Viel Rassismus, viel Ehr

Für die ultranationalistischen Grauen Wölfe in der Türkei konnten sich vor allem Jugendliche begeistern

Devlet Bah ç eli, Vorsitzender der ultranationalistischen Nationalen Bewegungspartei (MHP) - Partei der Bewegung der "Idealisten" oder auch "Graue Wölfe", wirkt in der Öffentlichkeit stets wie ein vernünftiger Mann. Ruhige Gesten, diplomatischer Stil und gutgeschnittene Anzüge: ein wahrer Staatsmann von Format. Bah ç eli wurde 1997 nach dem Tod des "Oberwolfs" Alparslan Türkes, der in der Bewegung noch immer ehrfurchtsvoll "Führer" genannt wird, zum Parteichef gewählt, um der MHP ein salonfähiges Image zu verleihen. Mit Erfolg: Bei den türkischen Parlamentswahlen vor zwei Wochen wurde die MHP überraschend zweitstärkste Partei im Parlament.

Anders als der ehemalige Oberst Türkes, der 1960 als Offizier den ersten Militärputsch in der Türkei mitorganisierte, hat Bah ç eli eine akademische Karriere hinter sich. Er lehrte als Doktor der Sozialwissenschaften und Ökonomie an verschiedenen Universitäten, bis Türkes ihn 1987 in die aktive Politik berief.

Seit seinem Amtsantritt betont Bah ç eli immer wieder, die MHP habe ihre Mafia-Verbindungen gekappt und vertrete eine "national geprägte, aber aufgeklärte" Politik. "Wir sind nicht zum Fürchten, sondern vertreten die wahren Interessen unserer Nation" ist einer seiner Lieblingssätze. Fragt sich nur, warum er diese ausdrückliche Entwarnung überhaupt für nötig hält. Auf der Web-Site der MHP im Internet wird die Einstellung Bah ç elis deutlicher: Bah ç eli ist seit den Anfängen der Idealistenbewegung ein Kämpfer für ein "Großes Reich". Der Wahlslogan der MHP bei den Parlaments- und Lokalwahlen am 19. April lautete entsprechend: "Für eine Türkei als führendes Land". Adjektive wie "groß, stark, heldenhaft, vaterlandsliebend" und Substantive wie "Rasse, Blut, Vaterland, Fahne" sind die faschismusträchtigen Vokabeln der Blut-und-Boden-Theorie der Idealisten, deren Parteigeschichte die enge Verbindung mit der staatlichen Kontraguerilla zeigt.

Der Parteigründer Alparslan Türkes spielte bereits in den vierziger Jahren eine entscheidende Rolle in der faschistischen Bewegung der Türkei. Der Chef der deutschen Sicherheitspolizei berichtete 1944 über die Tätigkeiten von Türkes als Verbindungsmann zwischen dem deutschen Außenministerium und dem türkischen Geheimdienst. Ende des selben Jahres brach die Türkei ihre Beziehungen zu Deutschland ab; Türkes wurde mit einigen anderen Panturanisten - Turan ist das legendäre Ursprungsland der Türken - zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er habe versucht, so die Urteilsbegründung, die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus aktiv in den Zweiten Weltkrieg zu ziehen.

Doch schon im April 1945 wurde das Urteil aufgehoben, und Türkes wurde zusammen mit seinen Anhängern freigesprochen. Bereits damals erklärte er: "Ich betrachte es als Ehre, wegen Turanismus und Rassismus verurteilt zu werden. Die Verwaltung des Staates durch Menschen türkischer Rasse ist lebensnotwendig (...)."

1958 wurde Türkes zur türkischen Militärmission nach Washington geschickt, im gleichen Jahr besuchte er die Schule für Atom- und Nukleartechnik in der Bundesrepublik Deutschland. Er war Mitglied der Gesellschaft zum Kampf gegen den Kommunismus, deren Terrorkommandos gegen die Studenten- und Arbeiterbewegung eingesetzt wurden. 1960 kam es unter seiner Mitwirkung zum ersten Putsch in der Türkei.

