Heute schon gespart?

Nach dem Rücktritt von Lafontaine steht die Große Koalition auch in der Haushaltspolitik. Eine nachfrageorientierte Ausweitung der Etats ist nicht mehr zu erwarten

Zumindest eines hat die Bundestagsdebatte über den ersten rosa-grünen Haushalt der Republik bestätigt: den innenpolitischen Kurswechsel der Regierungskoalition der "linken Mitte". Die ohnehin zaghaften Korrekturen der neoliberalen Umverteilungspolitik gelten den rot-grünen Koalitionären als abgeschlossen; in Sachen nachfrageorientierter Haushalts- und Strukturpolitik ist nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines nichts mehr zu erwarten.

Im Gegenteil: Unter dem neuen Finanzminister Hans Eichel sind die Haushalts- und Finanzpolitiker von SPD und Grünen in einen Wettbewerb um die radikalste Steuersenkung für Unternehmen und die zügigste Sanierung der Staatsfinanzen eingetreten. Sozialdemokratische Angebotspolitik, wie sie vom Chef des Bundeskanzleramtes, Bodo Hombach, vor Monaten als Generallinie der Reformkoalition definiert wurde, bestimmt nunmehr das politische Alltagsgeschäft. Dabei agiert faktisch eine Allparteien-Regierung.

Die neoliberalen Oppositionsparteien haben alle Mühe, dem bundesdeutschen Wahlvolk zu erklären, was sie, säßen sie wieder am Kabinettstisch, anders machen würden. Es ist wie in der Kriegsfrage: Seite an Seite begründen Sprecher von CDU, CSU, FDP, Grünen und SPD, daß es keine Alternative zum Einsatz von militärischer Gewalt gegeben habe. Auch was die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik anbelangt, stimmen die Bundestagsparteien - mit Ausnahme der PDS - grundsätzlich überein. Die zusätzlichen Ausgaben für den Kriegseinsatz auf dem Balkan haben die Haushaltspolitiker gemeinsam durch Kürzungen aller Etats herausgewirtschaftet.

Doch Eichel hat nicht nur einen rigorosen Sparkurs eingeschlagen - seine Warnung, bei einem Rückgang der Konjunktur und damit der Staatseinnahmen zum Instrument eines Haushaltssicherungsgesetzes zu greifen, geht darüber sogar noch hinaus.

Zudem hat die Koalition zugestanden, daß sie dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen Familienbesteuerung durch eine Kinderfreibetragslösung folgen werde. Ein Konzept, das die Besserverdienenden bevorzugt, da sie pro Kind wesentlich mehr Steuern sparen als Geringverdienende. Bei der Regierungsübernahme sollte noch das Kindergeld erhöht werden - nicht mehr als ein Wahlkampfschlager, wie sich zeigt.

Allenfalls bei den 630-Mark-Arbeitsverträgen und der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit lassen sich noch Unterschiede zwischen linker Mitte und den neoliberalen Parteien der bürgerlichen Rechten ausmachen. Bundeskanzler Gerhard Schröder betont zwar, daß er die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse aufhalten möchte. Aber man werde die beschlossenen Regelungen verändern, soweit es in einigen Branchen und im Bereich der gemeinnützigen Organisationen zu negativen Rückwirkungen komme. Sollte die Regierungskoalition - entgegen den Vorschlägen von Arbeitsminister Walter Riester - in den Bereichen Zeitungsverlage, Reinigungsgewerbe und Transport zu deutlichen Korrekturen kommen, dürften auch der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse die Giftzähne gezogen sein.

Offenkundig hat eine Konzeption der nachfrageorientierten Wirtschafts- und Fiskalpolitik keinen großen Rückhalt mehr, seit sich nach Lafontaines Rücktritt insbesondere bei den Grünen die neoliberalen Haushaltspolitiker in den Vordergrund drängeln. Die rosa-grüne Koalition setzt sich für eine durchgreifende Haushaltskonsolidierung ein. Schon im laufenden Haushalt will man bei zwei Prozent Neuverschuldung vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) bleiben und am Ende der Legislaturperiode soll gar das Euroland-Kriterium (Gesamtverschuldung unter 60 Prozent des BIP) verwirklicht sein.

Eichels Vorgänger Oskar Lafontaine hatte mit Blick auf die rückläufige konjunkturelle Entwicklung noch vor einem harten Sparkurs gewarnt. Gerade in einer so stark exportabhängigen Ökonomie wie der der Bundesrepublik, oder auch der von Euroland, kann eine Konsolidierungspolitik in einer konjunkturellen Schwächeperiode zu einer krisenhaften Zuspitzung der Situation führen.

Mit dem Wechsel im Finanzministerium haben sich für die Regierungskoalition und die neoliberalen Oppositionsparteien die negativen Tendenzen in der Weltökonomie und der Architektur der internationalen Finanzmärkte offenkundig in Luft aufgelöst. Dabei hängt der von allen Seiten erwartete Übergang in eine neue Phase des Wirtschaftsaufschwungs an der Konjunkturlokomotive USA. Zu Recht hat der Notenbankpräsident Alan Greenspan die zurückliegenden Jahre des hohen Wachstums und der geringen Inflation als phänomenal bezeichnet.

Aber zugleich sind in den USA die verschiedenen Ungleichgewichte (Außenhandelsdefizit, drastische Abflachung der Sparquote, starke Polarisierung in der Einkommens- und Vermögensverteilung) nicht zu übersehen. Während Greenspan auf Gefahren für eine Fortsetzung des langjährigen Aufschwungs verweist, herrscht in der Bonner Regierungskoalition eine optimistische Grundstimmung. Bei einer Abschwächung der Konjunktur in den USA würden sich aber der Glaube an eine überwundene Konjunkturschwäche und weitere Konsolidierungserfolge bei den Staatsschulden schlagartig verflüchtigen.

Dabei zeigt sich gerade im wichtigen Bereich der Innenpolitik, der Haushalts- und Finanzpolitik, daß die Mitte-Links-Regierung kaum gewillt ist, auch nur kleine Reformen anzugehen. Von der Durchsetzung eines neuen Gesellschaftsvertrages und einer Perspektive für den "rheinischen Kapitalismus", von der im Vorfeld der Bundestagswahlen viel gesprochen wurde, ist erwartungsgemäß eine reine Anpassung an die weltwirtschaftlichen Sachzwänge übrig geblieben.