Mit Allah und den Laizisten

Algeriens neuer Präsident Bouteflika sucht seine Machtbasis zu erweitern

Der dritte Anlauf soll es an diesem Donnerstag sein: das dritte Mal, daß einige algerische Oppositionskräfte Anlauf nehmen, die Resultate der Präsidentschaftswahl vom 15. April von der Straße aus anzufechten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Wahlergebnis durch Wahlfälschung in großem Stil zustande gekommen. Zum Sieger wurde der von den algerischen Militärs unterstützte ehemalige Außenminister Abdelaziz Bouteflika erklärt. Der legte am Dienstag vergangener Woche schon seinen Amtseid ab.

Sechs der sieben Bewerber um die Präsidentschaft hatten 15 Stunden vor Beginn des Urnengangs ihren Rückzug verkündet. Bereits am Tag nach der Wahlfarce versuchten die Anhänger von fünfen der sechs, ihre Mobilisierungsfähigkeit auf den Straßen der Hauptstadt Algier unter Beweis zu stellen. Der sechste, Mokdad Sifi, 1994/95 zeitweise Premierminister, hatte vorab verkündet, Straßendemonstrationen gehörten nicht "zu (seiner) politischen Kultur" - was man dem Technokraten und früheren Mitglied der sogenannten Präsidentenpartei RND (Nationale Demokratische Sammlung) ohne weiteres abnimmt. Sifi gehört jedoch weiter der "Gruppe der sechs" an, nimmt an deren Sitzungen teil und unterstützt ihre öffentlichen Erklärungen.

Der Beweis der oppositionellen Stärke am 16. April scheiterte kläglich: Zu der unangemeldeten Demonstration erschienen angesichts des martialischen Aufgebots der Repressionsorgane nur einige Hundert Tollkühne; rund 40 meist jüngere Leute wurden festgenommen. Einen zweiten, für den 26. April geplanten Protestmarsch hatten die Ex-Präsidentschaftskandidaten und ihre Unterstützer zwar eine Woche zuvor ordnungsgemäß angemeldet. Doch am Montag vergangener Woche wurde die Demonstration vom Gouverneur des Großraums Algier verboten - ohne Angabe von Gründen. Nun steht der 6. Mai als nächstes Protestdatum auf dem Oppositionskalender.

Im Hinblick auf eine längerfristige Mobilisierung gegen den von den Militärs ins Amt gehievten Präsidenten versucht die "Gruppe der sechs" zudem, eine gemeinsame Plattform zu erarbeiten. Am vorvergangenen Sonntag trafen sich die sechs im Sitz der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), der Partei Hocine Ait Ahmeds, die als einzige organisierte Kraft hinter den ausgebooteten Präsidentschaftskandidaten steht. Dort sollte der Entwurf für ein "Manifest der (demokratischen) Freiheiten" beraten werden.

Nach bislang vorliegenden Informationen beschränkt sich dieses Manifest allerdings auf Fragen der Öffnung des politischen Systems und der Betätigungsmöglichkeiten für die bislang von der Macht ferngehaltenen Kräfte; Aussagen, Analysen oder Forderungen politischer Natur finden sich demnach nicht darin. Für die algerische Tageszeitung Le Matin, die bereits am 22. April die Frage gestellt hatte: "Geht der Protestbewegung der Atem aus?", ist klar, daß "die politische Tendenz der einen und der anderen ihnen nicht erlaubt, über zwei oder drei gemeinsame Initiativen hinauszugehen".

Drei der Ex-Kandidaten stammen - wie der neue Präsident Bouteflika - aus der militärisch-staatsbürokratischen Nomenklatura des früheren FLN-Einparteienstaates. In Wirklichkeit, so vermutet das Presseorgan La Tribune, geht es den meisten der sechs vor allem darum, "sich zu einer Art bevorzugten Gegenübers des Präsidenten aufzuschwingen, der (seinerseits) allen Grund hat, das Kapitel der zurückliegenden Wahlen schnell zu überblättern". Zwei der Ex-Kandidaten, der Reformtechnokrat Hamrouche und der von den radikalen Islamisten unterstützte Taleb Ibrahimi, wollen daher in naher Zukunft neue, eigene Parteien gründen.

Politische Beobachter erwarten nun, daß der neue Staatschef Bouteflika bestrebt ist, die gegenwärtige Regierungskoalition zu erweitern, um über eine größere Machtbasis zu verfügen. Das Bündnis besteht derzeit aus der früheren Einheitspartei FLN, der Mitte der neunziger Jahre als ihre Nachfolgerin aufgebauten "Präsidentenpartei" RND sowie der islamistischen früheren Hamas-Bewegung, die seit 1997 Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens heißt.

Sondierungsgespräche strengt Bouteflika derzeit u.a. mit der republikanisch-laizistischen Opposition an, und vor allem mit der vorwiegend kabylischen Partei RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie). Die wichtigsten Parteien des sogenannten demokratischen Lagers, der RCD und die Ex-Kommunisten der Parteien MDS und Ettehadi, hatten schon Monate vor den Wahlen zum "aktiven Boykott" derselben aufgerufen; hier finden sich die schärfsten Kritiker des islamo-konservativen Projekts, das vom bisherigen Regierungsbündnis verkörpert wird.

Aber auch an den islamischen Fundamentalisten ist Bouteflika interessiert. Bislang hat er es nicht ausgeschlossen, mit Vertretern von deren 1992 verbotener größten Partei FIS (Heilsfront) in einen Dialog zu treten. Ein Widerspruch zu dem Versuch, das laizistische Lager einzubinden? Aber nicht doch: "Was soll das heißen, 'islamistische Parteien', in einem Land, dessen Bewohner zu 100 Prozent Muslime sind?" hatte Bouteflika im Wahlkampf gefragt.

Mit einer Reformierung oder Abschaffung des 1984 unter der Einheitspartei FLN verabschiedeten und von fundamentalistischen Vorstellungen durchdrungenen Familiengesetzes, das Frauen lebenslänglich zu "Minderjährigen" im Sinne des Gesetzes macht, ist unter Bouteflika somit kaum zu rechnen. Viel eher damit, daß er das im August 1997 zwischen Militärs und dem bewaffneten Arm des FIS, der Islamischen Heilsarmee (AIS), abgeschlossene Waffenstillstandsabkommen umsetzt, was bisher von Regierungsseite blockiert wurde. Nach Presseinformationen sieht dieses Abkommen vor, daß 7 000 bewaffnete Islamisten aus den Reihen der AIS in die staatlichen Sicherheitskräfte integriert werden.

Zugleich würden damit möglicherweise die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) an den Rand gedrängt, die sich gegenüber dem islamistischen Projekt mafios verselbständigt haben. Seit Oktober 1998 hat sich innerhalb der GIA bereits eine Spaltung vollzogen: Ein Flügel unter Führung von Hassan Hattab wirft den übrigen Teilen der GIA vor, das ursprüngliche ideologische Projekt aus den Augen verloren zu haben und durch Massaker an der Zivilbevölkerung die öffentliche Meinung dagegen aufzubringen. Die Anhänger Hattabs wollen daher die Anschläge auf Stützen des "gottlosen" Regimes konzentrieren. Sie mußten freilich in den letzten Wochen eine Reihe von Niederlagen gegen die Armee einstecken.