Als Uli Hoeneß sich einmal die Krawatte richten ließ

"Vom Spielkaiser zu Bertis Buben" - Eine Ausstellung schließt Wissenslücken den deutschen Fußball

Volkshochschule, das klingt nach Töpferkurs, Rückenschule oder Spanisch für Mallorca-Fahrer. Fußball drängt sich da als Thema nicht unbedingt auf. Schon gar nicht in Aachen, einer Stadt, die seit dem Niedergang der traditionsreichen Alemannia ohne Profiklub dasteht.

Alles kein Problem für Winfried Casteel. Als die beiden Journalisten Jürgen Nendza und Eduard Hoffmann dem Leiter des Fachbereichs politische Bildung der Volkshochschule Aachen anboten, eine Ausstellung zur Geschichte des Fußballs in Deutschland auf die Beine zu stellen, griff Casteel begeistert zu. Hoffmann und Nendza, die bereits für den Westdeutschen Rundfunk ein mehrteiliges Radio-Feature zum Thema produziert hatten, machten sich in Archiven, Antiquariaten und auf Flohmärkten auf die Suche vor allem nach visuellem Material - und gruben dabei so manches Schätzchen aus. Das Ergebnis ihrer Recherchen ist unter dem von der Aktualität inzwischen überholten Titel "Vom Spielkaiser zu Bertis Buben" in diesem und dem kommenden Jahr als Ausstellung nicht nur in Aachen, sondern auch an vielen anderen Orten in Deutschland zu sehen, im Mai zum Beispiel in Siegburg und danach auf St. Pauli.

Zwei Jubiläen nahmen Hoffmann und Nendza zum Anlaß für ihre Arbeit. Im kommenden Jahr begeht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den hundertsten Jahrestag seiner Gründung am 28. Januar 1900. Schon jetzt aber jährt sich zum 125. Mal jener denkwürdige Tag, an dem der Braunschweiger Turnlehrer Konrad Koch erstmals an einer deutschen Schule Fußball spielen ließ und damit dem im wilhelminischen Deutschland als "Fußlümmelei" und "englischer Aftersport" geschmähten Spiel einen entscheidenden Kick versetzte.

Dieses für die Sportgeschichte wichtige Datum ist in Deutschland aber kaum jemandem geläufig. "Für die meisten Fans fängt der deutsche Fußball 1954 an", sagt Nendza. Daß es aber schon lange vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft in der Schweiz durch die BRD-Elf viel Interessantes, Kurioses und Grauenhaftes über den deutschen Fußball zu berichten gibt, davon kündet diese Schau. Die Ausstellung und ihr Rahmenprogramm - etwa eine ebenfalls von Nendza und Hoffmann konzipierte Multimedia-Schau oder ein Vortrag des Kölner Sporthistorikers Karl Lennartz - schließen Lücken, die sich in den einschlägigen Chroniken, Almanachen, Festschriften und Bildbänden vor allem für die Zeit zwischen 1933 und 1945 auftun. Wer weiß schon, daß der DFB schon in der ersten Hälfte des Jahres 1933 in vorauseilendem Gehorsam per "Arierparagraphen" alle jüdischen Mitglieder ausschloß, ohne daß die Nazi-Führung ihn dazu hätte zwingen müssen? Oder daß die Alliierten nach dem Krieg zunächst einmal sämtliche Fußballklubs als Naziorganisationen ächteten und ihnen erst peu ˆ peu die Spielerlaubnis wieder erteilten?

Fußballfunktionäre wie Felix Linnemann ("DFB-Bundesführer"), Peco Bauwens oder auch Sepp Herberger konnten problemlos als Durchläufer in verschiedenen politischen Systemen tätig sein. Die Übergänge waren für sie fließend. Und so durfte "Reichssportführer" Hans von Tschammer schon 1933 im amtlichen Organ des DFB zufrieden feststellen: "An Stelle der Vielfältigkeit der Meinungen ist die Einheit des Wollens getreten." Den Deutschen Meister Schalke 04 lobte er im gleichen Beitrag als eine Mannschaft "aus der Tiefe des Volkstums". Ausgerechnet der Polacken-Verein aus dem roten Revier galt von nun an als Vorbild, Männer mit so urdeutschen Namen wie Szepan, Kuzorra und Tibulsky als Inkarnation des arischen Menschen. Lennartz sieht da keinen Widerspruch. "Auch Goebbels, Hitler und Göring entsprachen ja wohl kaum den Idealen, die sie propagierten."

