Noch stützt die US-Konjunktur Japan

Boom und Krise

Die Schieflage der Weltwirtschaft wird immer bedrohlicher: Während in Japan die Arbeitslosigkeit einen neuen Rekordstand erreicht hat, hält der Boom der US-Konjunktur seit neun Jahren an.

In Japan waren im März offiziell 3,4 Millionen Menschen ohne Job - ein Jahr zuvor waren es noch 2,8 Millionen gewesen. Damit ist die Arbeitslosenzahl nun schon zum zweiten Mal in Folge um ein Fünftel gestiegen. Eine Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent mag zwar für krisengebeutelte Europäer fast paradiesisch anmuten. Aber in Japan ist das der höchste Wert, seit die Statistik 1953 zum ersten Mal erstellt wurde. Eine Trendwende ist nicht in Sicht, denn die Umstrukturierungsmaßnahmen der japanischen Unternehmen wegen der Asienkrise dauern an. Zugleich wird die lebenslange Festanstellung bei einem Unternehmen, die für Japan typisch war, zum Auslaufmodell. Die noch vor einigen Jahren verpönten Vermittler von Temporärarbeit haben Hochkonjunktur - Sklavenhändler, hast du Arbeit für mich?

Doch sähe alles noch viel düsterer aus, wenn auf der anderen Seite des Pazifischen Ozeans die US-Amerikaner nicht die japanischen Produkte abnehmen würden: Die US-Importe stiegen im ersten Quartal dieses Jahres um zwölf Prozent, während die Exporte um acht Prozent fielen. Damit setzt sich der pazifische Defizitkreislauf auf höherer Stufenleiter fort: Die Japaner sparen eifrig, weil sie nicht wissen, wie lange sie noch ihren Arbeitsplatz haben werden. Weil die Zinsrate in ihrem Land aber nur 0,1 Prozent beträgt, legen sie ihr Geld in den USA an, die von dem Geld wiederum japanische Waren kaufen.

Die US-Amerikaner hingegen geben mehr Geld aus, als sie verdienen: Die Sparquote liegt heute bei minus 0,5 Prozent. Bis Mitte der Achtziger lag sie bei durchschnittlich acht Prozent, Anfang der Neunziger waren es noch fünf Prozent, 1998 haben die Privathaushalte zum ersten Mal mehr ausgegeben als eingenommen. Nach neun Jahren Boom - die längste Aufschwungphase in den USA in diesem Jahrhundert - scheinen die Konsumenten vergessen zu haben, daß sich die Lage auch wieder ändern kann.

Die Notenbank ist nicht so zuversichtlich und hat eine Untersuchung des Ökonomen Fran ç ois R. Velde mit dem Titel "Amerikaner sparen nicht - sollten sie darüber besorgt sein?" veröffentlicht. Der geringe Spareifer seiner Landsleute wird demzufolge "als Zeichen dafür gedeutet, daß die gegenwärtige Expansion immer fragiler wird und bald enden kann".

Aber davon ist noch nichts zu spüren. Im ersten Quartal dieses Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt um 4,5 Prozent gestiegen - mehr, als alle Forschungsinstitute erwartet hatten. Der Kaufrausch der US-Amerikaner kennt keine Grenzen: Um 6,7 Prozent hat der private Konsum zugenommen. Aus Angst vor einem Übergreifen der Asienkrise hat die Notenbank letztes Jahr den Zinssatz kräftig gesenkt. Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, daß die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern noch einmal um 11,5 Prozent gestiegen ist, nachdem sie bereits im Vorquartal um 25 Prozent zugenommen hatte.

Die Ökonomen verstehen die Welt nicht mehr. Den nicht mehr enden wollenden Boom können sie kaum fassen. Hinzu kommt, daß es fast keine Anzeichen für eine höhere Inflation gibt; meist geht ein starkes Wirtschaftswachstum mit einer höheren Teuerungsrate einher. Und obwohl die Arbeitslosenquote mit offiziell 4,2 Prozent auf ein 30-Jahres-Tief gefallen ist, sind die Beschäftigten bescheiden: Der Arbeitskosten-Index stieg im Zeitraum von Januar bis März lediglich um 0,4 Prozent.