Erster Mai, Teil drei

Gegen Millenium und Kapital

Gefährliche Orte LVIII: Erster Mai, Teil drei. "Gewalt gehört ins Museum", meint die Polizei. Glaubt man der Lokalpresse, wird Berlin am kommenden Samstag zum Freilicht-Museum

Öffentlichkeitspolizist Klaus-Dieter Burkowski war sichtlich erfreut. "Wir haben genau die Leute bei der Diskussion gehabt, die auf Knopfdruck linksautonom ihren Stein schmeißen", pries der Beamte der für den Bezirk Kreuzberg zuständigen Direktion 5 gegenüber der taz die Dialogbemühungen der Polizei im Vorfeld des revolutionären 1. Mai in Berlin. "Wenn die jetzt auch noch ihr Feindbild verlieren, was haben die armen Menschen dann noch?"

"BRD-Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt", hatten diese "armen Menschen" zuvor im Chor keinen Zweifel an ihrem Feindbild und der mangelnden Bereitschaft zur Verständigung mit der Polizei zum Ausdruck gebracht. Ein Student, der seinen Namen nicht nennen will, bilanzierte anschließend: "Da hat sich nicht viel bewegt." Grinsend schiebt er im akademischen Jargon hinterher: "Wir haben es hier mit einem Paradoxon zu tun: Die Staatsgewalt vertritt die Ansicht, daß Gewalt ins Museum gehört. Kriegstreiber reklamieren den Pazifismus für sich."

Von Pazifismus konnte am 1. Mai in Berlin in den letzten elf Jahren schwerlich die Rede sein. Rund 10 000 Demonstranten, über 400 Festnahmen, 26 Haftbefehle, 46 beschädigte Autos, vier demolierte Polizeifahrzeuge, 122 verletzte Polizisten, mindestens 32 Verletzte unter den Demonstranten, so las sich die Bilanz der Mai-Demonstration vor einem Jahr. Schüler im HipHop-Outfit mit Schultheiß-Flasche, gesetzte Autonome, studentisches Publikum - die revolutionäre 1. Mai-Demonstration, das große come together bei frühsommerlichen Temperaturen, entschädigt die Berliner Linke für die Mobilisierungs-schwächen, unter denen sie die restlichen 364 Tage des Jahres zu leiden hat.

Rund 5 000 Polizisten in Kampfmontur reichten im vergangenen Jahr aus, um schon nach wenigen Metern Wegstrecke die Stimmung unter den Demonstranten zum Kochen und damit wenig später den einen oder anderen Müllcontainer zum Brennen zu bringen. Dabei hatten die Initiatoren keine Mühen gescheut, um für festliche Stimmung zu sorgen: Ein Sattelschlepper mit riesiger Verstärkeranlage lieferte statt des traditionellen Lautsprecherwagens die notwendige Phonstärke, ein DJ-Team sampelte u.a. den Soundtrack aus dem Stallone-Film "Rocky III" ("Das Auge des Tigers"). Im Vorfeld mobilisierte ein Fest der Obdachlosenzeitung Straßenfeger das überwiegend jugendliche Publikum nicht nur zum Auftaktort, sondern auch an die Biertheke.

Einen zusätzlichen Promotion-Effekt ließ der damalige Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) der Demonstration zuteil werden. Weil es kein "Grundrecht auf Krawall und Zerstörung" gebe, erwog der Ex-General ein grundsätzliches Verbot der Veranstaltung, deren Entstehung auf eine stundenlange Straßenschlacht in Kreuzberg im Jahr 1987 zurückgeht, in deren Verlauf die Polizei zeitweise die Kontrolle über den Stadtteil verlor. Ein Supermarkt, Pkws und Feuerwehrfahrzeuge standen in Flammen, ein Mythos, der sich selbst reproduzieren sollte, war geboren.

