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Die Strategiespiele der Nouvelle Droite: Das Anti-Nato-Manifest "Non ˆ la guerre" vereint Rechtsextremisten und Ahnungslose, Pazifisten und Antisemiten, Alain de Benoist und Peter Handke

Wer verfolgt in diesem Krieg welche Interessen, und warum? Die teils verworrenen, teils ratlosen Diskussionen um die Nato-Angriffe auf Jugoslawien haben einen idealen Nährboden für Verschwörungstheorien geschaffen. Und vor allem, so scheint es, ist die Öffentlichkeit derzeit empfänglich für derartige politische Spekulationen. Ein Umstand, den vor allem rechte und rechtsextreme Gruppierungen sofort erkannten und für sich zu nutzen wußten, um neue Bündnispartner zu gewinnen und ihre Ideologie massenwirksam zu publizieren.

In dieser Situation allgemeiner Verwirrung, in der sich die politische Kartographie zu verschieben beginnt, haben die Leitfiguren der "Neuen Rechten" um Alain de Benoist, die in den sechziger und siebziger Jahren daran arbeiteten, die NS-Rassentheorie zu "modernisieren", eine Petition unter dem Titel "Non ˆ la guerre" (Nein zum Krieg) lanciert (Jungle World, Nr. 15 / 99). Unter das Papier, das auf Laurent Ozon, den Chef der auf die neu-rechte Besetzung des Themas Ökologie spezialisierten Gruppe Nouvelle ƒcologie, zurückgeht, haben mittlerweile auch eine Reihe Prominenter ihre Unterschrift gesetzt, darunter viele, die außerhalb der extremen Rechten agieren oder sogar zu ihren erklärten Gegnern gehören. Vor allem auf den Demonstrationen gegen die Nato-Angriffe wird der Appell gegen den Krieg der Nato verteilt.

Ziel der Gruppe "Non ˆ la guerre" sind 100 000 Unterschriften; nach Angaben von Libération (vom 22. April) konnten bereits 40 000, darunter die von 400 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, gesammelt werden. Diese Zahlen beruhen jedoch auf den kaum zu überprüfenden Auskünften der Initiatoren.

Die Petition konzentriert sich insbesondere auf die Gefahr einer Unterordnung der Europäer unter eine US-amerikanische Hegemonie, ist jedoch politisch in einer Weise formuliert, die keine klare ideologische Urheberschaft erkennen läßt. "Der 24. März 1999", heißt es, "ist ein finsteres Datum in unserer Geschichte: Zum ersten Mal seit 1945 wird ein souveräner Staat Europas von einem Militärbündnis unter amerikanischer Führung bombardiert, unter Mißachtung der Regeln internationalen Rechts und in flagranter Verletzung der Charta der Vereinten Nationen.

Die Aggression der Nato gegen Serbien ist unakzeptabel und verschärft nur die Konflikte, die sie zu lösen vorgibt. Die ersten Opfer der Bombardierungen sind das serbische und das kosovarische Volk, denen helfen zu wollen, die Zauberlehrlinge der Nato behaupten. Diese humanitäre Motivation ist nur ein Vorwand, der niemanden täuscht: die Palästinenser, Kurden und Tibetaner haben in ihrem Kampf gegen die Unterdrückung und für ihre internationale Anerkennung niemals auch nur die geringste Unterstützung erhalten. Ursprünglich ein Verteidigungsbündnis, verwandelt sich die Nato unter unseren Augen in ein willfähriges Instrument amerikanisch-westlicher Aggressionen in der Welt.

Die Wiederherstellung des Friedens auf dem Balkan kann nur durch sofortige Einstellung der Luftangriffe erfolgen, durch eine klare Ablehnung der amerikanischen Strategien zur Teilung Europas (...)."

