Frühlingsoffensive statt Friedensfrist

Belagert von Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei, verschanzt hinter Barrikaden und mit Molotow-Cocktails und Steinen ausgerüstet, hielten etwa 2 500 Arbeiter und Studenten am Wochenende die Universität der südkoreanischen Hauptstadt Seoul besetzt. Die Polizisten waren am Wochenende mit Bulldozern und schwerbewaffnet angerückt. Sie drohten zwar nicht direkt mit einer Räumung des Geländes, auf dem die Besetzer ein Zeltdorf errichtet haben, nahmen aber Einzelpersonen außerhalb des Unigeländes fest. Die Regierung unter dem Präsidenten Kim Dae Jung hat den Streikenden hingegen offen gedroht: Wer am Montag nicht wieder zur Arbeit erscheine, der werde sofort entlassen. Für die Regierung ist die "Frühlingsoffensive" des nicht legalen, aber offiziell geduldeten südkoreanischen Gewerkschaftsdachverbandes KCTU illegal, weil die Arbeiter eine von der Regierung angeordnete "Friedensfrist" von 15 Tagen nicht eingehalten haben. Als Reaktion kündigte aber der KCTU-Vorsitzende Lee Kap-Young seinerseits am Wochenende an, die Proteste gegen das wirtschaftliche Krisenmanagement der Regierung - hauptsächlich gegen die Entlassungen in Staatsbetrieben - ab Montag dieser Woche sogar noch auszuweiten: Nicht nur Seoul solle künftig bestreikt werden, sondern das ganze Land. Und waren es bisher vor allem die Arbeiter der hauptstädtischen U-Bahn-Betriebe, so rief der KCTU nun auch die rund 42 000 Beschäftigten der Korea Telecom und die über 170 000 Arbeiter der Autoindustrie zu Arbeitsniederlegungen auf.