1965 wurde Türkes Vorsitzender der Republikanischen Nationalen Bauernpartei (CKMP), aus der 1969 die Milliyetci Hareket Partisi (Partei der nationalistischen Bewegung) hervorging. Bereits ein Jahr vor der Gründung der MHP hatte er die Jugendorganisation Graue Wölfe organisiert, die in den siebziger Jahren an der Seite der Geheimpolizei durch politische Morde und bewaffnete Überfälle auf Treffpunkte der linken Bewegung zu einer Eskalation der Gewalt beitrug. Dies führte schließlich 1980 zum dritten Militärputsch.

Parteiführer Devlet Bah ç eli leitet seit 1967 eine der Unterorganisationen der Grauen Wölfe, die über enge personelle Verbindungen zur Kontraguerilla und Mafia verfügte - wie etwa die Mörder und Drogenschmuggler Haluk Kirci und Abdullah Çatli. Çatli plante 1978 den Mord an sieben Studenten der Türkischen Arbeiterpartei (TIP).

Nach dem Militärputsch 1980 wanderte Kirci ins Gefängnis, Çatli floh ins Ausland und organisierte Drogengeschäfte. Nach Kircis Entlassung 1991 trafen sich die ehemaligen Idealisten und Bah ç eli-Freunde wieder. Und obwohl Çatli zu dem Zeitpunkt immer noch wegen Mordes von Interpol gesucht wurde, lebte er unter dem falschen Namen Mehmet Özbay in einer noblen Gegend in Istanbul und besaß einen Waffenschein - unterschrieben von dem damaligen obersten Polizeipräsidenten Mehmet Agar, ebenfalls einem nahen Freund der MHP.

Çatli mußte zwar in Frankreich und in der Schweiz eine jahrelange Haftstrafe verbüßen. Doch dann verhalf ihm nach eigenen Aussagen der türkische Geheimdienst 1994 aus dem Zürcher Metris-Gefängnis zur Flucht, mit "echten-falschen Papieren", einem gefälschten Ausweis also, der von der türkischen Polizei für ihn ausgestellt wurde: Çatli gehörte zu den Spezialeinheiten der türkischen Kontraguerilla, für die Anfang der neunziger Jahre eine eigene Abteilung innerhalb des türkischen Polizeiapparates eingerichtet worden war.

Die Kontraguerilla hatte vor allem den Zweck, unter staatlicher Führung Killer und Mafiosi einzusetzen - zur illegalen Geldbeschaffung, zur Liquidierung von Regimegegnern und zur Provokation. Idealisten wie Çatli und Kirci waren wegen ihrer faschistischen Vaterlandsliebe und Skrupellosigkeit prädestiniert für diese Aufgaben.

Im September 1997 verunglückte Çatli in der Nähe der westanatolischen Stadt Susurluk mit einem hohen Polizeibürokraten und einem Abgeordneten der Regierungspartei. Der Unfall war der Beginn eines der größten Skandale in der jüngeren türkischen Geschichte: Im Kofferraum des havarierten Wagens befanden sich Waffen. Die daraufhin eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission brachte einen Teil der Verbindung von Sicherheitspolitik, Schmuggelgeschäften und Kontraterror an das Tageslicht. Seit Beginn der kurdischen Guerillabewegung seit 1990 setzen sich die in Südostanatolien kämpfenden Spezialeinheiten zu einem großen Teil aus MHP-Anhängern zusammen. Für sie gibt es keine Kurden-Frage.

An diesem Punkt gibt es auch für Devlet Bah ç eli keine Zweifel: Seiner Ansicht nach soll PKK-Führer Abdullah Öcalan zum Tode verurteilt und anschließend gehängt werden. Und da die Vollstreckung des Urteils von einem Parlamentsbeschluß abhängt, sind die Aussichten für Öcalan alles andere als gut, zumal die MHP vor allem wegen ihrer harten Haltung gegenüber der PKK gewählt wurde.

Insbesondere die vier Millionen jungen Erstwähler haben Untersuchungen zufolge das Ergebnis stark beeinflußt und zeigen damit einen gefährlichen nationalistischen Rechtsrutsch unter vielen türkischen Jugendlichen. Die Idealistische Jugendbewegung hat derzeit einen bislang ungekannten politischen Rückhalt. Und damit könnte eine neue Eskalation der Gewalt beginnen.