Mißtrauensvotum zwingt Indiens Regierung zum Rücktritt

Erfolgreiches Ende

Persönlicher Rekord: Beim ersten Versuch, im Mai 1996, hielt seine Regierung ganze 13 Tage, diesmal mußte Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee erst nach 13 Monaten zurücktreten. Politischer Rekord: Bei der Vertrauensabstimmung vom vergangenen Samstag votierten 269 Abgeordnete für, aber 270 Parlamentarier gegen die von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) geführte 13-Parteien-Regierung. Manchmal ersetzt eben Pech komplizierte politische Bündnisverhandlungen.

Dabei hat Vajpayee in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, fast alles geschafft, was er sich für seine gesamte Amtszeit vorgenommen hatte. Vor allem eins: Indien außenpolitisch wieder groß zu machen. Groß bedeutet für die Hindu-Nationalisten atomwaffenfähig. Und das hat Vajpayee vor seinem Rücktritt noch erledigt: Mit dem erneuten Test der Langstreckenträgerrakete Agni am 11. April wurde das indische Atomprogramm vorläufig abgeschlossen. In seiner vorerst letzten "Rede an die Nation" nannte der Noch-Premier nach dem Test seine Agni ein Symbol des "wiederauferstandenen Indien". Das paßt, denn Agni wurde liebevoll nach dem Feuergott der Hindus benannt. Ehrfürchtig sollen die Nachbarstaaten, vor allem Pakistan, auf Indien schauen.

Ärgerlich ist nur, daß ausgerechnet der nördliche "Erzfeind" (Vajpayee) ebenfalls seine Mittelstreckenrakete testete. Die fliegt zwar nicht wesentlich weiter, ist auch nicht besser oder effizienter, hat dafür aber den cooleren Namen: Ghauri - benannt nach einem Afghanen, der im Mittelalter in Indien herummetzelte.

Ob mit Vajpayee oder ohne: Hauptsache, Indien ist als Atommacht anerkannt. Die Aufforderungen aus aller Welt, endlich dem Atomwaffen-Sperrvertrag beizutreten, bestätigen dies ebenso wie die Empfehlung der chinesischen Militärakademie, Peking solle seine Raketen wieder auf Ziele im benachbarten Indien richten.

Und so symbolisierte der Raketentest zum Ende der Erfolgsstory Vajpayee eher einen gelungenen Abgang als ein Ablenkungsmanöver von Koalitionsproblemen. Der gestürzte Premier hat das Land nicht nur als Atommacht etabliert, sondern für seinen aggressiven Nationalismus die Bevölkerung über die religiöse Hindu-Mehrheit - acht von zehn Indern sind Hindus - hinaus erfolgreich mobil gemacht.

Zudem haben die Anhänger seiner BJP viele zentrale Stellen in der staatlichen Verwaltung und im Bildungssystem besetzt, um eine Hinduisierungspolitik zu forcieren, deren Folge heftige Pogrome waren. Absurderweise ist der als "liberal" geltende Vajpayee zur Integrationsfigur des neuen indischen Nationalismus geworden.

Die wie auch immer zusammengesetzte Nachfolgeregierung kann, muß und wird auf die nationalistische Politik aufbauen. Die potentielle Vajpayee-Nachfolgerin Sonia Gandhi wird es dabei nicht leicht haben. Schließlich ist sie - und das wird in Indien ständig betont - Italienerin. Was die von ihr geführte Kongreßpartei nicht davon abhält, der BJP in nationalistischer Rhetorik nachzueifern.

Außerdem steht jede neue Regierung vor demselben Problem wie die Hindu-Nationalisten: Weil über 40 Parteien im Unterhaus (Lok Shaba) vertreten sind und kaum eine von ihnen ohne die Ethno-Karte auskommt, wird die Regierung erpreßt werden und mit faulen Kompromissen leben müssen - so urteilte die indische Tageszeitung The Telegraph. Auch die Mehrheit gegen Vajpayee kam schließlich nur nach tagelangem Gerangel und Gekungel zustande - und für eine Koalition braucht die Kongreßpartei sogar noch eine Stimme mehr.

Das ist das letzte Verdienst von Vajpayee: Weil die Regierungsbildung so schwierig ist, wird nach dem Rücktritt des aggressiven Hindu zunehmend Zentralisierung und eine starke Führungsperson an der Spitze des Landes gefordert - also auf Autorität gesetzt.

Auch die Neue Zürcher Zeitung kam vergangene Woche zu dem Schluß, daß das Koalitionsgerangel nur Schaden anrichtet: "Der eigentliche Verlierer ist ein weiteres Mal das Land. Dies bewies in den letzten Tagen der Börsenindex, der - nach einem langerwarteten kurzen Aufschwung - angesichts des politischen Sturmtiefs wieder zu einem Sinkflug angesetzt hat." Und wenn die Aktienkurse wieder anziehen, ist alles in bester Ordnung.