Der doppelte Stützle rückwärts

Deutsche Intellektuelle formieren sich zur Nato-Avantgarde. Militaria von den Scharfschützen Hans-Christoph Buch, Reinhard Mohr und Götz Aly.

Es muß ein schönes Gefühl sein, wenn man von seiner Regierung gerade das mit Pathos und humanitärem Engagement verlangen kann, was zu tun sie ohnehin fest entschlossen ist. "Bomt Belgrad!" forderte schon vor Jahren ein anonymer Parolenmaler, und als ihm die Nato seinen Wunsch tagtäglich erfüllte, machten einige ausgewählte Intellektuelle sich daran, den illiteraten Aufruf zum Krieg noch einmal neu zu formulieren.

In einem Offenen Brief appellierten Hans-Christoph Buch, André Glucksmann, Richard Herzinger, Steffen Noack, Rüdiger Safranski, Richard Wagner und Jürg Altwegg an die beteiligten Regierungen, Belgrad nach Kräften weiter zu bombardieren: "1995 konnte die großserbische Raserei vorläufig gebremst werden. Das Belgrader Regime ging nun an die endgültige Lösung der Kosovofrage. Seit März letzten Jahres wird die kosovoalbanische Bevölkerung vertrieben, Tausende Menschen ermordet und Zehntausende Gebäude zerstört."

Und wenn Tausende ermordet wird, scheint jedes Mißtrauen gegenüber den Nachrichten, die ja immer von einer der Kriegsparteien stammen, unangebracht: "Eine Politik der verbrannten Erde machte bis zu einer Million Menschen zu Flüchtlingen. Im Kosovo herrscht blanker Terror: Vertreter der Eliten werden selektiert und getötet, die Männer - wie in Srebrenica - in großer Zahl von ihren Familien getrennt und viele erschossen, die Bevölkerung in Teilen zu Geiseln genommen oder aus dem Land getrieben. Kosovo ist in ein Schlachthaus verwandelt worden. Die Zeit drängt. Um einen Völkermord an den Kosovoalbanern zu verhindern, müssen die Luftangriffe der NATO auf serbische Militäreinrichtungen weitergeführt werden, wobei der Einsatz von Bodentruppen nicht prinzipiell auszuschließen ist. Wir appellieren an die westlichen Regierungen, fest zu bleiben und der Erpressung durch das serbische Regime nicht nachzugeben. Es gibt keinen anderen Weg."

Unangebracht war also auch die Frage, ob die bisher angewandten Mittel ihrem Zweck tatsächlich dienten oder ob der Kriegsverlauf nicht vielmehr bewiesen hatte, daß die Bombardements der Nato die Vertreibung der Kosovaren nicht verhinderten, sondern zumindest beschleunigten. Was allerdings den Völkermord betrifft, so waren die Verfasser des Briefes längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit: Während sie ihn noch verhindern wollten, berichtete der Verteidigungsminister längst von den grausamen Details.

Wenige Tage später definierte Hans-Christoph Buch sein Verständnis vom Bodenkrieg. "Die Option eines Bodenkrieges, wie ich ihn verstehe, beinhaltet nicht den Kampf gegen jugoslawische Verbände." Wenn Buch vom Krieg spricht, meint er also nicht den Krieg, sondern "den Einsatz von Bodentruppen zum Schutz und zur Rückführung der Flüchtlinge". Diese rhetorische Figur könnte man einen einfachen Stützle rückwärts nennen. Denn Walther Stützle, Staatssekretär im Verteidigungsministerium und ehemaliger Chefredakteur des Tagesspiegel, hatte zu Beginn des Krieges dem ARD-Journalisten Metzger eine Nachhilfelektion in Kriegsberichterstattung erteilt: "Es geht nicht um militärische Einsätze, sondern es geht in der Tat um den politischen Versuch, das Morden im Kosovo zu beenden. Wissen Sie, Herr Metzger, mir mißfällt, wie Sie das Wort 'Nato-Bombardierung' gebrauchen. Und deshalb würde ich Sie herzlich darum bitten, übrigens auch im Interesse der Soldaten, die diese gefahrvolle Aufgabe auf sich nehmen, nicht von Nato-Bombardierungen zu sprechen, weil mir das ein Schlagwort zu sein scheint, das der Situation gar nicht angemessen ist."

Der Lieblingsfeind jener Intellektuellen, denen der Durchhaltewillen wichtiger zu sein scheint als das Denkvermögen, ist Peter Handke. Er hatte sich für die Serben ins Zeug gelegt, und Buch erinnerte ihn nun daran, wie man nach einem siegreichen Krieg mit Verrätern umzugehen pflegt: "Ezra Pound wurde 1945 von der US-Army wegen Kollaboration mit dem Feind in Pisa in einen Käfig gesperrt, und Louis Ferdinand Céline büßte für seinen politischen Irrtum mit jahrelanger Ächtung im unfreiwilligen Exil."

