Mit der Kavallerie zum Friedensplatz

Der 1. Mai ist in Prag ein Naziskin-Kampftag

"Hier gähn mer ober nimmer hin", schreit die Touristin, die ihre Dresdener Herkunft nicht verbergen kann, ihren Mann Hans an. "Roswidoh, hier is wos für disch", hatte der sie zuvor auf ein ungewöhnliches Szenario nahe des historischen Stadtkerns von Prag hingwiesen. Die beiden Stadtbesucher kommen gerade aus einer Nebenstraße und schauen verdutzt auf die militärisch anmutenden Aufstellungen, die sich ihnen knapp 50 Meter entfernt präsentieren. Hundert Antifaschisten mit Steinen und Molotow-Cocktails zur Rechten, rund 250 Polizisten zur Linken. "Ja, wos mochen dü denn do? Wos trommeln dü denn do herüm?" fragt Roswitha. Doch bevor Hans antworten kann, daß das Trommeln mit Schlagstöcken auf Schutzschilden den Beginn des Polizeiangriffs signalisiert, treibt der Einsatz der Prager Polizei-Reiterstaffel die beiden in die Nebenstraße zurück.

Aber nicht nur die Touristen aus dem 150 Kilometer entfernten Dresden werden wohl noch länger an den Nachmittag des 1. Mai in der tschechischen Hauptstadt zurückdenken. Denn nach den "schwersten Ausschreitungen in Prag seit 1989", so die tschechische Tageszeitung Slovo, gibt es nur Verlierer. Die Bilder von brennenden Straßen, einer Polizei-Kavallerie, die alles über den Haufen reitet, was sich ihr in den Weg stellt, und marschierenden Nazis wird Prag wohl kaum das erwünschte Touristen-Image bringen.

Prager Antifaschisten können sich indes auf eine Reihe von Prozessen und eine Repressionswelle gegen linksradikale Strukturen vorbereiten. 20 Teilnehmer der Antifa-Demonstration wurden festgenommen. Und auch die rund 250 vorwiegend tschechischen Nazis, die sich zwar von der Polizei den Weg für ihren Marsch freiprügeln ließen, dürften nicht zu den Siegern des Tages zählen. Zu schlecht hatten sie sich auf ihren großen Auftritt vorbereitet: Mit Parolen wie "Sieg Heil" und "Rechtsradikal, Skinhead", gerufen auch noch in Deutsch, und mit einer Reichskriegsfahne macht man sich in Prag nicht gerade beliebt. "Ab mit euch nach Pristina", ruft eine ältere Passantin.

Dabei hätte alles so schön werden sollen: Jan Brzak, der Anmelder eines Nazitreffens auf der Moldau-Insel Strelecky Ostrow, hatte zu einer Kundgebung unter dem Motto "Gegen Kapitalismus und Marxismus" geladen, und rund tausend Nazis aus mehreren osteuropäischen Ländern sowie aus Deutschland und Österreich sollten kommen. So war es zumindest in Interviews angekündigt worden. Um seinen Plan umzusetzen, hatte Brzak unter dem Namen Ingo via Internet auch um Unterstützung aus Deutschland geworben.

Doch von dort kam am Samstagmittag lediglich eine Handvoll Nazis. Unter den 200 anwesenden Nazis sind sie nicht auszumachen. Selbst die Fahne des Deutschen Kaiserreichs wird von tschechischen Nazis getragen, die Brzak in seinem rot-weiß kleinkarierten Hemd und der gebügelten Jeans bewundern. Den frisch geschorenen Schädel des Anführers der böhmischen Blood & Honour-Sektion nehmen die meisten freudig zur Kenntnis - acht von zehn Strelecky-Besuchern sind Naziskins. Auch die wenigen Deutschen. Doch haben sie es besonders schwer. "Ich habe mich so auf die tausend Kameraden gefreut", erzählt ein 16jähriger aus einer ostdeutschen Kleinstadt, "und jetzt sind nur so wenige hier, und die reden alle nur Tschechisch."

Brzak will indes von seinem Internet-Aufruf nichts mehr wissen: Dies sei nur ein Trick, eine Fälschung der Anarchisten, erklärt er. Die Prager Anarchisten würden sich so dafür rächen, daß der "nationale Widerstand" sich in diesem Jahr auf Strelecky treffe. Brzak hatte bereits im Januar die Nazi-Veranstaltung angemeldet und war so der Radikalen Linken Prags, die seit 1990 jeweils am 1. Mai auf der Insel feiert, zuvorgekommen.

