Polnischer Fremdkörper

Gefährliche Orte LIX: Die polnische Botschaft plant einen Neubau in Mitte - und macht alles falsch

Die Berliner Wirtschaft findet ihre Nähe gut, viele Autofahrer bewegt sie zum Kauf einer Lenkradkralle: Die Grenze zur Republik Polen - eigentlich nur ein unerwünschter Nebeneffekt der deutschen Vereinigung - ist nur eine Fahrtstunde von Berlin entfernt. Nach Rußland ist Polen das wichtigste Exportland für die Berliner Wirtschaft. Und da sind der Umsatz von Aldi und die Niedriglöhne polnischer Bauarbeiter noch gar nicht mitgerechnet.

Aber die Berliner Außenstelle der polnischen Botschaft bemüht sich zu zeigen, daß das Nachbarland mehr zu bieten hat als Unerfreuliches von A wie Autoklau bis Z wie Zigarettenschmuggel. Bis zum 10. Mai findet daher eine Veranstaltungswoche unter dem Motto "Polen - Partner in Europa" statt. Das Ziel: mehr Verständigung. Die Berliner Marketinggesellschaft Partner für Berlin ist als Sponsor ebenfalls dabei - "das ist Wirtschaftsförderung", erklärt Hauptstadt-Promoterin Gabriele Muschter. Ohnehin sei die Beziehung zwischen Partner für Berlin und der Botschaft "wunderbar". Und damit ist die Wirtschaft der Berliner Politik ein ganzes Stück voraus.

Nachdem man der polnischen Seite mühsam klargemacht hat, daß sie nicht jeden Flüchtling nach Deutschland lassen, ihren Ramsch und billige Lebensmittel nicht auf dem Polenmarkt verkaufen kann und ihr Oder-Hochwasser gefälligst bei sich behalten soll, geht es nun darum, daß die Polen auch auf ihrem Botschaftsgelände - eigentlich exterritoriales Gebiet - nicht machen können, was ihnen gerade paßt. Wer ein neues Botschaftsgebäude bauen will, muß gefälligst erst fragen - wozu gibt es sonst Vorschriften und Beamte?

Umstritten ist zwischen der polnischen Botschaft und den Baubehörden, ob es sich bei dem Projekt um einen Neu- oder um einen Umbau handelt. Denn, so bemerkt man bei der zuständigen Stelle im Bezirksamt Mitte, das Gebäude Unter den Linden 70-72 stehe unter Denkmalschutz und dürfe nicht einfach zum größten Teil neugebaut werden. Ein Verdienst der grünen Abgeordnetenhaus-Fraktion, die im vergangenen November - rund einen Monat vor Ende der Ausschreibung - den Schutz der Bausubstanz vor der polnischen Abrißbirne beantragte.

Dabei will das polnische Architekten-Trio Budzynski, Badowski und Kowalewski gar nicht alles einreißen: Das Fundament soll erhalten bleiben und für die neue Botschaft genutzt werden. Was der deutsche Fachmann - der "Kontaktarchitekt" Jürgen Fissler, der den polnischen Entwurf mit deutschem Baurecht kompatibel machen soll - "Umbaumaßnahme mit Ergänzungsbauten" nennt, hat eigentlich nur einen Sinn: Das Ganze "ist billiger als ein Neubau, weil das Fundament nicht neu gelegt werden muß", entlarvte der Berliner Kurier die polnische Strategie. Dabei dürfte das Gebäude so oder so ziemlich günstig werden, weil es "ausschließlich von polnischen Firmen" gebaut werden soll.

Und überhaupt: So wie sich die polnische Seite die Details vorstellt, geht das nicht, findet man bei der Senatsbauverwaltung und im Bezirksamt. Schließlich soll die Straße Unter den Linden ein repräsentatives Aushängeschild des neuen Regierungssitzes sein, und deswegen gelten hier Sonderregeln. Nach der sogenannten Lindensatzung ist etliches nicht erlaubt, was die Polen mit ihrer Botschaft gerne gemacht hätten: eine mit Efeu begrünte Fassade - verboten. Quadratische Fenster - verboten. Ein nach außen abgeschottetes Erdgeschoß - verboten. "Sehr eigenwillige Skulpturen im Erdgeschoß" (CDU-Bausenator Jürgen Klemann) - verboten. Fliegender Handel, Lohndumping, Betteln und Hausieren - natürlich auch verboten.