Unterstützt wird der Appell außer von Alain de Benoist von dem pro-serbischen und KP-nahen Schriftsteller Patrick Bresson, der bereits 1993 an einem rot-braunen Flirt zwischen Parteikommunisten und Rechtsextremen beteiligt war; von Pierre-Marie Gallois, dem alt-gaullistischen General a.D., der bereits in der Vergangenheit im Umkreis der Neuen Rechten auftauchte. Ebenfalls unterschrieben haben Claude Polin und Claude Rousseau, die beiden Chefideologen der ehemaligen FN-Theoriezeitschrift Identité, die heute Bruno Mégret unterstützen; der Le Pen nahestehende neu-rechte Autor Jean Mabire; der mit Le Pen befreundete und der La Droite angehörende Rechtsaußenpolitiker Alain Griotteray sowie zwei der Gründungsmitglieder der rechtsextremen Vereinigung GRéCE, Pierre Bérard und Jean-Jacques Mourreau.

Aber nicht nur auf die Elite der französischen extremen Rechten kann die Gruppe "Non ˆ la guerre" verweisen, sondern auch auf internationale Unterstützer, u.a. auf Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, den rechtsextremen Friedensforscher Alfred Mechtersheimer und den russischen Schriftsteller Alexander Solschenizyn. Auch die Unterschrift eines des prominentesten Gegners der Nato-Angriffe findet sich auf der Liste: Peter Handke.

Zweifel bezüglich der Vorgehensweise der Initiatoren sind allerdings angebracht; es muß zumindest davon ausgegangen werden, daß eine Vielzahl der Unterzeichner die Urheber des Anti-Nato-Manifests nicht kannten. Öffentlich distanziert haben sich inzwischen u.a. die links-nationalen Promis Jean-Fran ç ois Kahn, Chef der patriotischen Zeitschrift Marianne, und Didier Motchane, Vizepräsident der links-nationalistischen Partei von Innenminister Jean-Pierre Chevènement, sowie der Armenpriester Abbé Pierre, eine Galionsfigur diverser sozialer Initiativen. Nachdem sie erfahren hatten, wer den Aufruf initiiert hat, zogen sie ihre Unterschrift wieder zurück.

Die großen Zeitungen, insbesondere Le Monde und Libération, haben inzwischen zwar mehrfach über die neu-rechte Herkunft der Petition berichtet, doch nach wie vor können die Aufrufer auf (wohl desinformierte) Prominente außerhalb des eigenen politischen Lagers zählen, z.B. auf den libertären Sänger Renaud, die sozialistische Politikerin und Anwältin Gisèle Halimi, den Dramatiker Harold Pinter und den linken britischen Regisseur Ken Loach. Die Neuen Rechten hatten in alle Richtungen um Unterstützung geworben: in grünen und kommunistischen Kreisen, unter Anarcho-Libertären und unter Gaullisten, die aus patriotischen Motiven die Teilnahme Frankreichs an einer US-geführten Nato-Operation ablehnen.

Das Kollektiv "Non ˆ la guerre" wird gegenwärtig von drei Personen geleitet und koordiniert: Charles Champetrier, Chefredakteur der GRéCE-Zeitschrift Eléments; Arnaud Guyot-Jeannin, der eine Sendung auf dem rechtsextremen Pariser Sender Radio Courtoise leitet; und Laurent Ozon, der neben der Gruppe Nouvelle ƒcologie auch Chef der Zeitschrift Recours aux forts ist. Der Zeitschriftentitel bedeutet ungefähr "Rückzug in die Wälder" und steht programmatisch für den Versuch, die Ökologie mit der Blut-und-Boden-Thematik zu verbinden, derzufolge die Menschen unabänderlich von ihrem "Lebensraum" geprägt sind. In der Weltsicht der GRéCE-Anhänger stellen die indo-europäischen "Waldvölker" und die semitischen "Wüstenvölker" sowie ihre jeweiligen Religionen, das (Neu)-Heidentum und das "Juden-Christentum" einen nicht zu überwindenden Gegensatz dar.