Den Fußballern war es ohnehin einerlei, unter welchem Regime sie die Töppen schnürten. "Die waren damals genauso unpolitisch wie heute", sagt Lennartz. Solange der Ball rollte ... Die Ausstellung läßt dazu Bilder sprechen: So ziert der Spieler Streitle von Bayern München als stolzer Wehrmachtssoldat das Cover des Kicker, um dann zwei Stelltafeln weiter mit ausgebeultem Turnanzug und Peter-Kraus-Haarschnitt lockere Ball-Späßchen als "Fußball-Kunst der fünfziger Jahre" abzuliefern. Ein Mann wie der tief im linken Arbeitermilieu verwurzelte Österreicher Matthias Sindelar blieb die Ausnahme. Der "Papierene", wie Sindelar wegen seines filigranen Spiels genannt wurde, weigerte sich standhaft, nach dem Anschluß seines Heimatlandes bei der WM 1938 für die neue "großdeutsche" Mannschaft zu spielen. Daß allerdings diese Standhaftigkeit auch für Sindelars Freitod im Januar 1939 ausschlaggebend war, wie etwa von Walter Jens immer wieder kolportiert wird, will Lennartz nicht als historischen Fakt anerkennen.

Natürlich steht all dies schon in gelehrten Büchern, die in Bibliotheken verstauben, etwa beim DFB in Frankfurt oder an der Sporthochschule Köln. "Wir haben keine neue These anzubieten", betont Nendza. Ziel der Ausstellung sei es vielmehr, das in der Sportwissenschaft und -publizistik lange vorhandene Wissen auf unterhaltsame Weise einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentierten. Und dazu paßt die anekdotische Form, die vor allem über Bilder und knappe Zitate Zeitgeschichte unangestrengt vermittelt. Auf Pädagogik verzichten Nendza und Hoffmann, die notwendigen Schlüsse überlassen sie dem Betrachter. Und der hat in diesem Kuriositätenkabinett ein Aha-Erlebnis nach dem anderen. Die Piefigkeit der Nachkriegszeit etwa läßt sich wohl kaum besser symbolisieren als durch ein Goggomobil samt Fähnchen mit der Aufschrift "Posipal" als kleines Geschenk für Weltmeister. Kurz zuvor sah man die Nationalmannschaft noch unter Reichstrainer Otto Nerz im Gleichschritt zum Training marschieren.

Und wer hätte gedacht, daß jener jungsche Uli Hoeneß, der da 1979 bei seinem Amtsantritt als Manager des FC Bayern München naßforsch in die Runde blickt und sich von Präsidentenfrau Magdalene Neudecker noch schnell die Krawatte richten läßt, einst als eine Art Kostolany des deutschen Fußballs reüssieren wird? Fünf Jahre zuvor hatte Hoeneß in einer Nationalelf gestanden, die vor der WM mit Streik gedroht hatte, da ihr die vereinbarte Siegerprämie von 30 000 Mark pro Nase zu mickrig erschien. Aus Angst, im eigenen Land mit einer B-Elf antreten zu müssen, löhnte der DFB schließlich 70 000 Mark. Mit Hoeneß zog die neue Zeit, die sich auch darin zeigte, daß Mitte der achtziger Jahre ein semi-erfolgreicher Torwart wie Jürgen Rollmann für einen kurzen Fernsehauftritt mit aufgepapptem Ausrüsterlogo 2 000 Mark kassieren konnte - für ein Zehntel dieser Summe waren 1963 die ersten Bundesliga-Spieler angetreten. Die entsprechenden Verträge und Abrechnungen werden in der Ausstellung dokumentiert.

Auch die oft verräterische Sprache des Fußballsports ist Thema dieser Schau. Wer hätte etwa gewußt, daß der heute harmlos klingende Begriff des "Nationalspielers" von den Nazis eingeführt wurde, denen der bis dahin gebräuchliche "Internationaler" zu undeutsch klang? Und der im Ausstellungstitel auftauchende "Spielkaiser" bezeichnete zu Zeiten der Hohenzollern tatsächlich den heute als Mannschaftskapitän bekannten Chef auf dem Platz. Die Herkunft des bis heute ebenfalls geläufigen "Spielführers" bleibt in dieser Schau leider ungeklärt.

Termine und Buchung der Ausstellung unter der Rufnummer 0241 - 479 21 27.

Das Buch zur Ausstellung erscheint im Juni: Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza, "Vom Spielkaiser zu Bertis Buben", Verlag Landpresse, Weilerwist