHPler - Fahnen mit drei Halbmonden oder dem heulenden Wolf, Wahrzeichen der Bewegung der faschistisch-türkistischen Grauen Wölfe - fuhren durch die Innenstädte, riefen faschistische Slogans und machten mit der Hand das Wolfszeichen: erhobener Zeige- und kleiner Finger bei geschlossener Faust. Ein Alptraum: Die Türkei soll noch türkischer werden.

Die Parteianhänger der nur dem Namen nach Demokratischen Linkspartei (DSP) zeigten diszipliniert Präsenz, ganz dem Image ihres stets bescheiden wirkenden Parteiführers Bülent Ecevit entsprechend: Ein Mann, der in den siebziger Jahren als Ministerpräsident gegen Kontraguerilla, Faschismus und die US-Dominanz in der Region wetterte, heute jedoch zu den ultranationalistischen Unterstützern des Militärs zählt.

Mit dem erheblichen Anstieg der DSP (von 14,6 auf 23,5 Prozent) und MHP (von 8,2 auf 18,66) im Vergleich zu den Wahlen von 1995 verloren dementsprechend alle andere Parteien erheblich an Stimmen. Am härtesten wurde die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei getroffen, die an der Zehn-Prozent-Hürde scheiterte. Die einzige gemäßigte Partei wird nun nicht mehr in der türkischen Nationalversammlung vertreten sein.

Auch die Islamisten verloren erhebliche Stimmanteile, wurden allerdings immer noch mit 15,9 Prozent drittstärkste Partei und konnten auf lokaler Ebene wichtige Posten halten, wie die Oberbürgermeisterämter in den Metropolen Istanbul und Ankara. Der Südosten wählte konsequent die prokurdische Demokratiepartei des Volkes (Hadep), die auf Landesebene jedoch an der Zehn-Prozent-Hürde scheiterte. Tansu Çillers Partei des rechten Weges wurde mit 13,9 Prozent die schwächste Fraktion im Parlament, zweitschwächste die Mutterlandspartei von Mesut Yilmaz mit 14,2 Prozent.

Die konservativen Yilmaz und Çiller würden zusammen zwar immerhin 28 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und könnten damit die stärkste Fraktion bilden, doch die persönlichen Rivalitäten der beiden ehrgeizigen Politiker und vor allem die Korruptionsskandale von Çiller kosteten die Rechte erhebliche Popularität.

Die Bildung einer neuen Regierungskoalition dürfte nach dem Wahlergebnis schwierig werden - aber damit hat man in der Türkei bereits viel Erfahrung. 1995 hatte das Wahlvolk brav seine Vertreter bestimmt, die in den folgenden vier Jahren insgesamt vier Regierungen bildeten, darunter drei Minderheitsregierungen: Vier Jahre lang existierte keine wirklich regierungsfähige Exekutive, sondern nur ein chaotisches Parlament mit Dominanz der Islamisten - und im Hintergrund die Militärs. Nachdem der Generalstab die Regierungskoalition von Tansu Çiller und Islamistenführer Necmettin Erbakan quasi still und leise niedergeputscht hatte, krebsten Minderheitsregierungen unter Mesut Yilmaz und Bülent Ecevit vor sich hin, stets gegen das islamistische Übergewicht ankämpfend.

Die Ultrakonservativen in der Gestalt der DSP und der MHP haben in diesem Wahlkampf entsprechende Themen ausgeschlachtet: mit Slogans gegen die "separatistischen Verräter" (ein anderer Name für Kurden in der Türkei) und den "Babykiller" Abdullah Öcalan. Doch konnte auch die

mit immensem Aufwand betriebene Propagandaschlacht um die Festnahme von PKK-Chef Öcalan nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Politiker mittlerweile als völlig unglaubwürdig gelten: Sie simulieren nicht einmal mehr Lösungsansätze für die gesellschaftlichen Probleme.

Dennoch gab es eine bedeutende Entwicklung seit den Parlamentswahlen von 1995. Damals sprachen noch alle Parteien von Demokratisierung, Verbesserung der Menschenrechtssituation, über die kulturelle Anerkennung von Minderheiten und die Sicherung von Religionsfreiheit. Heute geht es nur noch um die Innere Sicherheit.

