Ein Staat wird vertagt

Mit einem Verfahrenstrick wurde eine Entscheidung über die palästinensische Staatgründung verschoben

Einen Staat hat Yassir Arafat noch nicht. Das heißt, eigentlich doch: Denn in der Erklärung des Zentralrats der PLO von vergangener Woche wird behauptet, der palästinensische Staat sei ein "existing fact" - basierend auf "Naturrecht", der Resolution 181 der UN-Generalversammlung und der Unabhängigkeitserklärung von 1988.

Tatsächlich hatten mehr als 20 Staaten damals den in Algier ausgerufenen Staat anerkannt. Dennoch ist Palästinenser-Präsident Arafat in den vergangenen Wochen in immerhin 45 Länder rund um die Welt gereist, um Unterstützung für eine Staatsgründung zu gewinnen. Stichtag dafür war der 4. Mai, an dem die in den Osloer Verträgen vorgesehene fünfjährige Übergangsfrist auslief. Von seinen Reisen hat Arafat zwar keinen Staat mitgebracht, aber doch die Zusage so gewichtiger Partner wie der EU, eine Staatsbildung im kommenden Jahr zu unterstützen.

Nun kam sogar aus Washington vorsichtige Zustimmung: Kurz vor dem Zusammentreffen des PLO-Zentralrats, der über die Staatsgründung am 4. Mai entscheiden sollte, schlug Präsident William Clinton in einem Brief an Arafat vor, die Interimsphase um ein Jahr zu verlängern und neue Friedensgespräche innerhalb der nächsten sechs Monate anzusetzen.

Auch die UN-Menschenrechtskommission hat letzte Woche eine Resolution zum "Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser" verabschiedet. In dieser berief sie sich auf die UN-Resolutionen 181 und 194, in denen 1947 eine Teilung des Landes in zwei Staaten und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge vorgesehen waren.

Die israelische Regierung war beleidigt - nicht einmal ein Verweis auf den Friedensprozeß und die Osloer Abkommen findet sich im Resolutionstext. Arafat hat also wieder ein bißchen Terrain gewonnen. Und so konnte vergangene Woche der PLO-Zentralrat getrost beschließen - daß er nichts beschließt, sondern sich im Juni, also nach einem möglichen zweiten Wahlgang in Israel, erneut versammeln wird. Durch den Verfahrenstrick, die Sitzung gar nicht offiziell zu beenden, konnte eine abschließende Entscheidung vertagt werden.

War die Vertagung der Staatsproklamation schon vorherzusehen, so ist die neue Wendung doch besonders elegant: Arafat konnte mit der Sitzung des PLO-Zentralrats nicht nur offiziell am Ziel der Staatsgründung festhalten, sondern auch nationale Einheit simulieren. Abgesehen von der PFLP, die den Boykott vorzog, waren alle Fraktionen der PLO versammelt. Und zudem war ein besonders hoher Gast zugegen, wenn auch nur als Beobachter: Scheich Ahmed Yassin, der geistliche Anführer der islamistischen Hamas, gab der Versammlung sozusagen seinen Segen. Und erklärte zudem, Hamas würde sich im neuen Staat gerne als reguläre Partei an den Wahlen beteiligen.

Damit aber ist es Arafat gelungen, auch die israelfeindliche Hamas vorerst einzubinden. Und für die linken Kritiker seines autoritären Regierungsstils hatte er ein Trostpflästerchen parat: Verschiedene Kommissionen sollen von der PLO eingesetzt werden, um eine Verfassung für den zukünftigen Staat auszuarbeiten und die Demokratisierung der Autonomiebehörde voranzutreiben.

Zwar ließen sich auch kritische Stimmen zu der neuen Verschiebung vernehmen. So erklärte der Vorsitzende der PLO-Fraktion Fatah, Marwan Barghouti, gegenüber der FR, ein Aufschub sei sinnlos. Auch bemängelten einige Mitglieder des PLO-Zentralrats, daß keine klaren Aussagen zur Verlängerung oder zum Ablauf der Übergangsperiode im Dokument enthalten seien.

Dennoch dürften Arafat und die PLO so den klügsten Schachzug getan haben. Und einer ist dabei bestimmt der Verlierer: Benjamin Netanjahu. Der erklärte zwar nach Bekanntwerden der palästinensischen Entscheidung, diese sei allein auf seine eigene politisch harte Linie zurückzuführen, die Arafat von einer einseitigen Staatsgründung abgehalten und so den Friedensprozeß gerettet hätte.

Nur dürfte er mit dieser Ansicht ziemlich alleine dastehen. Haben doch seine neuesten Angriffe auf die palästinensischen Behörden in Ostjerusalem und seine aggressive Siedlungspolitik bereits internationalen Protest hervorgerufen.

Im Grunde wäre für Netanjahu eine Entscheidung der Palästinenser in jedem Fall günstiger gewesen als diese strategische Vertagung: Wäre die palästinensischen Staatsgründung tatsächlich am 4. Mai erfolgt, hätte Netanjahu möglicherweise seine Drohung wahrmachen und Teile des Westjordanlands annektieren können. Das hätte ihm zwar internationalen Groll eingebracht - die Opposition wirft ihm sowieso schon vor, Israel isoliert und sogar bei den USA in Mißkredit gebracht zu haben -, aber auch bei der bevorstehenden Wahl einige Hardliner-Stimmen einbringen können.

Bei einem Nachgeben der Palästinenser und einem endgültigen Aus für die geplante Staatsgründung hätte sich Netanjahu zu Recht als Sieger über palästinensische Autonomie-Sperenzchen feiern lassen könne. So aber bleibt ihm nur ein trotziger Slogan, um seinen Gegenkandidaten Ehud Barak zu diskreditieren: "Arafat will Barak".