Nachdem die große 1. Mai-Demonstration in den letzten Jahren durch Prenzlauer Berg gezogen war, kehrt sie diesmal gegen 18 Uhr an den Kreuzberger Oranienplatz - von Volkes Mund liebevoll "O-Platz" genannt - zurück und sorgt bereits im Vorfeld für Schlagzeilen in der Boulevardpresse: "Auftakt zum 1. Mai - Chaoten zünden vier Luxus-Autos an", vermeldet der Berliner Kurier. Geschätzter Sachschaden: weit über 200 000 Mark. Innensenator Eckart Werthebach (CDU): "Ich habe mir sagen lassen, daß schon im letzten Jahr das Anzünden von Karossen die Mai-Krawalle einleitete."

"Berlin in Chaotenhand?" fragt auch das Anzeigenblatt Der Neuköllner und veröffentlicht eine Art militärstrategische Analyse der Schlacht an der Oderberger Straße: "Mit Handys ausgerüstet und zum Teil straff geführt, lösten sich Demonstranten in kleine Gruppen auf, um sich an anderer Stelle wieder zu versammeln." Die "Anarcho-Szene" bereite sich generalstabsmäßig auf die Maischlacht vor. Es lohne "ein Blick ins Internet, über das sich die Autonomen verabreden". Die Berichterstattung stieß selbst dem Innensenator übel auf, der sich genötigt sah, das Herbeischreiben von Ausschreitungen durch die Boulevardpresse als "Panikmache" abzutun.

Die Macher der Demo kritisieren ihrerseits, die "militanten Auseinandersetzungen auf der Straße" würden "als unpolitische Gewaltexzesse stigmatisiert". Übersehen werde dabei, so heißt es in einem Aufruf der Antifaschistischen Aktion Berlin, "daß die unmißverständlichste Gewalt von den gesellschaftlichen Verhältnissen ausgeht". Wo rassistische und soziale Ausgrenzung, Ausbeutung und Deklassierung die Verhältnisse prägten, "da kann es keinen Frieden geben".

Minutiös listet das Papier die Ungerechtigkeiten dieser Erde auf: neoliberale Wirtschaftsreformen, die "Vorantreibung des Ausbaus Europas zur neuen Weltmacht unter der ökonomischen und politischen Führungsrolle Deutschlands", der Krieg gegen Jugoslawien, die "rassistischen Stereotypen" nach den Solidaritätsdemonstrationen für den Kurdenführer Abdullah Öcalan, die Rede des Schriftstellers Martin Walser, die ausländerfeindliche Kampagne der CDU gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, die Jahrtausendwende, aus deren Anlaß die Ideologen nun ein für allemal mit Alternativen zum "kapitalistischen Produktionssystem" abrechneten. Dagegen will man - zumindest einmal im Jahr - die Frage nach einem "weltweiten emanzipatorischen Prozeß, den Kampf für internationale Solidarität, Selbstbestimmung, politische und soziale Gleichheit" auf die Tagesordnung setzen.

An Häuserwänden werden diese Botschaften mit einer Reihe von Plakaten visualisiert: "Deutsche Soldaten haben auf dem Balkan schon zweimal ins Gras gebissen. Imperialisten aller Länder, wir hoffen auf ein Neues!" Abbildung: Die blutigen Leichen von Wehrmachtssoldaten. Und auch der Klassenkampf kommt nicht zu kurz - von "Terror im Sozialamt" kündet ein Anschlag im Stil des Springer-Blattes B.Z. Die Schlagzeile: "Beamte zittern - weiter so!"

Gleichfalls zu sehen ist das Lichtschwert aus dem Film "Star Wars", mit dem der intergalaktische Rebell Luke Skywalker gegen das kosmische Scheusal Darth Vader kämpft. "Smash the system" heißt die zugehörige Botschaft. Eckart Werthebach samt seiner Einsatzhundertschaften, so muß die Botschaft lauten, ist Darth Vader. Wer aber ist Luke Skywalker?