It's Raining, Man

Der Ekel des urbanen Menschen vor der organischen Welt. Karen Duves angenehm sadistischer "Regenroman"

In Douglas Adams' "Macht's gut und danke für den Fisch" gibt es die Figur des Lastwagenfahrers Rob McKenna, der nichts davon ahnt, daß er insgeheim ein Regengott ist. Er hält es für schieres Pech, daß es immer dort, wo er sich gerade aufhält, regnet, ist dementsprechend permanent schlecht gelaunt und hat im Laufe der Zeit in seinem persönlichen Wortschatz mehr Wörter für Regen generiert als die Eskimos für Schnee. "Alle Wolken wußten nichts anderes, als daß sie ihn liebten und in seiner Nähe sein wollten, um ihn zu streicheln und zu tränken", heißt es über ihn.

Man wird das Gefühl nicht los, daß es sich bei dem Personal, das Karen Duves "Regenroman" bevölkert, um ebensolche verhinderten Regengötter handelt, zumindest bei den beiden Hauptfiguren Leon und Martina. Es regnet in einer Tour, doch im Unterschied zu McKenna ist bei den beiden Protagonisten in Duves Roman ein gewisses Eigenverschulden mit der naßkalten Verdammnis spürbar. Das kommt davon, wenn man leichtfertig den Zorn des Schicksals herausfordert, indem man das einem auferlegte Sisyphusdasein im Hamburger Großstadtbetrieb gegen den eitlen Traum vom Müßiggang und vom ländlichen Idyll einzutauschen sucht.

Die Versuchung tritt auf in Gestalt des Ex-Boxers, Zuhälterpapstes und St. Pauli-Kaisers Pfitzner, der den bis dato wenig erfolgverwöhnten Schriftsteller Leon auserkoren hat, gegen ein Salär von 100 000 Mark seine Biographie zu schreiben. Der zweifache Sündenfall Leons ist es, erstens zu akzeptieren, zweitens gemeinsam mit Martina von dem Geld ein Haus zu kaufen, das irgendwo in der Ex-DDR-Pampa am Moor liegt. Den so eingeleiteten Niedergang besorgen ab hier die Kräfte der Natur.

Im Dauerregen und im Morast löst sich nicht nur das ohnehin morsche Haus auf, sondern auch die Idee vom unbeschwert-kontemplativen Schriftstellerleben, die eingangs mehr oder weniger intakte Paarziehung und nicht zuletzt das Individuum Leon. Anstatt zu schreiben, führt er auf verlorenem Posten Rückzugsgefechte gegen eine Armada von Schnecken, die es auf den Garten abgesehen hat, und gegen den Schimmel, der das Haus schleichend in seine Bestandteile auflöst. Als er sich dabei ein Rückenleiden zuzieht, begreift er das als Chance, überhaupt nichts mehr zu unternehmen, mählich zu regredieren und der Verfettung auf dem Sofa nachzugeben.

"O nein, die Natur war nicht lieblich. Sie war böse, undiszipliniert und dreckig, und sie war Leon in seinen Hoffnungen grundsätzlich feindlich gesonnen", lautet seine Lektion, die er freilich erst begreift, als es zu spät ist. Pfitzner und sein schmieriger Unterweltkumpane Harry sind am Ende nur Vollstrecker des ohnehin Unausweichlichen. Martina ist währenddessen längst in einen Zustand buddhistischer Duldsamkeit transgrediert, in dem einzig die Freundschaft zu einem zugelaufenen Hund ihr noch etwas bedeutet und selbst die Vergewaltigung durch Harry ihr nichts wirklich anhaben kann und nur ihre abgrundtiefe Verachtung für Leon nährt. Irgendwie scheint sie den Anfeindungen des Organischen summa summarum besser gewachsen zu sein, deshalb darf sie am Ende geläutert überleben, während Leon, komplett durchgedreht, im Moor versinkt.

