Wahlkampf in Großbritannien

Welfare Is a Tory Issue

Noch nie in ihrer Geschichte stand die britische Conservative Party so schlecht da: Nur 25 Prozent der Stimmen würde sie einer Umfrage zufolge erhalten - und das unmittelbar vor den Regionalparlamentswahlen in Schottland und Wales und den Lokalwahlen in fast ganz Großbritannien am 6. Mai. Seit der marktfundamentalistischen Wende von New Labour gibt es keinen Grund mehr, die Tories zu wählen, denn die politischen Programme gleichen sich bis aufs Haar; eine Partei, die ihre Tradition in der Arbeiterbewegung hat, wirkt jedoch integerer, die Wähler glauben ihr eher, daß die soziale Härte notwendig sei.

New Labour hat jeden Anspruch, den Markt zu regulieren, aufgegeben, das Parteiprogramm ist die Ausformulierung der optimalen Verwertungsbedingungen des Kapitals. Denn mit genau diesem Marktfundamentalismus hatten 1979 die Tories die Labour Party aus der Regierung gedrängt und sich dort bis 1997 halten können, als Labour das Tory-Programm kopierte.

Was tun?, hat sich der stellvertretende Vorsitzende und Programmbeauftragte Peter Lilley gefragt. Noch marktfundamentalistischer als New Labour geht's nicht, damit ließe sich die Wählergunst auch nicht vergrößern. Denn Umfragen zufolge hat die Bevölkerung insbesondere bei sozialpolitischen Themen wenig Vertrauen in die Tories. Die Behauptung, die Konservativen wollten das staatliche Gesundheitswesen privatisieren, entwickelte sich im letzten Wahlkampf zu einer der erfolgreichsten Parolen von New Labour.

Die Einführung der staatlich finanzierten Gesundheitsfürsorge galt als die historische Reformleistung der ersten Labour-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Gedanke, ein Kranker müsse für einen Arztbesuch bezahlen oder eine Krankenversicherung abschließen, erscheint den meisten Briten heute völlig absurd.

Lilley marschiert daher in die entgegengesetzte Richtung: Nachdem New Labour das marktfundamentalistische Programm seiner Partei übernommen hat, distanziert er sich vom Neoliberalismus. "Konservative müssen heute das öffentliche Vertrauen in unsere Verpflichtung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat erneuern", so Lilley. "Aber das werden wir nur, wenn wir offen und nachdrücklich anerkennen, daß dem freien Markt bei der Verbesserung der öffentlichen Dienste wie Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt nur eine beschränkte Rolle zukommt."

Die kostenlosen staatlichen Schulen in Großbritannien haben einen miserablen Ruf. Wer eine solche besucht, hat nur schlechte Berufsaussichten. Nach Möglichkeit schicken Eltern ihre Kinder daher auf private Schulen, die jedoch oft 2 000 Mark pro Monat oder mehr kosten.

Insbesondere konservative Hinterbänkler protestierten energisch gegen den Schwenk im Kurs der Parteiführung, zumal Lilley seine Rede ausgerechnet am 20. Jahrestag der ersten Wahl Margaret Thatchers zur Premierministerin hielt. Thatcher, die die Tories mit ihrem wirtschaftsfreundlichen Programm zum ersten Mal nach einer langen Labour-Periode an die Macht zurückgebracht hatte, gilt bei vielen Anhängern der Konservativen heute als Parteimutti.

Doch Hague steht hinter seinem Vize: In seiner Rede, die er auf der Jubiläumsfeier hielt, versuchte er, den Bruch zu kaschieren: "Konservative haben die Pflicht der Gesunden, den Kranken zu helfen, des Wohlhabenden, den Kranken zu unterstützen, (...) immer akzeptiert." Dabei macht Lilley kein Geheimnis aus den Gründen für den Schwenk seiner Partei: "Die klare Botschaft von 'Listening to Britain' ist, daß die Verbesserung des öffentlichen Dienstes für die meisten Menschen hohe Priorität genießt, aber daß sie denken, daß es für uns nur von geringer Wichtigkeit sei. Alle Anhaltspunkte, die die Meinungsumfragen geben, legen nahe, daß die Wähler unseren Absichten bezüglich des öffentlichen Dienstes mißtrauen."

Der Programmbeauftragte läßt das Parteiprogramm von den Meinungsforschern formulieren. Labour kopierte die Grundsätze der Konservativen, die wiederum nichts anderes als die Kapitalgesetze sind. Und die Tories versuchen, das Image von Labour zu erhalten. Wo das globalisierte Kapital der Politik jede Gestaltungsfreiheit nimmt, ist der Machtgewinn der eigenen Clique zum einzigen politischen Projekt geworden.