Und weil nach dem letzten Krieg beispielsweise in den Niederlanden 40 und in Frankreich 791 Verräter hingerichtet wurden und man französischen Frauen, die sich der "horizontalen Kollaboration" schuldig gemacht hatten, den Kopf schor, muß man sich, wenn nicht um Handkes Leben, so doch um sein Haupthaar die allergrößten Sorgen machen. Auch Siegfried Unseld, der Verleger Handkes, nehme sich in acht: Buch, der von Rowohlt betreut wird, gab zu Protokoll, daß erstens Unseld sich "demonstrativ hinter seinen Autor gestellt" habe und daß zweitens Célines Verleger seinerzeit als Kollaborateur mit dem Tode bestraft wurde.

Für Reinhard Mohr, ehedem taz, heute Spiegel, war der Krieg in Jugoslawien nur ein weiterer Anlaß, sich zu freuen, daß die Intellektuellen, die ihm nicht passen, nämlich die vermeintlich linken, seit langem nichts mehr zu melden haben und statt ihrer Figuren wie er im Feuilleton den Ton angeben. Manchmal tapst er ins Philosophische: "Die Negation der Negation ist die Affirmation." Seine Polemiken sind allemal vernichtend: "Petz-Prosa aus der konkret-Gremliza-Schule" - dieses Wort habe ich mir, obwohl natürlich nicht gemeint, auf meine Visitenkarten drucken lassen. Keine Gelegenheit, mit der eigenen Geschichte als Frankfurter Sponti abzurechnen, läßt er ungenutzt. Diesmal formulierte er "die Aporien jener Tragödie", in der sein Außenminister Fischer sich zu bewähren hatte: Sollte man der "mörderischen Deportation eines ganzen Volkes" tatenlos zuschauen, oder mußte man bombardieren - was auch nicht ohne menschliche Opfer abgehen konnte? Fischer wählte von zwei falschen Möglichkeiten die richtige, denn inzwischen "dämmert vielen Ex-Pazifisten, Teilnehmern von Schriftstellerkongressen und Friedenskonferenzen, daß Geißler so unrecht nicht hatte", als er behauptete, der Pazifismus habe Auschwitz erst möglich gemacht.

Und dann war da noch Götz Aly, ein ehemaliger taz-Redakteur, der bei der Berliner Zeitung untergekommen ist. Vor Zeiten hatte er herausgefunden, daß der Sozialstaat der alten Bundesrepublik nichts anderes war als die linke Variante der Volksgemeinschaft. Nun, im Krieg, entdeckte er noch weitere Identitäten und durfte seine Entdeckungen in der taz vorführen: "Unter dem Eindruck der Nato-Angriffe findet die serbische Volksgemeinschaft endgültig zu sich selbst. Gemeinschaftsstiftend sind die im Namen des Volkswohls begangenen Massenverbrechen der vergangenen zehn Jahre. Diese Taten müssen verdrängt werden. Am besten geschieht dies in der Verkehrung von Opfern und Tätern - vor allem in der Inszenierung des Selbstmitleids. Ein in Deutschland gut bekanntes Phänomen, ob es um die Selbstkonfrontation mit dem Holocaust ging oder um die Erbschaft des Stasi-Staates. In diesem geschlossenen System von Terror und millionenfacher Mitschuld gedeihen Kollektivismus und Selbstverblendung. Diese geistige Verbunkerung läßt sich nicht anders aufbrechen als durch Gewalt von außen." Milosevic ist also nicht nur ein anderer Hitler, sondern zugleich Slobodan Mielke, und man darf dem antitotalitären Aly durchaus zutrauen, daß er demnächst den Einsatz von Bodentruppen gegen die PDS verlangen wird.

Im Gegensatz zu den ewig Unbelehrbaren besitzt er das Vermögen zur Differenzierung, doch seltsamerweise ist ihm trotzdem alles eins. "Das Kosovo muß durch die Truppen der Nato befreit werden. Serbien hat sein Recht auf den Kompromiß von Rambouillet verwirkt, weil die serbischen Einsatzkommandos Völkermord im Namen und im Auftrag des serbischen Volkes begehen und den Partner des ursprünglich vorgesehenen Kompromisses teils ausrotten, teils verjagen. Am Ende des Krieges wird ein internationales Militärtribunal, wie einst in Nürnberg, über die Kriegsverbrecher zu richten haben."

Enzensberger schließlich schlug vor, nicht alliierte Infanterie einzusetzen, sondern die Kosovaren zu bewaffnen. "Die verstehen sich besser auf den Partisanenkrieg." Aber einzig Dieter Wellershoff wird am Ende recht behalten, wies er doch darauf hin, daß wir es nicht mit einer Tragödie zu tun haben, sondern mit einer Gemengelage. Wenn alles drunter und drüber geht, helfe nur die Chaostheorie. "Weder weiß man, was langfristig beim einmal gewählten Handeln herauskommen wird, noch was herauskommen würde, wenn man nicht oder anders handelte." Ferner sei zu bedenken, "daß Alternativen beliebig und theoretisch bleiben, weil sie nicht verwirklicht worden sind". Leider gilt das auch für die naheliegende Forderung, Buch und Aly zu bewaffnen und sie als Bodentruppe ins Kosovo marschieren zu lassen.