Good Cop, Bad Cop

Mit bewährten Verhörmethoden will die Nato Milosevic weichkochen. Wer dabei welche Rolle spielt, gibt die Innenpolitik vor.

Wer gern US-Kriminalfilme aus Hollywoods schwarzer Serie sieht, der kennt das Spiel: Der Verbrecher sitzt auf einem winzigen Hocker, die grelle Schreibtischlampe im ansonsten düsteren Büro raubt ihm den Blick auf die Bullen, die ihn befragen. Nur hin und wieder tritt der eine der beiden in den Lichtkegel, bietet ihm eine Zigarette oder ein Glas Wasser an, sucht das Gespräch unter Männern. Wenn er damit nichts erreicht, schlägt der andere Polizist danach um so härter zu.

Ein ähnliches Spiel treiben die Nato-Partner zur Zeit mit Jugoslawien. Die Rolle des brutalen Kerls im Schatten spielen die USA und Großbritannien, während die sozialdemokratisch oder rot-grün regierten Staaten Italien, Frankreich und Deutschland die Rolle des Bullen mit Herz spielen dürfen, der immer mal wieder versucht, dieselben Ziele mit Gesprächsangeboten und - scheinbaren oder tatsächlichen - Zugeständnissen zu erreichen.

Die Strategie hat sich bewährt - nicht nur als filmdramaturgisches Mittel, jederzeit geeignet, um zu beweisen, daß die Bullen den Ganoven nicht nur moralisch überlegen sind, sondern auch in der kriminologischen Praxis. Ist der Verbrecher erst einmal weichgekocht, so die Erfahrung, wird er auf jedes noch so kleine Angebot eingehen. Doch läßt sich das bewährte Vorgehen auch auf zwischenstaatlicher Ebene zum Einsatz bringen? Haben sich die Nato-Staaten tatsächlich von Milosevics äußerlicher Ähnlichkeit mit einem Filmgangster zu der Annahme verführen lassen, der serbische Präsident werde sich verhalten wie ein schmieriger Ganove in einem Verhörzimmer des LAPD?

Das läßt sich nicht ausschließen. Im Kreis ihrer Generale soll US-Außenministerin Madeleine Albright zu Beginn des Bombardements sogar die Ansicht geäußert haben, Milosevic werde "wie ein Rotzbub klein beigeben", sobald die ersten Bomben auf sein Land gefallen seien. Nicht nur ihr eingestandener "München-Komplex", die Abneigung gegen jede Art von Appeasement-Politik, war es, der Frau Albright dabei leitete. Sie meinte auch aus Erfahrung zu sprechen: Hatten nicht die Milosevics von Grenada und von Panama gebuckelt, sobald der große Bruder den Big Stick auspackte? Hatten nicht derartige Einsätze in der Vergangenheit stets die Wähler für die jeweilige Regierungspartei mobilisiert?

Doch Albright, die tschechoslowakische Botschaftertochter, die meinte, Europa so gut zu kennen, daß sie die Ratschläge der Sicherheitsberater und der Militärs in den Wind schlagen könne, hatte sich verschätzt. Jugoslawien ist keine Bananenrepublik, die von vornherein vom Wohlwollen der USA abhängig ist, sondern ein Land, das mehr als ein halbes Jahrhundert Zeit hatte, die Lehren aus der mörderischen Invasion Nazi-Deutschlands zu ziehen, ein Land, das während des größten Teils dieser Zeit befürchten mußte, vom Vaterland aller Sozialisten für sein Renegatentum abgestraft zu werden. Seine militärische Infrastruktur ist aus diesem Grunde schwer angreifbar, wie die Tatsache beweist, daß selbst nach Nato-Angaben die Luftangriffe innerhalb von fünf Wochen mit rund 10 000 Flugzeug- und Raketeneinsätzen lediglich dreißig Prozent der serbischen Boden-Luft-Raketen, jeweils zwanzig Prozent der mobilen Luftabwehrraketen und der Kampfflugzeuge sowie zehn bis zwanzig Prozent der Panzer zerstören konnten.

Dennoch können weder Albright noch Clinton hinter ihre toughen Äußerungen aus den ersten Kriegstagen zurückweichen. Als einzige Regierungspartei eines der an den Luftschlägen beteiligten Länder haben sie es mit nennenswerten Stimmen aus der Opposition zu tun, die von Anfang an forderten, man dürfe einen Einsatz von Bodentruppen zumindest als Option nicht ausschließen. Der erhoffte Stimmungsaufschwung für die Regierung Clinton blieb aus diesem Grunde aus. Aus Umfragen wissen Clinton und Albright aber auch, daß eine zu große Zahl mit US-Flaggen bedeckter Zinksärge den Wahlsieg ebenfalls nicht befördern würde - zumal auch ein Bodenkrieg kaum zu einem klaren militärischen Sieg führen könnte, welcher der US-Regierung die Möglichkeit böte, sich als Friedensstifter auf dem Balkan ins rechte Licht zu setzen.