Die Initiatoren von "Non ˆ la guerre" beschränken sich nicht auf das Verteilen von Unterschriftenlisten; am 21. April hielten sie in Paris eine Veranstaltung mit rund 400 Teilnehmern ab, zu der all jene eingeladen waren, die teilweise nichtsahnend "Nein zum Krieg" kontaktiert hatten. Als Stargast wurde der GRéCE-Gründer und neu-rechte Chefideologe Alain de Benoist präsentiert, auf dem Programm standen scharfe Angriffe auf die USA, nicht aber auf deren europäische Verbündete, die, wie vor allem im Fall Deutschlands, erheblich zur Eskalation auf dem Balkan beigetragen haben. Statt dessen bewiesen die Redner die wahnhafte Fixierung ihres Weltbildes und adressierten ihre Kritik an das am Kosovo-Krieg unbeteiligte Israel.

Nur zwei Tage später, am Freitag, legte das Bündnis noch einmal nach und brachte mit einer Auflage von 80 000 die sogenannte Anti-Kriegs-Zeitung La Grosse Bertha an die Kioske, wo u.a. Alain de Benoist, Charles Champetrier, Laurent Ozon und Arnaud Guyot-Jeannin publizieren. Auch hier ist die Herkunft aus dem rechtsextremen Lager nicht auf Anhieb zu erkennen. La Grosse Bertha - in Anspielung auf die im Ersten Weltkrieg von den Deutschen eingesetzte Superkanone "Dicke Berta" - nannte sich bereits während des Golfkrieges gegen den Irak 1991 eine eher links bis linksradikal ausgerichtete Anti-Kriegs-Zeitung, in der hauptsächlich Karikaturen gedruckt wurden. Viele der damaligen Bertha-Macher gehören heute zur Redaktion der linksalternativen Satirezeitung Charlie Hebdo.

Über den Titelschutz ließ sich die neue Publikation nicht verhindern; den Titel hatte 1991 Jean-Cyril Godefroy, der heute "Non ˆ la guerre" zuarbeitet, auf seinen Namen eintragen lassen. Karikaturen finden sich keine in der aktuellen La Grosse Bertha, dafür acht Seiten Text, darunter - nach Angaben der Redaktion - autorisierte Übersetzungen von Artikeln von Alexander Solschenizyn und Noam Chomsky.

Vor allem aber dient La Grosse Bertha als Forum, um die neu-rechte Sicht auf den Balkankrieg zu verbreiten, derzufolge die Machenschaften der USA den Krieg herbeigeführt haben. Die Hegemonialpolitik Deutschlands in seinem neuen "Hinterhof" Südosteuropa wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. In einigen Passagen wird versucht, die US-Manipulation, die hinter diesem "Krieg, der für Europa einem Selbstmord gleichkommt", aufzudecken.

Das eigentliche Interesse der USA sei es, durch den Krieg "das orthodoxe Europa und das katholisch-reformierte Europa gegeneinander aufzubringen" (Gabriel Matzneff) und "einen dauerhaften Bruch zwischen dem westlich-abendländischen Europa und der slawisch-orthodoxen Welt zu schaffen, um die Westeuropäer zu überzeugen, daß sie ihren sog. atlantischen Partnern immer noch näher stünden als ihren natürlichen Nachbarn im Osten" (Alain de Benoist). Auf diese Weise "wollen die Amerikaner ein neues Schisma schaffen, um Europa zu teilen" (Louis Sorel). Langfristig wollten die USA - gestern in Bosnien und heute im Kosovo - einen islamischen und bald islamistischen Staat schaffen, im Herzen Europas, mit dem Ziel, "es mit Geschwüren zu durchsetzen, um es zu schwächen" (Gabriel Matzneff). Kurz, die USA sind an allem schuld, aber, so lautet die Überschrift des Appells "Non ˆ la guerre" in dem Blatt: "Die Europäer wollen Frieden".