Wozu sonst hat der Senat sich über Jahre hinweg bemüht, einen Polenmarkt aus der Mitte der Hauptstadt zu verbannen? Da will man sich doch nun nicht einen neuen "Fremdkörper" - wie Klemann in der Berliner Zeitung die Fassade des Botschaftsentwurfes bezeichnete - einhandeln. Und während die Ungarn, die vier Hausnummern weiter ebenfalls einen Botschaftsneubau planen, nicht nur der EU, sondern auch dem Bausenator als wahre Musterschüler gelten, will sich Berlin doch nicht von Polen das Stadtbild verschandeln lassen.

Dabei hatte sich das Architekten-Trio so viel Mühe gegeben. Insbesondere mit der Gestaltung des Innenhofes: Hängende Gärten mit viel Grün sollen den öffentlich zugänglichen Hof prägen und ein Café soll für entsprechende Gemütlichkeit und Entspannung sorgen. Eine Idee, die man sogar bei der Senatsverwaltung lobt. Auch Kontaktarchitekt Fissler bezeichnet das Baukonzept insgesamt "als außerordentlich ökologischen Entwurf". Nur nach vorne auf die Fassade dürfe das Grün des Innengartens eben nicht übergehen, um einen fließenden Übergang zwischen Gebäude und Pflanzenwelt zu schaffen - das geht Unter den Linden nun mal nicht. Die Lindensatzung schreibt eine helle Fassadengestaltung und natürliches Baumaterial vor. Und damit sind nicht Pflanzen gemeint, sondern Naturstein. "Es gibt einige Übersetzungs- und Interpretationsprobleme", berichtet Fissler. Wer auf dem Polenmarkt schon mal um Preise gefeilscht hat, kennt das.

Aber es geht nicht nur um die Sprache, denn so schlecht ist der Kontakt zwischen der Abteilung Hauptstadtentwicklung der Bauverwaltung und der Außenstelle der polnischen Botschaft nicht. Von Beginn der Planungsphase an standen beide Seiten in ständigem Kontakt miteinander. Und bereits Mitte Dezember letzten Jahres, als die Jury sich für den Entwurf von Budzynski, Badowski und Kowalewski entschied, wies die Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit darauf hin, daß noch einige Veränderungen an dem Plan des Trios vorgenommen werden müßten, um ihn mit deutschen Vorstellungen vereinbar zu machen.

Gemeinsam haben die Abteilung Hauptstadtentwicklung des Bausenats, das Bezirksamt Mitte, die polnische Botschaft und Fissler sich seitdem um eine Lösung bemüht. Das ging zwar langsam, aber doch irgendwie voran. Als der Entwurf am 16. März dann der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war das deutsche Gejammer jedoch groß. Nicht gegenüber der polnischen, sondern vor allem gegenüber der Lokalpresse äußerten sich "Einzelpersonen" der Bauverwaltung alles andere als erfreut über die polnischen Pläne - darunter auch Senator Klemann.

Und schon war die Stimmung hinüber. Das gegenseitige Verhältnis ist inzwischen von Mißtrauen geprägt, und gegenüber der Presse will lieber niemand mehr etwas sagen. Botschaftsrat Leszek Rejniewicz mag zwar mit der Jungle World sprechen, aber auf gar keinen Fall zitiert werden. Und die Pressestelle des Bausenats gibt nur noch Ansprechpartner an, die in den nächsten zehn Tagen im Urlaub sind - für alle anderen Mitarbeiter gilt Auskunftsverbot.

Ein bißchen Optimismus will man sich auf allen Seiten bewahren, sonst käme das Bauprojekt gar nicht mehr voran, und der "Schandfleck in der Prachtallee Unter den Linden", wie der Berliner Kurier die polnische Botschaft bezeichnet, würde am Ende nie verschwinden.

Bis Mitte des Jahres rechnet man daher beim Bezirksamt Mitte mit der Einreichung eines Bauantrages, vorher aber soll die Botschaft "freundlich gebeten werden", die neuen Änderungswünsche der Berliner einzuarbeiten. 2002 soll das Gebäude dann fertiggestellt sein.