Aus diesen Gründen sind die USA auf die Rolle dessen festgelegt, der stur die - sogar um eine sofortige staatliche Unabhängigkeit für das Kosovo erweiterten - Forderungen aus dem Rambouillet-Vertragsentwurf vertritt. Vorsichtig nähert sich die Rhetorik der US-Regierung dennoch an einen Bodenkrieg an. Hatte Clinton bislang den Truppeneinsatz von einer "permissiven Umgebung" abhängig gemacht - sprich: von Milosevics formeller Einwilligung in Form eines Friedensvertrags -, während er einen Einsatz in "nicht-permissiver Umgebung" - einen Kampfeinsatz also - ablehnte, fand er nun ein drittes: eine "semi-permissive Umgebung", in der die jugoslawische Führung zwar nicht einverstanden sei mit einem Truppeneinsatz, aber auch nichts mehr dagegen tun könne.

Auf solche rhetorischen Kunststückchen kann der britische Premier Tony Blair verzichten. Auf dem Nato-Gipfel am vergangenen Wochenende war er derjenige, der mit Abstand am lautesten über den möglichen Einsatz von Bodentruppen nachdachte. Mit einer komfortablen Labour-Mehrheit im britischen Unterhaus ausgestattet, braucht Blair innenpolitisch kaum Rücksichten zu nehmen, und im Gegensatz zu Clinton konnte er bislang deutlich von dem Kriegseinsatz profitieren. Das Bombardement hat Blair den Einbruch selbst in jene Teile des konservativen Wählerspektrums verschafft, die bislang Margaret Thatcher und ihrem im Falkland-Krieg schlagkräftig unter Beweis gestellten Rekurrieren auf die goldenen Zeiten des britischen Empire anhingen.

Blair scheut sich nicht, einen "Kreuzzug" zur Rettung der Kosovo-Albaner auszurufen, und kündigte bereits an, "mit absoluter Entschlossenheit" sämtliche Serben aus dem Kosovo zu vertreiben. Von der konservativen Times bis zu den Massenblättern Sun und Daily Mail, die sich seit Wochen in einem wahren Kriegstaumel befinden, kriegt der Labour-Mann dafür nur lobende Kommentare.

Nicht nur im eigenen Lande, auch innerhalb der Nato gewinnt Blair damit deutlich an Gewicht. Sogar die im Kosovo bereits praktizierte neue Nato-Doktrin, wonach das Militärbündnis sich das Recht nimmt, "in Ausnahmefällen" auch ohne UN-Mandat in die inneren Angelegenheiten eines Landes einzugreifen, trägt nun im Sprachgebrauch der Medien bereits den Namen des britischen Premiers. Wer so vom Erfolg verwöhnt ist, der wird natürlich stramm in derselben Richtung weitermarschieren. Und ist damit festgelegt auf die Rolle des Scharfmachers.

Der Gegenpart fällt ähnlich zwangsläufig Deutschland zu. In zwei Wochen wird sich Außenminister Joseph Fischer vor einem Sonderparteitag der Grünen zu verantworten haben. Dort wird er unter anderem mit dem noch immer nicht ausgeräumten Vorwurf konfrontiert werden, mit dem Vertragstext von Rambouillet der serbischen Seite ein nicht annehmbares Angebot unterbreitet und damit auf diplomatischer Ebene in den Krieg gesteuert zu haben. Dennoch sind sich selbst Fischers innerparteiliche Gegner darin einig, daß der Außenminister die Prüfung bestanden hat, sollte bis zu dem Parteitag das Bombardement beendet und eine Friedensregelung für das Kosovo angebahnt sein. Andernfalls droht die Spaltung der Partei, womöglich auch das vorzeitige Ende der rot-grünen Koalition und Neuwahlen. Um dies zu verhindern, muß Fischer wenigstens deutliche Bemühungen vorweisen, zu einer vertraglichen Lösung zu kommen. Das dürfte einen Teil der hektischen diplomatischen Aktivitäten erklären, die der deutsche Außenminister entfaltet hat, seit der Rambouillet-Vertragstext bekannt geworden ist.

Darüber hinaus dürften aber auch Albright, Clinton und Blair nicht unglücklich sein über den Ex-Sponti im Bonner Außenamt. Er nimmt ihnen die Aufgabe ab, mit immer neuen Vorschlägen, die teilweise erheblich von früheren Nato-Planungen abweichen, der jugoslawischen Regierung Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Der Washingtoner Nato-Gipfel belohnte ihn dafür mit einer Erklärung, welche die Handschrift von Fischers Friedensplan von Mitte April wiedergibt. Von einer "Wiederbelebung" des Friedensplans kann allerdings keine Rede sein, weil die Erklärung völlig unverbindlich gehalten ist.

Die Vorbereitungen für einen Einsatz von Bodentruppen im Kosovo laufen unterdessen mit gesteigertem Tempo weiter. Ob er es will oder nicht, schon bald könnte der deutsche Außenminister feststellen, daß es seine Aufgabe lediglich war, die Zeit, die zur Vorbereitung einer Invasion nötig war, mit Verhandlungsvorschlägen zu überbrücken. Auch im Krimi ist es so, daß der Gangster am Schluß meistens stirbt.