Hat das womöglich damit zu tun, daß Frauen besser an ihre natürliche, in diesem Fall organische Umgebung angepaßt sind? Es hat vor allem damit zu tun, daß Männer in ihrer klassischen Rolle zu Perfektionismus neigen, keine Frustrationstoleranz haben und sich nach der erstbesten Niederlage nach Strich und Faden gehen lassen. Soweit zum postfeministischen Impetus des Romans, der mit einschlägiger deutscher Frauenliteratur nichts gemein hat. Duve scheint die männliche Psyche mit all ihren Schattenseiten mindestens ebensogut zu kennen wie die weibliche und schreckt beim Ausloten beider nicht vor einer gewissen Häme zurück.

Daß Martina selbst nichts anderes als Ratgeberbücher vom Schlage "Du kannst mich einfach nicht verstehen" konsumiert, markiert in diesem Zusammenhang ironisch nur das metafiktionale Normalnull-Niveau, über das sich der Roman mit Leichtigkeit erhebt. Und soviel auch zum "literarischen Fräuleinwunder", unter das der Spiegel kürzlich auch Karen Duve subsumiert hat. Das Label ist - abgesehen von seinem gönnerhaft misogynen Beigeschmack - hier insofern fehl am Platze, als es Duve nicht in erster Linie darum zu tun ist, ein bestimmtes Zeit- und Szenekolorit, ein Lebensgefühl oder gar einen Lifestyle abzubilden. Daß etwa Martina magersüchtig ist, erfährt man nur am Rande; es spielt ja auch für den Plot keine Rolle.

Was anhebt wie ein typisches Drehbuch zu einem öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimi, wird binnen kurzem zum akribischen mikrosoziologischen Protokoll eines totalen Kollapses. Und damit es auch wirklich nicht langweilig wird, bereichert die Autorin den ruralen Mikrokosmos noch um eine Handvoll Dorfidioten und ein fast psychedelisch skurriles Schwesternpaar und gießt hektoliterweise Regen über das Ganze.

Es ist dieser gesunde Sadismus den eigenen Geschöpfen gegenüber, der die Triebfeder des Erzählens zu sein scheint und der die Erzählung zum Ende zur Hochkomik auflaufen läßt, daß man sämtliche etwaigen Einwände vergißt. Daß Wasser in allen Aggregatzuständen sich derzeit literarisch ziemlich gut vermarkten läßt, ist der Autorin nicht anzulasten. Daß das Moor als Universaltopos für den Niedergang der Charakteren steht und als solche reichlich überstrapaziert wird, mögen Germanisten monieren. Der urbane Leser erfreut sich derweil eins zu eins am nur zu gut nachvollziehbaren Unbehagen in der Natur, jener Mischung aus Ekel und Faszination, die einen beschleicht, wenn einem die Flora und Fauna um einen herum zu viel wird. Jener Umschlagpunkt, wenn aus dem Aufenthalt im Grünen ein Aufenthalt im Grauen wird.

Neben der flockig-drastischen Sprache ist Karen Duve vielleicht daran doch die Zugehörigkeit zu ihrer Generation anzumerken: Es ist das kritische Alter um Mitte dreißig, in dem Großstädter in Rudeln zu kleinen Fluchten aufbrechen. Die zugrundeliegenden Träume von idyllischer Weltabgewandheit ihrer Schalheit zu überführen und gründlich zu demontieren, ist die praktisch relevante Seite des Romans.

Dabei ist es doch so einleuchtend: "Der Schönheit einer Frau konnte man beikommen, indem man mit ihr schlief. Und ein schönes Tier könnte man erschießen oder kaufen oder essen. Aber was konnte man schon mit einer Landschaft anfangen." Nichts, außer sie in all ihrer Abscheulichkeit in Literatur zu überführen. Genau das hat Karen Duve getan.

Karen Duve: Regenroman. Eichborn 1999, 300 S., DM 36