Kritische Masse

Die Deutsche Telekom und die Telecom Italia wollen zum zweitgrößten Telefonkonzern der Welt fusionieren

Wenn die Stimmung auf der Verlobungsfeier Auskunft über den Schwung in der Ehe gibt, dann wird die Verbindung der Deutschen Telekom mit ihrer Kollegin Telecom Italia eine trübe Liaison. Unsicher und ohne jedes festliche Ambiente bestätigten die Chefs der ehemaligen Staatsbetriebe für Telekommunikation vergangene Woche die Gerüchte über ihre Fusionsabsichten.

Dabei mangelt es den beiden Konzernen nicht an Ehrgeiz. Man beabsichtige, "das Schachbrett des europäischen Telekommunikationssektors neu zu gestalten", protzten die Konzernchefs Ron Sommer und Franco Bernabè vergangene Woche in London. Bis zum Ende des Jahres soll alles unter Dach und Fach sein. Die Manager aus Bonn und Rom wollen unbedingt in die glitzernde neue Welt der Informationsgesellschaft eintreten, in der alle schön und vor allem reich sind. Ein "nationaler Champion" zu sein, das reiche einfach nicht.

Vor der rosigen Zukunft steht aber noch die Überwindung der lästigen Realität. Die hat zum Beispiel den Namen Olivetti und ist mit einem so unangenehmen Wort wie "feindliche Übernahme" verbunden. Das glücklose Unternehmen aus Turin, das eng mit dem Telekom-Konkurrenten Mannesmann zusammenarbeitet, bietet den Aktionären der Telecom Italia insgesamt 118 Milliarden Mark für deren Anteile am Ex-Monopolisten. Diese "größte feindliche Übernahme in der Unternehmensgeschichte Europas" (NZZ) wollen die neuen Partner aus Rom und Bonn unbedingt stoppen. Bernabè fürchtet die Schulden, die Olivetti mitbringen würde und Sommer will verhindern, daß der Telekom mit Mannesmann ein ernstzunehmender Konkurrent nicht nur auf dem deutschen Heimatmarkt, sondern auch in Europa entsteht.

Dagegen hilft nur die bisher weltweit größte Unternehmensfusion. Der bislang namenlose neue Telefongigant hätte 300 000 Angestellte und wäre, gemessen am Umsatz von 115 Milliarden Mark, im Jahr der zweitwichtigste Telekommunikationsanbieter der Welt - vor AT&T aus den USA und nach der japanischen Nippon Telegraph & Telephone (NTT). Gemessen am Marktwert der ausgegebenen Aktien - derzeit 330 Milliarden Mark, etwa soviel wie drei Viertel des Bundeshaushalts -, könnte man sogar den ersten Platz in der Telefonbranche beanspruchen.

Die Manager von Olivetti, die ihren Übernahme-Versuch am 30. April starten wollen, sind aber nicht die einzigen Spielverderber. Auch die italienische Regierung, die sich bei der Privatisierung ihrer Telefongesellschaft ein Mitspracherecht für solche Fälle gesichert hat, stellt Bedingungen. "Es ist nicht akzeptabel, daß Telecom Italia von einem deutschen Staatsunternehmen aufgekauft wird", empörte sich der italienische Finanzminister Vincenzo Visco. Schließlich hat man nicht privatisiert, damit anschließend die Kontrolle über die nationale Telekommunikation aus einem deutschen Ministerium erfolgt.

Sein neuer Kollege Hans Eichel hat zwar zugesagt, daß die Bundesregierung ihren Anteil von 72 Prozent an der Telekom nicht nutzen will, um auf die Geschäfte des geplanten Konzerns einzuwirken. Visco verlangt aber konkrete Zusagen für eine Reduzierung der Bundesbeteiligung. Ohne eine Einigung beider Regierungen kann der ganze Traum vom Aufstieg der ehemaligen Staatsbetriebe zum weltweit operierenden Großverdiener noch platzen.

Die Nörgeleien, die sich die Initiatoren der bisher größten Neuordnung in der europäischen Unternehmensstruktur anhören müssen, basieren nicht nur auf der Furcht vor einem deutschen Telefon-Imperialismus. Das Hantieren mit den großen Zahlen kann auch als Fehlplanung von gestreßten Managern interpretiert werden, die ihre riesigen Unternehmen im deregulierten Telefonmarkt der EU verteidigen müssen. Doch warum Größe allein gegen den Wettbewerbsdruck helfen soll, das konnten bisher weder Ron Sommer noch Franco Bernabè erklären. Sie gaben zu, daß die üblichen Argumente wie Kostenersparnis und Synergieeffekte diesmal nicht zählen.