"Es hätte für den Magistrat der Stadt Prag Möglichkeiten gegeben, dieses Treffen zu verhindern", kritisiert Tschechiens Regierungschef Milos Zeman, "doch leider sind alle versäumt worden." Der Sozialdemokrat Zeman ist einer der wenigen, die überhaupt die Polizei-Kette passieren dürfen. Zwei Stunden vor Beginn der Nazi-Veranstaltung kommt er, um einen Kranz am Denkmal der tschechischen Arbeiterbewegung auf der Insel niederzulegen. Für ein Verbot der Nazi-Strukturen müsse man sich nun einsetzen, doch brauche "dies seine Zeit", sagt Zeman und verschwindet, noch bevor die Proteste gegen die Nazis richtig beginnen.

Die Antifaschistische Aktion Prag und mehrere kleinere Antifa-Gruppen stehen bereits seit dem frühen Morgen vor dem einzigen Zugang zur Insel. "Wir bilden hier einfach eine zweite Kette vor der Polizei", erzählt Jonas (Name geändert), ein älterer Bilderbuch-Anarchist mit Rauschebart. Denn deren Kette habe ja nur den Zweck, "uns nicht hereinzulassen, wir übernehmen also ihre Funktion und spielen Ersatz-Polizei gegen die Nazis".

Eine Stunde später liegt Jonas am Boden: Die erste Nazigruppe hatte sich gerade genähert, 50 Polizisten räumen deswegen kurzerhand die rund 30 Antifas ab. Es dauert drei Minuten, bis die Gegendemonstranten 200 Meter weit abgedrängt sind und Jonas im Gefangenentransporter sitzt.

Die Nazis tummeln sich derweil gelangweilt auf Strelecky. Einige diskutieren über den Krieg gegen Jugoslawien. Sie sind "pro-serbisch, weil alle Kosovo-Albaner Zigeuner sind". Einer der Diskutanten hat einen Zopf. Andere haben lange Haare, kommen aus der Heavy-Metal-Szene. Alle sind enttäuscht von der Musik, die gerade läuft, einer Art Kuschelrock von Rechts. Ein tschechischer Journalist bringt die Stimmung auf den Punkt: "Das ist eine Grill-Party ohne Grill." Nur einmal stutzt er, als die deutsche Nationalhymne (ohne Text) vom Band gespielt wird. Dem Nazi-DJ ist das zu langweilig und er greift schnell wieder auf die nationalistischen Weichspüler-CDs zurück. Fast alle Kameraden wenden sich entsetzt ab, rennen zum Ufer der Insel und schreien Parolen in Richtung einer Antifa-Demo, die sich mittlerweile neu formiert hat. Knapp 400 Leute rufen zurück: "Antifa, Antifa" und, auf Deutsch, "Nazis raus". Zwischen den beiden Gruppen liegt nur die Moldau, ein Polizeiboot wippt in der Mitte auf dem Fluß und folgt dem Wechselspiel der Parolen. Die Nazis antworten, ebenfalls auf Deutsch, mit "Sieg Heil" - und sind eindeutig lauter.

"Das sind fast alles Hammerskins, die sind halt so laut", äußert ein Polizeisprecher. Karel (Name geändert), einer der Organisatoren der Antifa-Demo, stimmt zu: Die meisten Nazis in Tschechien würden die rechte Subkultur den rechtsextremen Organisationen vorziehen. Zum Glück, sagt Karel, finde gerade im Osten Tschechiens ein Fußballspiel statt, das von vielen rechten Hools besucht würde. 200 Nazis würden deswegen nicht nach Prag kommen. Karel verschwindet rasch, als sich die Nazis nach ihrem Treffen für einen spontanen "Stadtspaziergang" entscheiden, der von der Polizeiführung auch prompt genehmigt wird.

In Vierer-Reihen formieren sie sich auf der Brücke über die Moldau, die Situation eskaliert sofort, als die Polizei den Weg für die Nazis freimacht. 150 Antifas haben sich inzwischen bereitgestellt, um die Nazis nicht durchzulassen. Aber die Polizei-Kavallerie reitet sie einfach über den Haufen. Wer nicht unter die Hufe kommt, wird von Spezialeinheiten mit Blendschockgranaten, Tränengas und Schlagstöcken plattgemacht. Zwar finden die Antifas zwei Blocks weiter noch einmal zusammen, werfen ein paar Steine und Mollis, doch nach einer Stunde ist der Widerstand gebrochen. Mindestens 20 Demonstranten werden festgenommen und noch im Sammeltransporter geschlagen.

50 Meter hinter den prügelnden Polizisten höhnt die Nazi-Demo: "Antifa - hahaha". Für sie ist nun der Weg frei für ihre Abschlußkundgebung in der Innenstadt - am Prager Friedensplatz.