Proteste gegen den Krieg

Feige Bomben

Eigentlich müßte die radikale Linke der Nato und der rot-grünen Bundesregierung fast dankbar sein. Selten in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik hat eine Regierung ehrlicher vorgeführt, daß es sich bei Parteipolitik und Wahlversprechen um ein Theaterstück auf der politischen Bühne handelt, das je nach Entwicklung zur Komödie oder zur Tragödie geraten kann. Sechzehn Jahre lang hatten die Hegemonie der Konservativen und die Versprechen von Rot-Grün bei vielen die Illusion geschürt, daß, wenn sich erst einmal das gewichtige Hinterteil Helmut Kohls in die hinteren Reihen des Bundestags verlagere und Klaus Kinkel Joseph Fischer das Feld räume, zwar nicht alles gut, aber doch manches besser werden möge.

Nun, knapp ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt Gerhard Schröders, verkörpern die Konservativen - vergleicht man sie mit ihren Nachfolgern - in der Frage von Krieg und Frieden beinahe schon die kollektive Vernunft der Berliner Republik. Es war der Deutschnationale Wolfgang Schäuble, der in der Bundestagsdebatte darauf hinweisen mußte, daß man das Unvergleichliche nicht vergleichen könne (gemeint war die Gleichsetzung von Adolf Hitler und Slobodan Milosevic), während Verteidigungsminister Rudolf Scharping von serbischen KZ schwadronierte, deren Existenz bis heute nicht nachgewiesen ist. Und es war der Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe, der über den Abzug der deutschen Truppen aus Mazedonien nachdachte und sich dafür in der taz an prominenter Stelle Feigheit vor dem Feind vorwerfen lassen mußte.

Ein Plädoyer für die Christdemokraten? Mitnichten. Festzustellen aber bleibt, daß reformistische Konzepte, also die Vorstellung, die gesellschaftlichen Widersprüche ließen sich durch schrittweise systemimmanente Veränderungen beseitigen, blamiert sind. Atomausstieg, Krieg, rassistisches Blutsrecht - wo die reformistische Parteipolitik von SPD und Grünen in manchen Fällen die CDU rechts überholt, entsteht auf der Linken Raum für radikale Kritik, die angesichts der realen Entwicklung nur noch schwerlich als realitätsfremd diskreditiert werden kann. Wer die Welt ändern will, das lehrt die Geschichte, muß sie gründlich ändern, oder er kann es gleich bleiben lassen.

Dieser Erkenntnis zum Trotz profitiert vom Krieg im Kosovo derzeit nur die PDS, die sich als einzig wahrzunehmende größere Anti-Kriegs-Opposition zu etablieren scheint. In Vergessenheit gerät darüber, daß auch die Grünen sich als antimilitaristische und ökologische Kraft gerade entgegen dem politischen Mainstream dargestellt haben, um hinterher, an die Macht gelangt, eben diesen Mainstream nach rechts zu radikalisieren. Nicht auszuschließen also, daß die PDS es etwas schneller schaffen wird, wenn sie erst den Sachzwängen von Koalition und Regierungsverantwortung ausgeliefert wäre.

Von der radikalen linken Protestbewegung auf der Straße aber ist nichts zu sehen. Seitdem der Krieg ist, haben sich Autonome und andere Linksextremisten wie weiland Oskar Lafontaine ins Privatleben zurückgezogen, sieht man einmal von Demonstrationen in Berlin-Kreuzberg unter der Parole "Massaker ist Menschenrecht" (KPD/RZ) ab. Zur Überzeugung von Dritten freilich taugt diese Pose, so witzig sie ist, wenig. So lange sich die radikale Linke also in Abstinenz von der Politik übt, werden uns freilich intellektuelle Tiefpunkte des Oppositionslebens nicht erspart bleiben: "Bomben brauchen keinen Mut", mobilisierte ein Plakat der PDS mit einem Zitat Bertolt Brechts zu einem Marsch am Vorabend der Reichstagseröffnung, an dem rund fünftausend Menschen teilnahmen. Der Nato, deren militärischer Oberbefehlshaber Wesley Clark schon als Junge von einer zwölf Meter hohen Brücke gesprungen sein soll, um zur wichtigsten Gang im Ort dazugehören zu dürfen, ist aus linker Sicht vieles vorzuwerfen, Feigheit gehört allerdings nicht dazu. Feige Bomben, mutige Bodentruppen im Kampf Mann gegen Mann?

Mutiger als der Tadel der feigen Bombardements scheint der Wurf eines Faxgerätes aus dem Fenster der kurzzeitig besetzten Landeszentrale der Grünen in Berlin zu sein, der die gewaltsame Räumung durch die Polizei zur Folge hatte. Es blieb der grünen Parlamentsabgeordneten Judith Demba überlassen, auf die Relation der Sachschäden in Belgrad und Berlin hinzuweisen: Der Berliner Zeitung sagte sie zur Begründung ihres Austrittes aus der Partei: "Es geht um Krieg, nicht um Faxgeräte." Frau Demba kann manchmal wirklich sehr gut formulieren.