Warte, bis es piept

Nicht k.v. - Bei CNN und Guardian ist das ein Kündigungsgrund. Auch die Berliner Zeitung verbittet sich Nato-kritische Kommentare

Propaganda - also "Tätigkeiten zur Beeinflussung durch rationale sprachliche Strategien z.B. der seriösen Tagespresse" (Meyers Großes Taschenlexikon) - wurde in der deutschen Wehrmacht seit 1943 als eigene Waffengattung anerkannt. Für die Umsetzung sorgten die sogenannten Propagandakompanien, deren Aufgabe die Nachrichtenbeschaffung für die Kriegsberichterstattung war.

56 Jahre später ist die Kriegsberichterstattung aus der Truppe ausgegliedert und den regulierenden Kräften des freien Marktes überlassen worden. In den demokratischen Systemen der westlichen Hemisphäre gilt seither der Grundsatz: Kriegspropaganda, das machen immer die anderen. Die Wirklichkeit spricht bisweilen eine andere Sprache. Nicht nur in Belgrad bemißt sich die den Informationen oder Meinungen zuteil werdende Publizität daran, ob sie mit den Notwendigkeiten in der Etappe kompatibel ist. Drei Beispiele aus der freien Welt:

Den Anfang machte am 14. April der Kolumnist des britischen Guardian, Mark Steel. In einem mit den Worten "We who are about to die" überschriebenen Text ließ er die Leser wissen, das Blatt habe beschlossen, seine Kolumne einzustellen. "Ich nehme an, die Presselandschaft ist so vollgepackt mit witzigen, marxistischen Anti-Nato-Kommentaren, daß einfach nicht genug Platz für uns alle ist", bemerkt Steel in seinem Abschiedstext (http://www.zmag.org). Die wahren Gründe für sein publizistisches Ableben beim Guardian wollte er gleichfalls nicht für sich behalten. Der britische "Kriegsminister" (Steel) habe sich über einen Beitrag vom 6. April beklagt, in dem der Journalist die Kriegsführung der Nato scharf kritisiert hatte.

"Westliche Armeen sind nicht da, um für das Gute zu kämpfen, sondern um Regierungen zu zwingen, sich im Interesse des Westens zu verhalten", hatte der Journalist festgestellt. Zugleich warf er der Nato vor, sie habe mit der Militärintervention die Situation der Zivilisten im Kosovo verschärft und betreibe zugleich eine restriktive Flüchtlingspolitik - Aussagen, für die er nur eine Woche später seinen Hut nehmen mußte.

Auch der CNN-Starreporter Peter Arnett, einer der bekanntesten Korrespondenten der TV-Geschichte, wurde Opfer der Schlacht, die an der Heimatfront tobt. 17 Jahre lang hatte er für den amerikanischen Nachrichtensender den Krieg in die Wohnzimmer geholt. 1966 wurde er für seine Berichterstattung aus Vietnam mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, und während des Golfkrieges gelang es ihm, ein Interview mit Saddam Hussein zu führen. Zum 1. Juli ist Arnett jetzt entlassen worden. Hier solle, heißt es aus Journalistenkreisen, an einem unbequemen Kriegsreporter ein Exempel statuiert werden.

Maßgeblich verdanken dürfte Arnett seine Entlassung einer Reportage mit dem Titel "Tailwind", ausgestrahlt am 5. Juni vergangenen Jahres. Darin hieß es, die USA hätten in Vietnam das tödliche Nervengas Sarin eingesetzt. Vier Wochen später teilte der Sender mit, durch "hauseigene" Recherchen seien die Behauptungen Arnetts widerlegt worden. Eine offizielle Entschuldigung bei Pentagon und Regierung folgte ebenso wie die Entlassung der verantwortlichen Produzenten.

Arnett selbst wurde in entlegene Krisengebiete strafversetzt und tauchte seit der Ausstrahlung von "Tailwind" nur noch ein einziges Mal auf den Fernsehschirmen der US-Amerikaner auf, bevor ihn CNN ganz offiziell in die Wüste schickte. Arnett: "Die gaben mir einen Beeper und sagten: Warte, bis es piept. Aber es hat eben nicht gepiept." Die Berliner Zeitung betrieb Ursachenforschung: "Die Reportage 'Tailwind', die erschien, als der Irak gerade durch den angeblichen Einsatz von chemischen und biologischen Waffen verteufelt wurde, hätte, falls sich die Behauptungen Arnetts als richtig herausgestellt hätten, genau den gegenteiligen Effekt gehabt" - die erwünschte Unterstützung der US-Bevölkerung für den im Dezember bevorstehenden Militärschlag gegen den Irak also wäre ausgeblieben.

Die Berliner Zeitung berichtete auf Seite eins über das Schicksal Arnetts. Wenn es um dissidente Meinungen im eigenen Haus geht, legt das zum Gruner+Jahr-Verlag gehörende Blatt entschieden weniger Wert auf Pluralismus: Am Dienstag vergangener Woche kippte Herausgeber Dieter Schröder einen Leitartikel des Wirtschaftsredakteurs Stephan Kaufmann, der sich unter dem Titel "Strapazierte Humanität" kritisch mit der Rolle der Nato im Kosovo auseinandersetzte.

Die Nato, so Kaufmann, habe "den Krieg im Kosovo erst ermöglicht. Sie hat die UCK als Bürgerkriegspartei anerkannt und gleichzeitig die Serben in ihrer Ordnungspolitik gebremst. Die Konstellation hatte dafür gesorgt, daß die überlegene Seite nicht gewinnen konnte und die unterlegene nicht verlieren mußte." Es gebe Hinweise darauf, daß nicht Mitgefühl das Motiv des Militärbündnisses sei: Die Allianz habe in der Vergangenheit brutale Diktatoren unterstützt, Vertreibung geduldet. Und, so Kaufmann weiter: "Die Nato bekriegt den ethnischen Furor Serbiens und bestärkt den Standpunkt, daß die völkische Zugehörigkeit eines Menschen sein erstes Lebensmittel ist."

Dem Herausgeber war das zuviel: Während das Erscheinen des Textes in der überregionalen Ausgabe nicht mehr zu verhindern war, konnte man in der später gedruckten Berlin-Ausgabe ein Räsonnement über die Fusion der Telekom nachlesen. Die kriegskritische Argumentation Kaufmanns hatte den "Meinungskorridor" (Dieter Schröder) verlassen. Die "Pluralität in der Zeitung", so versicherte der Herausgeber, bleibe dennoch gewahrt.