Statt dessen gehe es darum, die "kritische Masse" zu erreichen, damit die europäische Telekommunikation nicht bald von einigen US-Gesellschaften übernommen werde. Denn diese verfügen nicht nur über einen technischen Vorsprung, sondern sind auch flinker beim Kundenfang in Europa. Die EU-Kommission setzte sich daher - unter eifrigem Beifall der Mitgliedstaaten - für den Bau von "Datenautobahnen" für das "Informationszeitalter" ein, damit sich "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und der Abbau der Massenarbeitslosigkeit" in Europa beschleunigen.

Die verordnete Roßkur für den liberalisierten EU-Markt hat jedoch bisher vor allem Arbeitsplätze vernichtet (Jungle World, Nr. 2/99) und den eiligst privatisierten öffentlichen Dienstleistern nur Ärger eingebracht. Die Deutsche Telekom beispielsweise verlor ein Drittel aller Ferngespräche an die neue Konkurrenz, auch bei den internationalen Verbindungen schwinden die Marktanteile.

Die Versuche, die Verluste durch ein verstärktes Engagement im Ausland wieder wettzumachen, scheiterten kläglich. Die deutsch-französisch-amerikanische Koalition Global One kränkelt vor sich hin. Und die einzige erfolgreiche Akquisition der Telecom Italia wird gerade zerbombt: Sie hatte ausgerechnet die Mehrheit an der serbischen Telefongesellschaft erworben.

Vielleicht könnten es beide zusammen schaffen, den Markt für das schlichte Telefonieren zurückzugewinnen - die Konkurrenz hat sowieso schon größere Pläne. Unternehmen wie Robert Murdochs News Corp., Time Warner oder Microsoft geben sich mit der Bedienung von Quasselstrippen längst nicht mehr zufrieden. Das große Geld im Informationszeitalter winkt demjenigen, der Informationen aus allen Rohren verkaufen kann. Der Telekom-Konkurrenz gehören weltweit nicht nur Telefonnetze, sondern auch Zeitungen, Fernsehsender, Computerhersteller, Nachrichtendienste, Internet-Provider und Software-Häuser. Das Ziel ist es, den informationsgierigen Kunden von morgen die ganze Palette der Kommunikationsdienstleistungen anzubieten. Nicht nur die Vermittlung von Telefongesprächen soll monopolisiert werden, sondern die komplette Versorgung von Haushalten und Firmen mit Informationen.

Auf den harten Wettbewerb konnten sich US-amerikanische Firmen seit Ende der fünfziger Jahre vorbereiten, auch die relativ erfolgreiche British Telecom hatte mehr Zeit als die kontinentalen Mitbewerber aus Italien, Deutschland oder Frankreich. Sie entstand schon 1984 durch die markt-radikale Wirtschaftspolitik der Thatcher-Regierung.

Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt:

In Deutschland war der Umbau der Telekom zu einer quasi-privatwirtschaftlichen Aktiengesellschaft erst 1995 vollzogen, der Umbau zum "High-Tech-Konzern der Telekommunikation, der mit seinen Produkten und Diensten in vielen Bereichen führende Positionen einnimmt", allerdings noch nicht.

Die Fusion mit den italienischen Leidensgenossen ist dabei höchstens ein Zwischenspiel. "Wir fühlen uns als kosmopolitische Manager in vielen Ländern wohl. Wir beschränken uns nicht auf Deutschland und Italien", drohte Sommer auf der mißglückten Verlobungsfeier in London. "Wir wissen genau, was wir als nächstes tun werden, aber wir werden darüber nicht reden."

Als Kandidaten für die nächste Rekordfusion mit deutscher Beteiligung gelten die britischen Cable & Wireless und One-2-One bzw. Sprint aus den USA. Wenn man nur genug Konkurrenz und deren Know-how aufkauft - so die Unternehmensphilosophie der Ex-Postler - dann wird man schon irgendwann einer der fünf oder sechs Konzernen sein, die die globale Informationsflut lenken.