Der Präsident ist tot, lang lebe der Präsident!

Nach der Ermordung des Präsidenten Manassara Baré verordnen die putschenden Militärs im Niger den Übergang zur Demokratie

Putsch paradox im Niger: Der Staatschef wird niedergemäht, die Putschisten geben die offizielle Version aus, es habe sich um einen "unglücklichen Unfall" gehandelt, der Anführer der Mörder wird neuer Staatschef - und alle sind glücklich.

Sžr, Frankreich hat wie beim Putsch von 1996 die Entwicklungszusammenarbeit suspendiert - und einem Land, dessen Budgeteinnahmen zum Großteil aus Hilfsgeldern bestehen, würde es wehtun, wenn der größte Gläubiger auf Dauer abspringt. Aber die Voraussage, daß Frankreich - wie nach dem letzten Staatsstreich - nach einer Schamfrist wieder zahlen wird, ist nicht besonders gewagt. Ansonsten gibt es nur ein paar nutzlose, den Putsch verurteilende

Statements. Zum Begräbnis des vor knapp zwei Wochen von seiner Präsidentengarde erschossenen Ibrahim Manassara Baré (Jungle World, Nr. 16/99) bemühte sich allerdings kein einziger Staatschef. Und auch die Bevölkerung Nigers wirkte, wie beim letzten Putsch auch, eher erleichtert denn traurig.

Was war passiert? Die Politik in dem west-afrikanischen Land steckt wieder einmal in einer Sackgasse. Im Januar streikten die 40 000 Staatsbediensteten, weil sie seit sieben Monaten kein Gehalt mehr bekommen hatten. Niger gehört ohnehin nicht zu den Gewinnern in Afrika, denn nur ein 100 Kilometer breites Band im Süden des Landes ist für die Landwirtschaft geeignet. Der Rest ist Wüste oder Halbwüste. Auf der Liste des UNDP-Entwicklungsberichtes von 1996, der nach Kriterien wie beispielsweise Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit und Pro-Kopf-Einkommen gewichtet, stand Niger an letzter Stelle.

Die Opposition, soll heißen die gesamte Parteienlandschaft Nigers aus der Zeit der Einheitspartei bis 1993 und der danach gegründeten Gruppierungen, war sich einig gegen den Staatschef. Und dann annullierte die Regierung auch noch einen Teil der Ergebnisse der Lokalwahlen im Februar, die die Opposition offenbar knapp gewonnen hatte. Mit einem Wort: Der einzige Weg, die Blockade durch das System Barés zu beenden, war wohl, den Staatschef zu beseitigen.

Baré hatte die Macht im Januar 1996 unter ähnlichen Umständen übernommen. Nach einem mehrere Monate dauernden Machtkampf zwischen Staatspräsident und Premierminister, stürzte der Armeechef die erste, 1993 demokratisch gewählte Regierung Nigers. Der Coup wurde von großen Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen.

Eine neue Verfassung wurde erarbeitet und durch ein Referendum abgesegnet. Alles schien für Baré zu sprechen, denn auch die bewaffneten Tuareg-Rebellen im Norden des Landes, die seit 1990 Krieg gegen die Regierung in der Hauptstadt Niamey geführt hatten, befürworteten den Putsch. Glaubten sie doch, daß sie nun mit demjenigen verhandeln könnten, der wirklich das Sagen hatte.

Doch erste Zweifel an Baré kamen auf, als er entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung selbst zu den Präsidentschaftswahlen im Juli antrat. Die Abstimmung endete im Chaos: Die unabhängige Wahlkommission wurde abgesetzt, die Auszählung in den noch ausstehenden Bezirken vom Militär überwacht und alle Kandidaten außer Baré unter Hausarrest gestellt. Die Parlamentswahlen im darauffolgenden November boykottierte das gesamte seit der Unabhängigkeit etablierte politische Spektrum.

Baré suchte seitdem nach Bündnispartnern, um die politische Lage zu entspannen. Vergeblich: Es ging so gut wie nichts. Gegen Ende seiner Amtszeit war er extrem unbeliebt. Allein in der Außenpolitik konnte sich Baré profilieren. Er fungierte als Bindeglied zwischen Libyens Staatschef Muammar al-Gaddhafi und seinen Kollegen der west-afrikanischen Sahel-Länder und schaffte es, das Uno-Embargo gegen Libyen zu umgehen: 1997 holte Baré Gaddhafi mit seinem Flugzeug ab und brachte ihn zu einem von 50 000 Gläubigen und dem nigerianischen Junta-Chef Sani Abacha besuchten Freitagsgebet im Norden Nigerias.

Zudem hatte der Präsident maßgeblichen Anteil an der Gründung der neuen Regionalorganisation Comessa. Die im vergangenen Jahr gegründete Organisation ist das jüngste politische Projekt Gaddhafis und soll eine Verbindung für die Sahel-Länder durch Libyen zum Mittelmeer herstellen. So zumindest diskutieren es die Comessa-Mitglieder. Obwohl das Bündnis auf Dauer kaum Chancen hat - die politischen Rivalitäten in der Region sind groß -, versprechen sich dennoch alle Seiten etwas davon: die armen Sahel-Länder Geld, und Gaddhafi, der bei den arabischen Staatschefs nichts mehr zu melden hat, diplomatische Unterstützung.

Nun aber geht das ganze Theater wieder von vorne los. Die Putschisten haben einen 14köpfigen "Rat zur Versöhnung" gebildet, der aus Offizieren der unteren und mittleren Ränge besteht, und den 49jährigen Kommandanten der Präsidentengarde, Major Daouda Malam Wanke, zum Staatschef ernannt. Ein Armeesprecher hat außerdem Anfang vergangener Woche angekündigt, daß die Junta eine neue Verfassung erarbeiten wird, die durch ein Referendum abgesegnet werden soll. Auch Wahlen sind für Ende des Jahres geplant, das neue Jahrtausend soll in Niger mit einer gewählten Regierung beginnen.

Da in dem südlichen Nachbarland Nigeria nach dem Tod des Diktators Sani Abacha ein ähnlicher Übergangsprozeß eingeleitet wurde, scheint das von der Junta in Niamey gezeichnete Szenario nicht unwahrscheinlich. Allerdings hat schon so mancher Junta-Chef Gefallen an den Annehmlichkeiten an der Staatsspitze gefunden. Denn darauf, daß der neue Staatschef Major Wanke kein Anhänger von halben Sachen ist, deuten die Umstände von Barés "unglücklichem Unfall" hin. Verschiedene Nachrichtenagenturen zitieren Augenzeugen, die berichten, daß die Präsidentengarde am Flughafen mit einem schweren Maschinengewehr auf Mainassara schoß. Und als der, am Boden liegend, immer noch nicht unglücklich verunfallt war, habe ihm Wanke den Rest gegeben.