Macht und Moral im Krieg

Falsche Freunde

Der Krieg hat alle an ihren Platz gestellt. Er ist eine Gewalt, der man sich beugt wie der Vernunft und der politischen Logik. Von Anfang an war zu erkennen, daß es der Nato um das Schicksal der Bewohner des Kosovo gerade nicht geht. Und das wird jeden Tag deutlicher. Gegen den Krieg zu sein, stand deshalb nicht in Zweifel.

Eine üble Folge solch einer Stellungnahme, die ja doch nur darin bestand, den Platz einzunehmen, der einem angewiesen worden ist - eine Demütigung -, war, daß man sich in einem politischen Lager wiederfand, das sich, wenn eine Steigerung möglich ist, noch weniger um die Kosovo-Albaner sorgt als schon die Nato. Aus diesem Lager hörte man, die Albaner seien ohnehin nur Drogenhändler, Balkan-Faschisten, lichtscheues Pack, Anhänger des finsteren Islam. Sowohl ein linksradikales als auch ein rechtsradikales Spektrum paktiert mit Milosevic, weil er ihnen männlicher zu sein scheint als Scharping. Mit solchen Leuten ist man sich nun einig in der Kriegsgegnerschaft; und es ist wenig tröstlich, daß man mit ihnen immerhin keinen Umgang pflegt.

Ebenso unangenehm ist es, die jüdischen Intellektuellen, denen man gewiß nähersteht als den radikalen Kriegsgegnern, auf der anderen Seite zu sehen. Es sind teilweise dieselben Publizisten und Philosophen, die von der antinationalen Linken im Streit um Walser als Gewährsleute herangezogen wurden und nun dieser Linken nichts mehr sind als Gefolgsleute der Zivilgesellschaft, Verfechter einer heuchlerischen Menschenrechtsmoral, wenn man sie nicht gleich als Opportunisten hinstellt.

Der Widerspruch wird ausgeklammert: Wenn Bernard-Henri Lévy bloß ein Opportunist ist, warum hat er dann in der Walser-Debatte Gerhard Schröder derart brüskiert? Wie war es möglich, daß Lévy den mit Abstand intelligentesten und leidenschaftlichsten Beitrag zu dieser Debatte schreiben konnte, wenn er doch bloß ein Schmock ist? Und hält man Micha Brumlik oder Andrei Markovits für Autoren, die sich von Joseph Fischer die Tendenz ihrer Aufsätze diktieren lassen?

Man scheide Moral von Macht und schließe damit gleichzeitig einen Begriff wie "humanitäre Intervention" aus. Aber nichts ist abgeschmackter als der Machiavellismus der Machtfernen. Sie zeichnen die militärisch-ökonomischen Strategien nach, sie entwerfen Gegenstrategien, sie haben ihr Handeln der Macht und der Politik geopfert, sie wollen diesen ebenbürtig sein und zeigen doch nur deren Fratze.

Wer hingegen die Pro-Kriegs-Ansichten derjenigen Intellektuellen, die sich in einer jüdischen Tradition sehen, nicht gleich verwirft, wird erkennen, daß sie nicht von 1789, sondern von 1938 ausgehen. Es gab in der jüdischen Philosophie schon vor dem Holocaust eine Schule, die den Dialog und daraus resultierend die Sorge um den andern in den Mittelpunkt rückte. Ich erinnere an die antihegelianische Ethik Franz Rosenzweigs. Für viele Überlebende, aber auch für deren Kinder kommt solch einer Ethik existentielle Bedeutung zu. Philosophen wie Emmanuel Lévinas - dessen Einfluß etwa auf Brumlik bekannt ist - sind darüber zu einem moralischen Rigorismus gelangt, der das Schicksal des anderen über die eigene Todesfurcht stellt. Auch wenn man berücksichtigt, daß einer wie Joseph Fischer diesen Umstand auszubeuten versteht, vergibt sich nichts, wer solche Motive und Positionen für respektabel hält.

Man muß sich in dem politischen Lager, in dem man sich befindet, nicht auch noch wohlfühlen. Und man muß mit den Leuten, deren Entscheidung man teilt, nicht auch noch das Leben teilen. Das Denken teilt man ohnehin nicht mit ihnen.