Und so fungieren die potentiellen Regierungsanwärter vor allem als ausführende Organe des türkischen Generalstabs - gegen den islamischen Fundamentalismus und gegen die kurdische Bewegung. Die Forderung nach dem Schutz der nationalen Sicherheit hatte sich schon immer als effektives Disziplinierungsmittel bewährt. So wurde die Regierung Erbakan im Juni 1997 mit einem Aktionspaket gegen den wachsenden Fundamentalismus in die Knie gezwungen, der damalige Ministerpräsident vor die Alternative gestellt: Entweder genau das Gegenteil von dem zu tun, was er seinen Wählern versprochen hatte, oder abzutreten. Erbakan legte sein Amt nieder.

Im Hinblick auf die kurdische Nationalbewegung brachte Staatspräsident Süleyman Demirel - Sprachrohr des türkischen Generalstabs - die offizielle Auffassung auf den Punkt: "Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, über kulturelle Rechte der Kurden zu reden."

Der mögliche Ministerpräsident, Eisenbart Ecevit, sieht schon seit Jahren die Ursache des Konflikts in der "Unterentwicklung" des Südostens. Während des Wahlkampfes hat er den massenhaften Bau von Dorfschulen in der Region versprochen. Da gibt es ein Problem: Für diese neuen Schulen dürften kaum Lehrer zu finden sein; schon jetzt wagen es viele Junglehrer aus Angst vor Anschlägen der PKK nicht, ihre Stellungen in der Region anzutreten, sondern ziehen einen Berufswechsel vor. Selbst wenn Schulgebäude vorhanden sind, werden sie häufig nicht genutzt: aus Mangel an Personal.

Nicht nur in den Äußerungen von Ecevit deutet sich die verschärfte Vorgehensweise des türkischen Staates an. Ebenso wie beim kurdischen Newrozfest wurden auch zu den Wahlen keine ausländischen Delegationen oder Berichterstatter zugelassen. Die türkischen Sicherheitskräfte versuchen, sowohl das Terrorproblem als auch die repressive Politik gegen die Hadep zu verharmlosen. Bis zum Wahltermin wurden fast 5 000 Parteimitglieder festgenommen. Zudem droht Hadep das Verbot - wie schon ihren drei Vorgängerparteien. Und so wird sie mit dem Vorwurf, sie sei der politische Arm der PKK, präventiv aus allen Diskussionen über die Kurdenfrage ausgeschlossen.

Eine solche Debatte - vor allem auf internationaler Ebene - will Ankara derzeit mit allen Mitteln verhindern. Und das bedeutet automatisch eine Fortführung des seit über 13 Jahren andauernden Krieges zwischen Armee und kurdischer Guerilla.

PKK-Chef Öcalan wandte sich in der vergangenen Woche über seine Anwälte an die Öffentlichkeit und forderte den türkischen Staat und die internationalen Organisationen zur Unterstützung einer friedlichen Lösung des Konflikts auf: Während eines Waffenstillstandes solle die Anerkennung von Minderheitsrechten innerhalb des türkischen Staates debattiert und der PKK nach einer Amnestie die Möglichkeit zu einer politischen Organisierung gewährt werden.

Diese Vorschläge sind keineswegs neu und werden bereits seit einigen Jahren von der PKK gemacht. Doch obwohl Öcalan auf dem PKK-Kongreß im vergangenen Monat erneut zum Vorsitzenden bestimmt worden war, entschied sich das ZK nunmehr, für den Chef die alte Guerilla-Regel anzuwenden: Wer festgenommen wird, gilt der Bewegung als verloren. Die PKK sieht sich dementsprechend nicht mehr an die Weisungen des Führers gebunden.

Der Öcalan-Prozeß hat für die Bewegung nur noch symbolische Bedeutung, und der vor den Wahlen ausgerufene einseitige Waffenstillstand ist aufgehoben. Über die genaue Situation im Südosten gibt es derzeit keine objektiven Berichte. Beide Seiten - türkisches Militär und PKK - verbreiten über ihre Propagandakanäle Siegesmeldungen.

Nur eins ist sicher: Der Krieg geht weiter. Ziel von Anschlägen werden künftig auch wieder die türkischen Metropolen sein.